no second chance dvd cover e1556893313416Französische Verfilmungen des US-Bestsellerautors HARLAN COBEN als Miniserien mit 6 Episoden zu je zwei DVDs bei Polyband, , Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es muß schon sehr lange her sein, als ich mich einmal intensiv mit dem amerikanischen Thrillerautor Harlan Coben beschäftigte, einem Vielschreiber besonderer Güte, der als eine Größe für‘s eigene Gewerbe gilt, weil nicht nur die Verkaufszahlen stimmen, sondern ihm hochrangige Kollegen ihre Wertschätzung öffentlich äußern. Außerdem gibt es wohl derzeit keinen Autor, der so viele Krimipreise erringen konnte.

Hier stehen also von früher eine Menge Cobens herum, alle bei Goldmann erschienen und fast alle sehr, sehr dick. KEINE ZWEITE CHANCE ist mit 448 Seiten sogar eines der schmächtigeren! Warum ich dieses Buch herausholte und glatt ein zweites Mal las (was man nicht unbedingt tun muß) hat mit den zwei Miniserien mit je zwei DVDs in je sechs Episoden zu tun, die sich zum Jahreswechsel in der Redaktion fanden, wo liebenswerte Kollegen den ursprünglichen Plan der Winteraustreibung schon vorgezogen hatten und, was psychoanalytisch leicht zu deuten ist, den Jahreswechsel nutzten, um bestimmte Regale auszuräumen, genau: auch auszumisten, wo immer interessante Funde zutage treten, diesmal also die zwei schön verpackten Verfilmungen - wie nennt man denn die Hüllen, ich habe extra nachgeschaut und am ehesten handelt es sich um mediabooks, obwohl Snapper Case oder Jewelcase auch in Frage kämen - , die leider keine Heftchen ins sich tragen, also wäre mediabook schon mal falsch?, auf denen aber auf der Rückseite in Dreiteilung eine kurze Zusammenfassung des Inhalts steht, ein Querband an Bilder aus der Produktion und zum Dritten den technischen Daten und wohl auch Mitarbeiter, wofür man dann allerdings zum Entziffern das Vergrößerungsglas braucht. Na, wenn schon, ist ja vorhanden. Also:

Also X wacht nach 10 Tagen Koma im Krankenhaus auf, weiß von nichts, auch nicht, wer auf ihn/sie geschossen hat. Etwas später wird X erzählt, daß Y, seine Frau/sein Mann erschossen ein paar Meter entfernt lag und das gemeinsame Kind, ein Baby, einmal ein Knabe/einmal ein Mädchen verschwunden ist. Erst nach einiger Zeit kommt eine Lösegeldforderung, wobei Polizei verbeten wird. X hat das Geld nicht, aber die Eltern von Y....

Was hier so merkwürdig klingt, ist einfach die Umkehrung von Geschlechtern, die von der Buchfassung KEINE ZWEITE CHANCE zur Mini-Serie NO SECOND CHANCE geschieht. Und zu dieser französischen Verfilmung werden nicht nur die Geschlechter getauscht, mindestens genauso wichtig, ist, daß die Handlung nicht mehr in den USA spielt, sondern in Frankreich, eigentlich wollte ich schreiben: Europa, denn es geht gar nicht mal um das spezifisch Französische, warum uns diese Mini-Serie zu mitternächtlichen Stunde so gut gefiel, daß wir uns alle zwei DVDs mit insgesamt sechs Episoden hintereinander ‚reinzogen‘, was Zeit braucht.

Alexandra Lamy spielt die junge Mutter und Ärztin Dr. Alice Lambert, die also im Roman der Schönheitschirurg Marc Seidmann ist. Beide haben einen Mordversuch über viele Tage auf der Intensivstation überlebt. Wir bleiben jetzt bei der Verfilmung, die psychologisch fein austariert ist. Natürlich ist auch die Suche eines Vaters nach seinem klitzekleinen Kind wahrscheinlich und dramatisch, aber es bleibt die Mutterliebe einer jungen Frau, die den Mann durch Mord und die Tochter durch Entführung verloren hat und die nun auf Teufel komm raus nach ihr sucht, theatralisch auf dem Bildschirm einfach sinniger. Jede Träne, jeder Schluchzer – und das ist jetzt gar nicht ironisch gemeint, sondern die Feminisierung der Rolle paßt einfach. Was sich nach und nach herausstellt, ist, daß es in der Ehe nicht bestens stand. Das allerdings gilt stärker für den amerikanischen Buchhelden, der deutlich sagt, daß ihm seine Frau auf die Nerven gegangen ist und er sich sicher war, sie nicht zu lieben, nie geliebt zu haben, Anlaß der Heirat war ihre Schwangerschaft, die – das entlarvt am Schluß eine Freundin – mit sicherer Inszenierung von der nun Toten so gewollt war.

Erneut finden wir die französische Version einfach eleganter. Denn die oft hilflose Suche von Alice, soll den Zuschauer auf ihre Seite ziehen – und tut es auch. Wenn ihr seltsame Dinge passieren, empfindet die Zuschauerin die Belastung fast selber, wie beispielsweise, als sich herausstellt, daß die junge Witwe im Auftrag ihres Ehemannes von einem Privatdetektiv überwacht wurde, den dieser bestellte, weil er auf ihre Ex-Freund eifersüchtig war, der sich telefonisch bei ihr gemeldet hatte, aber beim Ehemann gelandet war. Die Polizei hatte diesen Mann auf der Anrufliste identifiziert, ging aber vom Gespräch mit ihr aus, die von allem keine Ahnung hat.

Dieser Ex-Freund (Pascal Elbé) ist bei der Geheimpolizei, wird aber immer wieder in normale Kommissariate ausgeliehen, wie gerade jetzt, wo er im Aufklärungsteam der Kriminalpolizei mitmischt, also immer bestens informiert ist über deren Ergebnisse, was nicht viel hilft, denn es gibt einfach nichts, was auf die Spur des Mörders führt und die Suche nach der Tochter beenden kann.

Höchste Zeit von dem Anwalt zu sprechen, der als bester Freund des Ehepaares, nun den stabilen, hilfreichen Mann an der Seite von Alice gibt. Er war der Freund ihres Mannes seit Kindertagen, ist berufliche sehr erfolgreich, vor allem aber glücklich verheiratet und mit vielen Kindern gesegnet. Er ist das stabile Element im aufregenden Geschehen, denn das war ja nur die Ausgangssituation. Immer stärker gerät Alice selbst unter Verdacht, sowohl am Mord des Ehemannes wie auch dem spurlosen Verschwinden der Tochter. Als die Lösegeldforderung eintrifft, die von keiner zweiten Chance spricht (!), die Tochter wiederzusehen, wenn sie die Polizei einschaltet. Doch eher zufällig kommt es dazu.

Höchste Zeit von den Schwiegereltern zu sprechen, Teil der hochgestochenen französischen Elite mit sehr viel Geld. Daß dort was nicht stimmt und eine Eiseskälte von den Schwiegereltern gegenüber Alice ausgeht, spüren wir schon beim Zuschauen. Aber wir führen das – fälschlich – auf die Schwiegermutter zurück, die auch etwas gegen die Millionen hat, die den Entführern von ihnen gezahlt wird und verweigert weitere Zahlungen: es sei kein Geld mehr da. Erst ganz am Schluß wird das familiäre Desaster deutlich, daß auch die emotionalen Schwierigkeiten von Alices Ehemann erklären. Wenn wir jetzt nur Mißbrauch sagen, weiß jeder, um was es geht.

Doch die eigentliche Geschichte ist eine andere, denn auf der Suche nach der Tochter, finden Alice und ihr Geheimdienstler – ganz günstig so eine Position als Mitstreiter, weil er einfach über die polizeilichen Informationen verfügt; andererseits verhält er sich immer wieder merkwürdig, so daß sich die Zuschauerin nicht sicher sein kann, ob der Typ wirklich sauber ist. Aber das gehört ja zu einem starken Thriller, daß die Verdachtsmomente im Zuschauer ständig wechseln. Einfach gut gemacht – doch die eigentliche Geschichte ist eine andere, da geht es um die organisierte Einreise von Schwangeren aus den osteuropäischen Ländern, die in Frankreich ohne Wissen des Staates ihre Kinder bekommen, die für viel Geld von den reichen Familien gekauft werden, wo eigene Kinder versagt sind.

Vielleicht ahnen Sie es schon, aber der Verlust der Tochter muß gar nichts mit den Lösegeldforderungen zu tun haben, wo psychopathische Typen viel Irrsinn und vor allem viel Todesschüsse in diese Geschichte bringen, also ziemlich viel Tote liegen bleiben, von denen wir sogar einige kennen, was aber jetzt nicht verraten werden darf.

Wir fanden die Verfilmung also ausgesprochen gut gemacht und insgesamt konzentrierter als das Buch auf den Punkt hin erzählt. Verrückt ist eben, daß durch die Verlagerung USA nach Frankreich und der Wechsel der Geschlechter sich das Buch nach dem Film spannender liest als vorher, weil die Bilder der Serie im Kopf einfach die amerikanische Version – ja, ja, das Original – durch den Vergleich wie auf einer Folie spannender wird.
Und noch was, ohne daß man jetzt schon sagen darf, welche Rolle er spielt: Autor Harlan Coben spielt in einem längeren Cameoauftritt mit!

Foto:
Cover

Info:
No second Chance (Une chance de trop, Frankreich 2015)
Regie: François Velle
Drehbuch: Delinda Jacobs, Patrick Renault, Emilie Clamart-Marsollat, Frédéric Chansel, Olivier Kohn, Kristel Mudry, Mehdi Ouahab, Sébastien Vitoux
Erfinder: Sydney Gallonde
LV: Harlan Coben: No second Chance, 2003 (Keine zweite Chance)
mit Alexandra Lamy, Pascal Elbé, Lionel Abelanski, Hippolyte Girardot, Charlotte Des Georges, Lionnel Astier, Samira Lachhab, Francis Renaud, Arielle Sémenoff, Geoffroy Thiébaut, Yoli Fuller, Jean-François Vlerick, Dana Delany, Harlan Coben

DVD
Polyband
Bild: 16:9 (1,78:1)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Französisch (Dolby Digital 2.0)
Untertitel: –
Bonusmaterial: –
Länge: 336 Minuten (6 Folgen auf 2 DVDs)
FSK: ab 16 Jahre

Roman:
Harlan Coben, Keine zweite Chance, Goldmann Verlag, 2005, 448 Seiten
ISBN 978 3 442 45689 5