wanda mein Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Januar 2022, Teil 12

Redaktion

Zürich (Weltexpresso) – Familie – man kann nicht mit ihr, aber auch nicht ohne sie...
Familie ist ein Motiv, das ich in meinen Filmen immer wieder aufgreife: Was hat es mit diesem seltsamen Mikrokosmos auf sich, dieser genetisch zufällig zusammengewürfelten Familienbande, in der man sich geborgen fühlt oder eben auch eingeengt? Die Familie ist ein sehr weites erzählerisches Feld, und jeder kann sich irgendwo hineinfühlen, weil jeder eine Familie hat.

Die Wegmeister-Gloors werden hart geprüft, es entstehen tiefe Risse und es kommen unangenehme Tatsachen auf den Tisch. Alle Mitglieder sind gezwungen, sich ehrlich zu begegnen. Das ist befreiend, manchmal lustig, aber teilweise auch sehr schmerzhaft. Die Familie bricht beinahe auseinander – dennoch ist es für mich ein Film über das Näherkommen.


Familie – man kann nicht mit ihr, aber auch nicht ohne sie...

Familie ist ein Motiv, das ich in meinen Filmen immer wieder aufgreife: Was hat es mit diesem seltsamen Mikrokosmos auf sich, dieser genetisch zufällig zusammengewürfelten Familienbande, in der man sich geborgen fühlt oder eben auch eingeengt? Die Familie ist ein sehr weites erzählerisches Feld, und jeder kann sich irgendwo hineinfühlen, weil jeder eine Familie hat. Die Wegmeister-Gloors werden hart geprüft, es entstehen tiefe Risse und es kommen unangenehme Tatsachen auf den Tisch. Alle Mitglieder sind gezwungen, sich ehrlich zu begegnen. Das ist befreiend, manchmal lustig, aber teilweise auch sehr schmerzhaft. Die Familie bricht beinahe auseinander – dennoch ist es für mich ein Film über das Näherkommen.

In Wanda, mein Wunder haben Sie das aktuelle Thema der Care-Migration aufgegriffen. Wieso gerade dieses Thema? In der Schweiz boomt der Markt für ambulante Pflege. Agenturen werben mit Attributen wie „...günstig, fürsorglich, warmherzig und rund um die Uhr für Sie da!“, wenn sie Pflegehilfen aus Osteuropa vermitteln, die betagte Menschen zuhause statt im Heim betreuen. Immer mehr Frauen aus Polen oder Ungarn, oft überqualifiziert, pendeln monateweise zwischen ihren eigenen Familien und Schweizer Haushalten hin und her. Mich hat interessiert, was passiert, wenn eine völlig fremde Person so tief in eine Familienstruktur hineinsieht, und sich dadurch eine unvermeidbare Intimität aufbaut. Man spricht bei diesem Modell gerne von einer Win-Win-Situation: Die pflegebedürftigen Angehörigen müssen nicht ins Heim, die Familie spart Geld, und die Pflegerinnen verdienen hier viel mehr als in ihrer Heimat. Aber das ist eine zu einseitige Sicht. Wir blenden aus, dass diese Frauen ein Privatleben haben, eine eigene Familie, einen Alltag, den sie aufgeben müssen, und dass zuhause das Geld dennoch knapp bleibt. Der Gewinn ist also sehr einseitig verteilt. Was muss passieren, damit man sich wirklich auf Augenhöhe begegnet und ein fairer Handel zustande kommt? Dieser Frage sind wir in Wanda, mein Wunder nachgegangen.


Wie sind Sie und Co-Autorin Cooky Ziesche an das Drehbuch herangegangen?

Es war uns wichtig, dass wir das Thema zwar ernsthaft recherchieren und behandeln, aber dass auch komische oder absurde Momente Platz haben. Also nicht ein klassisches Sozialdrama, sondern eine „Comédie très humaine“. Und der Erzählton sollte eher trocken und unaufgeregt sein, um das Moralische zu vermeiden. In der Recherche bin ich Bozena Domanska begegnet, einer ehemaligen Pflegerin, die seit zwanzig Jahren zwischen Polen und dem Westen pendelt. Bozena hat die Drehbucharbeit und die Dreharbeiten als Fachberaterin eng begleitet. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen waren für Wanda, mein Wunder sehr wertvoll. Für die Drehbucharbeit haben Cooky Ziesche und ich am Anfang viel diskutiert, dann hat sie den Lead des Schreibprozesses übernommen. Ideal war, dass relativ früh klar war, wo genau und mit welcher Besetzung wir drehen werden. Das Buch konnte somit auf diese Gegebenheiten hingeschrieben werden.


Wieso erzählen Sie die Geschichte auch aus der Perspektive der Familie Wegmeister-Gloor?

Wanda, mein Wunder ist ein Ensemblefilm, es geht um Eltern und Kinder und was man sich in der Familie alles antun kann. Nicht nur Wanda will mit Respekt und Würde behandelt werden – auch jedes Familienmitglied sehnt sich danach. Wanda ist die zentrale Figur, sie löst als Katalysator all die Entwicklungen und Veränderungen der anderen Charaktere aus, und diese sind genauso interessant: Eine vermögende Familie holt sich eine billige Pflegekraft für das Familienoberhaupt, doch jeder in der Familie beansprucht ihre Hilfe auch zu seinem eigenen Nutzen. Diese Geschichte mit allen daraus folgenden Konsequenzen zu erzählen, ermöglicht verschiedene Perspektiven und überraschende Wendungen. Denn am Ende hat Wanda der Familie ja tatsächlich geholfen - aber viel weitergehend, als sie sich das vorgestellt hatten. Und auch ihr Verhältnis zur eigenen Familie in Polen hat von den Ereignissen profitiert.


Auffällig ist, dass Sie es vermeiden, Wanda als Opfer darzustellen...

Das ist ein wichtiger Punkt: Natürlich wird Wanda ausgenutzt. Aber sie macht auch mit und geht soweit, dass sie heimlich mit ihrem Patienten gegen Geld schläft. Dafür darf sie sich selber nicht als Opfer sehen. Das war auch Agnieszkas Haltung zu ihrer Figur: Wanda nutzt die Familie ebenso aus. Zudem versteht sie sich auch gut mit Josef. Es ist einfach ein Geschäft, das ihr einen Mehrwert bringt. Der selbstbestimmte Handel «Sex gegen Geld» gibt Wanda paradoxerweise Macht. Sie als Opfer darzustellen wäre zu einfach gewesen und hätte es verunmöglicht, auch ihre widersprüchlichen, starken Seiten zu zeigen. Wanda dreht den Spiess der Thematik des Ausnutzens/Dienens, des Oben/ Unten damit um.


Sie haben für Wanda, mein Wunder eine sehr hochkarätige Besetzung gewinnen können. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Ensemble?

Die SchauspielerInnen haben sich gegenseitig mit ihrer Spielfreude richtiggehend angesteckt. Es gab niemanden, der sich divenhaft verhalten hätte, im Gegenteil. Wir haben uns wirklich alle sehr gut verstanden und viel Zuneigung füreinander entwickelt, auch über die Dreharbeiten hinaus. Für mich war es eine Freude, mit diesem hochkarätigen Cast zu arbeiten. Fast alle spielen auch an grossen Theatern und sind richtige Bühnentiere. Mit ihnen zu arbeiten ist inspirierend, weil sie sich leidenschaftlich einbringen. Wir haben die filmische Umsetzung vieler Szenen gemeinsam entwickelt. Es blieb Raum für ihre Fantasie und Vorschläge, und vieles davon habe ich gerne angenommen.


Sie haben die Geschichte chronologisch und fast ganz an einem Schauplatz gedreht. Was hiess das für die Dreharbeiten?

Wir waren oft alle zusammen auf dem Set, weil es viele Ensembleszenen gibt. Das war manchmal wie in einem Bienenstock. Wir nahmen uns viel Zeit zum Proben. Mir war es wichtig, dass die Familie glaubwürdig wirkt. Man muss spüren, dass sich diese Leute schon ihr Leben lang kennen. Da hat es sehr geholfen, dass wir viel Zeit zusammen in der Villa verbracht haben. Die SchauspielerInnen haben sich das Haus zu eigen gemacht und hatten irgendwann das Gefühl, tatsächlich darin zu wohnen.

Die Konzentration auf praktisch einen Schauplatz hat viele Anforderungen an die Szenenbildnerin Marion Schramm gestellt. Das Haus musste den Reichtum der Familie ausstrahlen, ohne protzig oder unsympathisch zu wirken. Zudem spielt der Film in drei Jahreszeiten, aber gedreht wurde mit einer nur dreiwöchigen Pause. Die Umgebung musste also auch immer wieder an die entsprechende Jahreszeit angepasst werden. Das stellte uns vor einige knifflige logistische Herausforderungen.

Der Vorteil war, dass wir dadurch oft chronologisch gedreht haben. Es fühlt sich in der Inszenierung und für die SchauspielerInnen einfach anders an und gibt dem Spiel eine größere Dynamik, wenn die Szenen, wie im Theater, aufeinander aufbauen und nicht zerstückelt gedreht werden. Auch für die Arbeit mit der Kamerafrau Judith Kaufmann hatte das chronologische Drehen viele Vorteile. Wir konnten eine visuelle Sprache entwickeln, die sich durchzieht und gleichzeitig die drei Teile der Erzählung in der Atmosphäre trennt. Zudem mussten wir schauen, dass der Film auch in den Bildern spannend bleibt, wenn man nur einen Ort zeigt. Wir sahen den Schauplatz inhaltlich und visuell als eine Insel, eine Metapher – die Geschichte kann überall spielen, wo man reich ist und sich abschotten kann.


Die Musik des Films kommt vom Duo Grandbrothers, wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?

Die Musik sollte einerseits warm klingen, aber auch ein modernes, elektronisches Element haben. Mein sehr musikalischer Editor Kaya Inan hat bereits im Schnitt viel mit der Musik von Grandbrothers gearbeitet. Der Pianist Erol Sarp spielt auf einem klassischen Flügel, dessen Klänge Lukas Vogel mit dem Computer modifiziert und wieder zur Klaviermusik hinzufügt. Die beiden haben hunderte Elektroden und Hämmerchen am Flügel montiert, um diesen einzigartigen Sound zu kreieren, der zu Wanda, mein Wunder passt.

Für die moderne Neu-Interpretation von Bang Bang von Nancy Sinatra haben wir die Band AETNA hinzugezogen. So ist auch das Schlussstück entstanden, das dieselbe Sängerin komponiert und gesungen hat.

Foto:
©Verleih
 
Info:
WANDA, MEIN WUNDER
von Bettina Oberli,
CH 2020, 110 Min.
mit Agnieszka Grochowska, Marthe Keller, André Jung, Birgit Minichmayr, Jacob Matschenz, Anatole Taubman
Komödie / Start: 13.01.2022 / Filmtipp