burgunSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Januar 2022, Teil 15

Redaktion

Paris (Weltexpresso) –  Was hat Sie dazu gebracht, bei diesem Filmprojekt dabei zu sein?

Als ich das Drehbuch bekam, war ich sofort von dem Titel angezogen. (im Original: „Les Vétos“) In den 35 Jahren, in denen ich für das Kino arbeite, war dies das erste Mal, dass sich ein Projekt mit diesem Metier beschäftigt, das gerade für Kinder der Traumberuf schlechthin ist. Ich bewundere alle, die den Beruf ausüben, weil er ihnen so viele Entbehrungen abverlangt – und die Tiere können sich noch nicht einmal bedanken...! Dass noch nie jemand auf den Gedanken gekommen war, diese Leute zu den Helden eines Kinofilms zu machen, kam mir plötzlich völlig absurd vor. Schon bevor ich anfing, das Drehbuch zu lesen, fand ich die Idee großartig.


Weshalb?

Ich fand es eine sehr schlaue Idee, dass es um Tierärzte auf dem Land geht – das ist einfach ein Berufszweig, über den die meisten sehr wenig wissen. Und es macht die Geschichte sehr abwechslungsreich, weil die Krankheiten und die Techniken logischerweise immer wieder andere sind, je nachdem, ob ein Stier, ein Schaf oder ein Huhn der Patient ist. Aufgrund der finanziellen Misere, in der die ländliche Welt steckt, ist der Beruf längst nicht so gut bezahlt, wie man annehmen würde, und er ist vor allem sehr anstrengend, weil man ständig verfügbar sein muss, und wegen der weiten Wege zu den Terminen. Kein Wunder, dass die Landflucht der Mediziner auch die Tierärzte betrifft!

All das ist im Drehbuch auf sehr spannende Art und Weise zusammengemischt. Julie Manoukian hat die Story sehr gekonnt um die Geschichte eines Generationswechsels herum aufgebaut. Ich möchte noch hinzufügen, dass PLÖTZLICH AUFS LAND genau die Art von Film ist, die ich mag: einfach, ohne Arroganz, auf Augenhöhe mit den Menschen.


Muss man tierlieb sein, um einen Tierarzt spielen zu können?

Zum Glück muss man nicht dieselben Vorlieben wie seine Filmfigur haben, um eine Rolle spielen zu können. Ich hoffe, dass ich die Dreckskerle und Mörder, die ich im Lauf meiner Karriere gespielt habe, einigermaßen glaubhaft verkörpert habe, und ich kann Ihnen versichern, dass Morden, Stehlen und ein Fiesling zu sein nicht wirklich mein Ding sind. (lacht) Schauspieler sein heißt, dass man gleichzeitig ein Hansdampf in allen Gassen, neugierig und ein Taschenspieler sein muss. Auch wenn die Figur einem selbst vollkommen fremd ist, muss man doch den Eindruck erwecken, als ob man in ihr lebt. Man hat manchmal ein ganz kindliches Vergnügen daran, sich in einen Widerling zu verwandeln. So etwas vorzuspiegeln und eine Figur zusammenzubauen, hat etwas sehr Spielerisches. Um aufs Filmen zurückzukommen: Ich mag Tiere sehr gern, und Nico zu spielen, hat mir sehr viel Spaß gemacht!


Hatten Sie sich vor den Dreharbeiten mit dem Beruf beschäftigt?

Ein wenig. Ich habe einen Tierarzt einige Tage begleitet und ihm bei der Arbeit zugeschaut, vor allem aber ging es mir um die Psychologie. Bei so einem Beruf, bei dem es auf große Geschicklichkeit mit den Händen ankommt, geht es einem als Schauspieler weniger darum, exakt die Handbewegungen nachzuahmen, sondern vielmehr darum, vom unbewussten Teil zu erzählen, dem Gemütszustand der Figur und von ihrer Empathie. Wenn man sich eine bestimmte Bewegung aneignet, dann wird man das zwangsläufig weniger gut machen als ein gestandener Profi, und man weiß ja auch, dass man beim Dreh, wenn es um die Nahaufnahmen geht, gedoubelt wird. Auf alle Fälle steckt die Glaubwürdigkeit einer Figur nicht im bloßen Nachahmen dieser oder jener Geste, sondern in ihrem Charakter. Und das habe ich auf meine Weise nachzustellen versucht. Die Essenz der Dinge einzufangen und sie auf fassbare Weise wiederzugeben, ist ja genau das, was eine Rolle in der Realität verankert und ihr Wahrhaftigkeit gibt.


Was war für Sie das Schwierigste an diesem Dreh?

Beim Drehen ist nichts wirklich schwierig – letztendlich ist es immer ein Spiel und nicht das wahre Leben. Einen Tierarzt spielen, der am Ende seiner Kraft ist, und es in der Realität zu sein, ist nicht vergleichbar. Nehmen Sie eine Operation, die man in Film nachstellt, und eine echte Operation – da wird der Unterschied deutlich. Man muss es relativieren: Die Risiken, die man als Schauspieler eingeht, ob nun körperlich oder psychisch, sind kaum mit denen zu vergleichen, die Menschen im wirklichen Leben eingehen.

Beim Dreh ist es eigentlich ganz einfach – man muss aufmerksam sein und auf die Profis hören. Man stellt sich nicht einfach so vor einem Stier auf oder tritt nicht hinter eine Kuh ohne Vorsichtsmaßnahmen. Sie könnte ausschlagen oder sich auf einen fallen lassen und einen ersticken. Tatsächlich geht das größte Unfallrisiko für die Tierärzte auf dem Land nicht von den Tieren aus, nicht einmal von den wildesten von ihnen, sondern von ihren eigenen Autos. Es ist unglaublich, was sie für Strecken zurücklegen, und weil sie oft übermüdet sind, sind sie beim Fahren unfallgefährdet.


Kannten Sie das Morvan?

Nein. ich habe es erst beim Dreh entdeckt und fand es wunderbar. Es ist eine wunderschöne, ganz spärlich bevölkerte Gegend. Die Landschaft mit den sanften Tälern ist beeindruckend, und doch kann das Leben dort hart sein. Es herrscht Kontinentalklima, das heißt, die Winter sind oft sehr kalt und die Sommer drückend heiß. Die Bewohner sind gastfreundlich, unglaublich nett und sehr robust. Die Leute leben weit voneinander entfernt, und die Entfernungen zwischen den einzelnen Höfen und den Dörfern sind beachtlich. Um dort zu bleiben, muss man die Einsamkeit mögen. Es stehen sehr viele Häuser zum Verkauf. Die Umgebung ist für einen Schauspieler sehr wichtig, sie hat einen Einfluss darauf, wie man seine Rolle auffasst. Bei PLÖTZLICH AUFS LAND war das Morvan ideal dafür geeignet. Wir haben alle auf einem Campingplatz am Seeufer gelegt. Der Tagesanbruch bei Morgennebel war einfach magisch. Es war ein wenig wie in einem Ferienlager.


Wenn es wie im Ferienlager war, wer war Ihr Anführer?

Julie. Sie ist gleichzeitig die Sanftmut in Person und Rock’n’Roll. Weil sie auf jeden einzelnen Acht gibt, schafft sie Vertrauen. Sie arbeitet niemals mit Druck. Ihre Gutmütigkeit hat mich umso mehr beeindruckt, weil es ihr erster Film war. Sie hat es verstanden, sich mit einer Fünf-Sterne-Crew zu umgeben. Als ich Julie zum ersten Mal traf, sagte ich ihr: „Ihr Film interessiert mich sehr, aber bevor ich Ihnen meine endgütige Antwort gebe, sagen Sie mir, wer ihr Kameramann ist.“ Das war Thierry Pouget - einer der besten Leute überhaupt. Also habe ich ihr zugesagt. Beim Film ist der Kameramann eine der entscheidenden Personen. Das Licht und die Einstellungen müssen einfach stimmen. Selbst bei Ken Loach, der so viel Leid und die Ungerechtigkeit der Welt in seine Filme packt, ist das so. Es ist wichtig, damit es am Ende nicht wie ein Fernsehfilm aussieht. Selbst wenn es realistisch ist, muss es schöner sein als in der Realität. Die Ästhetik eines Films spricht das Unterbewusstsein des Zuschauers an. Und gerade wenn man in einer so wunderschönen Landschaft wie dieser dreht, möchte man sie nicht schlechter darstellen, als sie ist.


Was für eine Art Schauspieler sind Sie am Set?

Können Sie davon absehen, dass Sie auch selbst als Regisseur tätig sind? Ja, absolut. Ganz grundsätzlich bin ich ein Rekrut wie jeder andere, wenn ich im Film eines anderen Regisseurs mitspiele. Ich stelle mich in den Dienst seiner Vision. Ich höre zu, was er mir sagt, und versuche, es so gut wie möglich umzusetzen. Mein Ziel ist es, dass alles gut läuft und dass alle zufrieden sind: der Regisseur, meine Mitspieler, und die Crew. Wenn man mich nach meinem Rat fragt, gebe ich ihn aber natürlich gern.


Improvisieren Sie auch mal oder halten Sie sich immer an die Dialoge?

Wenn sie gut sind, ja. Und das war bei den Dialogen, die Julie geschrieben hat, der Fall. Die Dialoge, das Drehbuch – alles war gut geschrieben. Ihre Figuren haben alle einen Spannungsbogen, und die Geschichte bleibt spannend. Es gibt Höhen und Tiefen, damit der Zuschauer auch einmal durchatmen kann, aber ganz ohne die Schwachpunkte, die langweilen könnten. Julie hat instinktiv verstanden – was bei Regiedebütanten selten vorkommt – dass man nicht zu viel erklären und nicht zu viel in die Geschichte hineinpacken soll. Ihre Texte haben nicht ein Wort zu viel. Sie sind geradlinig, nicht übertrieben dramatisch und auch nicht aufgesetzt komisch - alles ist da, wo es hingehört.


Wenn man sich den Film anschaut, hat an den Eindruck, dass alle Darsteller am selben Strang gezogen haben...

Das höre ich gern, dass man es merkt, denn genau so war es. Julie hat es verstanden, uns zu einem Bund zusammenzuschweißen. Als Debütantin hat sie etwas geschafft, an dem gestandene Regisseure scheitern, was aber ganz wesentlich für die Glaubwürdigkeit der Geschichte ist: dass das Ensemble eine echte Einheit ist und zusammensteht. Wir haben wie bei einer Theaterinszenierung gespielt, mit einem echten Gemeinschaftsgefühl. Ich kannte Noémie Schmidt vorher nicht, und für mich ist sie die Entdeckung des Films. Es hat auch sehr viel Spaß gemacht, an der Seite von Lilou Fogli ihren Ehemann zu spielen. Und weil es sich von selbst versteht, brauche ich mich eigentlich gar nicht darüber auszulassen, was für ein Riesenglück es war, mit einem solchen Ausbund an Menschlichkeit, Witz und Weisheit wie Michel Jonasz gemeinsam vor der Kamera zu stehen.

Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG
Nico             Clovis Cornillac
Alexandra    Noémie Schmidt
Lila              Carole Franck
Marco          Matthieu Sampeur
Zelda           Juliane Lepoureau
Nath            Lilou Fogli
Morille         Christian Sinniger
Michel         Michel Jonasz

STAB
Regie          Julie Manoukian
Drehbuch   Julie Manoukian

Abdruck aus dem Presseheft