Zwei diametral unterschiedliche Filme am Mittwoch, 12. Januar im Kino des DFF Frankfurt, Teil 1/5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eigentlich wollte ich mir den deutschen Spielfilm DAS SCHWARZE QUADRAT um 20.15 h anschauen, der in den Coronajahren schlechte Karten hatte, weil die Pandemie den Filmen besonders übel mitgespielt hat, bzw. den Zuschauern, die entweder nicht konnten, nicht wollten, nicht durften, wenn denn die Filme tatsächlich anliefen. Und, um das gleich zu sagen, es hat sich auch wirklich gelohnt, aber das eigentliche Ereignis geschah für mich davor, als ich, nur um dabei dielängere Anfahrt zu nutzen, auch schon den Film um 18 Uhr anschaute, den ungarischen Spielfilm 1945 – und hingerissen war.
Hingerissen bezieht sich auf die schwarzweiße Machart, von der man nicht glauben mag, daß der Film aus dem Jahr 2017 stammt; für den Filminhalt fallen einem eher Begriffe ein wie: erschütternd, betroffen, entsetzt, schockiert, ergriffen, auch wütend – suchen Sie sich einen aus und Sie werden dennoch nicht die Dimension des Geschehens in Worten wiedergeben können.
Was man in Frankfurt beim Filmzuschauen als erstes denkt, ist der Zusammenhang mit den Ausstellungen im Historischen Museum: FRANKFURT UND DER NS, in denen endlich davon die Rede ist, wie das Wegschauen der Einwohner beim Abtransport der jüdischen Mitbürger und das Sich-aneignen ihres Hausrats, ihrer Bilder, ihrer Wohnung und Häuser durch ‚arische‘ Herrenmenschen still, heimlich, leise und erfolgreich von statten ging.Und nie richtig geahndet wurde, auch deshalb weil die meisten der Deportierten ermordet wurden. Dieser Film ist jedoch Begleitprogramm zu einer anderen wichtigen Frankfurter Ausstellung: UNSER MUT. Juden in Europa 1945-1948 im Jüdischen Museum Frankfurt. Leider konnten wir die Ausstellung noch nicht sehen, was wir nach diesem Film noch mehr bedauern – kommt aber noch! Dieser Ausstellungstitel ist aber wichtig, weil einem klar wird, daß es grundsätzlich darum geht, wenn und ob Überlebende des Massenmordes per Gas und anderen Todesarten, die allen Grund haben, das Land ihrer Peiniger zu meiden, zurückkommen - und was dann passiert.
Normalerweise denken wir dabei an deutsche Länder, obwohl wir ja wissen, daß nicht nur angrenzende Länder von Deutschen okkupiert wurden, sondern auch einige bei der Judenverfolgung und -vernichtung fleißig mitmachten. Dabei ist Ungarn immer mitgenannt. Dieser Film zeigt, warum und er zeigt es auf kluge, unterschwellige Art, eine psychosoziale Studie, die unter die Haut geht, weil das Eigentliche gar nicht ausgesprochen wird, sondern sich in den Verhaltensweisen der Bewohner dieses Ortes direkt nach dem Kriegsende zeigen, wo die russische Besatzung eine weitere Obrigkeit bringt, nachdem die faschistischen Deutschen und ihre Anhänger im Dorf diese jahrelang ausgeübt hatten.
Daß allerdings keine neuen Besen kehren, sondern der alte Patriarch auch jetzt noch sein System von Teile und Herrsche ausübt, ist so schlicht wie durchschlagend gezeigt, wobei den Film ununterbrochen ein Klima von Angst, von Unsicherheit, von drohendem Unheil begleitet, was sich im Zuschauer fortsetzt, der auf den Knall vorbereitet wird, der auch kommt. Aber erst einmal fängt es traditionell an mit der Erwartung eines Bahnhofvorstands, der den nächsten Zug am Morgen erwartet. So oft kommt nämlich keiner aus der Hauptstadt vorbei. Der Rückzug fährt um 15 Uhr ab.
Man sieht den russischen Patrouillewagen mit den jungen Kerlen, die ja eigentlich Befreier sind, aber doch auch die neue Besatzung darstellen und sich so siegesgewiß geben, man sieht einen von einem Pferd gezogenen Leiterwagen mit einem alten und einem jungen Mann, alle warten auf den Zug, aber eigentlich auf die zwei Männer, die aussteigen. Der eine ist sofort als alter Jude kenntlich, Hermann Sámuel, der andere ein junger Mann mit Schiebermütze, den man für seinen Sohn hält ( Iván Angelus und Marcell Nagy, im Bild rechts). Sie haben zwei Koffer dabei, die sorgfältig auf den Wagen gelegt werden, der nun ins Dorf fährt, wobei die beiden Männer zu Fuß gehen, was eine Stunde dauern soll.
Warum dies den Stationsvorsteher in Panik versetzt, ahnt man, weiß es am Schluß. Er informiert den Dorfoberen, den Großgrundbesitzer Szentes, das alte und neue Machtzentrum am Ort, wobei die Kommandozentrale sich in der Drogerie befindet, die er führt. Der Patriarch kapiert sofort – und wir sehr bald auch. Es herrscht die nackte Angst, daß die Juden aus dem Dorf, die Teile der Bevölkerung bei den Nazis angeschwärzt, verraten, verkauft haben, zurückkehren und ihr Eigentum wieder haben wollen. Längst nämlich hatten sich den jüdischen Besitz gerade die angeeignet, die fälschlich die alten Bewohner Verbrechen bezichtigt hatten, als ob es nicht gelangt hätte, jüdisch zu sein, was schon ab irgendwann ein Todesurteil war, gab es einzelne, die mit Lügen denunziert hatten. Es ist ein Sammelsurium von Motiven, Gefühlen, Angst, das nun das korrumpierte Dorf in Aufruhr versetzt.
Dabei sind die Rollen fein verteilt. Mal ist die Gattin des Oberwichtlings, der ein wenig wie bei Heinrich Manns UNTERTAN die obrigkeitsstaatliche Macht verkörpert, der sich andere freiwillig unterwerfen, wozu immer das perfekte Rasieren mit Schaum und mindestens einem Schnitt gehört, mal also ist sie diejenige, die ihren Mann durchschaut und verachtet, dies allerdings nicht aktiv, sondern passiv, hier durch Nichtaufstehenwollen dokumentiert, mal ist es eine von denen, die sich in edlen Häusern niedergelassen haben, die nun in den Rückkehrern die Aggressoren und Verbrecher sehen. Schließlich haben sie doch Papiere, daß sie die Häuser besitzen! Wir lernen auf diese Weise eine Menge Leute kennen – und sofort einschätzen. Das ist vom Regisseur Ferenc Török großartig gemacht. Der Regisseur ist in Budapest 1971 geboren und hat dort ein Studium der Film- und Fernsehregie abgeschlossen und ist längst über Preise auf weltweiten Filmfestivals bekannt geworden. Sein Film 1945 wurde auf der Berlinale in der Sektion Panorama gezeigt.
Dem Pferdewagen mit den Männern, die immer weiter schreiten – man kann gar nicht anders, als die Kombination von Zug, Bahnhof, Pferde, heißer gleißender Landschaft mit High Noon wahrzunehmen, werden die Szenen im Dorf gegengeschnitten, wobei das Ereignis des Tages die Hochzeit des Sohnes des Dorfhäuptlings ist. Der ist das moralische Gegenbild des Vaters, aber eben noch ein junger unfertiger Mann, der weiß, daß er die falsche Frau heiraten wird, in die er verliebt ist, sie aber nicht in ihn, denn noch am Hochzeitstag schläft Kisrózsi (Dóra Sztarenki) mit ihrem eigentlichen Liebhaber, einem windigen Kerl, der mit den neuen Machthabern paktiert und dem Patriachen gegenüber aufmüpfig ist, was uns natürlich gefällt, aber eher opportunistisch in die Zukunft gerichtet ist.
Die müde Mutter sagt der geplanten Schwiegertochter auf den Kopf zu, daß sie nicht den Sohn, sondern die Drogerie liebt und was wir dann am Ende der Fahrt des Pferdefuhrwerks sehen, treibt uns die Tränen in die Augen. Daß sich die sitzengelassene Braut auf dümmliche Art rächt, zeigt, daß in der neuen Generation Rache und Gemeinheit fortsetzt. Denn das ist wirklich ein Ende mit Schrecken für die Dorfbewohner, während die jüdischen Besucher um 15 Uhr wieder fortfahren und im Zug der junge Nichtehemann einer sicher besseren Zukunft entgegenfährt.
Ist das nicht unglaublich, daß solch ein Film nach 72 Jahre nach 1945 derart frisch und neu und nötig ist. Unglaublich auch, daß er nicht mit großem Erfolg in deutschen Kinos läuft! Und unglaublich dazu, wo eigentlich unsere deutschen Filme über die Nutznießer und Mittäter der Nazis waren und sind.
Foto:
Verleih
Info:
1945
Regie: Ferenc Török
Ungarn 2017
Ungarisch
91 Min · Schwarz-Weiß