Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. Januar 2022, Teil 5
Pablo Larraín
London (Weltexpresso) - Wir alle sind seit Kindertagen mit Märchen vertraut, doch Diana Spencer veränderte deren Paradigmen und die idealisierten
Vorbilder der Popkultur von Grund auf. Dies ist die Geschichte einer Prinzessin, die nicht Königin werden wollte, sondern sich eine eigene Identität erschuf. Sie stellte die Märchenwelt auf den Kopf. Bis heute bin ich von ihrer Entscheidung, die für sie extrem hart gewesen sein muss, überrascht. Dieser Schritt bildet das Herzstück des Films.
Ich wollte Dianas Entscheidungsprozess beleuchten, das Schwanken zwischen Zweifeln und Entschlossenheit bis zum letztendlichen Befreiungsschlag für sie selbst und ihre Kinder. Ihre Entscheidung wurde ihr Vermächtnis: Dieses Bekenntnis zu Ehrlichkeit und Menschlichkeit ist bis heute beispiellos.
Die Arbeit an JACKIE: DIE FIRST LADY (2016) war ein weiterer Grund, weshalb ich die Persönlichkeiten von Frauen, die das Gesicht des 20. Jahrhunderts entscheidend prägten, analysieren und darstellen wollte. Beide, Diana und Jackie, schufen sich eine eigene Identität, die sich nur bedingt aus der Lebenswelt ihrer Ehemänner speiste. Jede von ihnen wusste die Medien ihrer Zeit auf ihre eigene Weise zu nutzen, um der Außenwelt ein bestimmtes Bild von sich zu vermitteln.
Als Diana beschließt, Charles zu verlassen und der königlichen Familie und dem damit verbundenen Leben den Rücken zu kehren, trifft sie diese Entscheidung für sich selbst, denn ihr ist klar geworden, dass ihr die eigene Identität wichtiger ist als die der Königsfamilie oder der Nation. Sie trifft sie nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus innerer Notwendigkeit. Sie lebt in einem Umfeld, das sie erdrückt und herabsetzt und vor dem sie sich und ihre Kinder schützen muss. Dianas Entscheidungsprozess, ihr Schwanken zwischen Zweifeln und Entschlossenheit, der sich in den Weihnachtstagen auf Sandringham verdichtet, mag nur einen verknappten Einblick in ihr Leben gewähren, steht aber exemplarisch für ein großes Ganzes. Wenige Tage spiegeln ein Leben wider.
In Zeitungen, Zeitschriften und Büchern finden sich unendlich viele Geschichten und Berichte über Diana. Einige entsprechen der Wahrheit, andere nicht. Wir haben zu ihrer Person, den königlichen Weihnachtsbräuchen sowie den Anekdoten über die Geister von Sandringham intensiv recherchiert. Aber das Schweigen der Königsfamilie ist legendär. Selbst wenn sich ihre Mitglieder zu bestimmten Anlässen in der Öffentlichkeit zeigen, irgendwann
schließen sich die Türen, und von da an bleibt alles, was dahinter geschieht, ein Geheimnis. Dies ruft die menschliche Vorstellungskraft auf den Plan. Darin bestand unsere Arbeit.
Wir wollten kein Doku-Drama machen, sondern aus Elementen der Realität und unserer eigenen Vorstellung das Leben einer Frau mit den Mitteln des Kinos erzählen. Genau das ist das Fantastische am Kino: Es lässt Raum für Fantasie. Natürlich sind für einen Spielfilm wie diesen, der so durch seine Figuren lebt, die Schauspieler entscheidend. Um eine Person zu erschaffen, die jeder zu kennen glaubt, war ein gutes Arbeitsverhältnis zwischen der Hauptdarstellerin, der Kamerafrau und mir entscheidend.
Kristen Stewart gehört zur Riege der großen Schauspielerinnen unserer Zeit. Sie hat diesen Status erreicht, weil sie etwas mitbringt, was in Filmen sehr wichtig ist: eine Aura des Geheimnisvollen. Kristen kann Vieles sein: sehr rätselhaft, sehr verletzlich, aber eben auch sehr stark, und genau das war es, wonach wir suchten. Weil sie all diese Eigenschaften kombiniert, dachte ich bei der Besetzung Dianas gleich an sie. Es war sehr schön mitzuerleben, wie sie auf das Drehbuch reagierte und an ihre Figur heranging. Es ist ihr gelungen, etwas Atemberaubendes und Faszinierendes zu erschaffen. Wenn ein Filmemacher sieht, dass eine Schauspielerin allein mit ihrem Blick eine derart dramatische und erzählerische Intensität vermitteln kann, braucht er nicht weiter zu suchen. Er hat eine Hauptdarstellerin gefunden, die all seine Hoffnungen und Erwartungen erfüllt. Kristen ist eine Naturgewalt.
Bei der Figurenzeichnung lag uns nicht daran, Dianas wohlbekanntes Image nachzubilden. Vielmehr wollten wir mit den Stilmitteln des Kinos, Zeit, Raum und Ton, eine innere Welt erschaffen, die die Rätselhaftigkeit und die Fragilität ihres Charakters vermittelt. Diese beiden Eigenschaften sind in den Szenen, die Elemente des Übernatürlichen aufweisen, besonders augenscheinlich. Hierbei wollte ich jedoch nicht ins Paranormale oder Absurde abgleiten, sondern Dianas Innenleben abbilden. In allem, was sie sieht, spiegeln sich ihre Erinnerungen, ihre Ängste und Wünsche, ja, vielleicht sogar ihre Illusionen. Die Elemente des Übernatürlichen reflektieren ihre Befindlichkeit und auf diese Weise eine Verletzlichkeit von betörender Schönheit.
Foto:
Der Regisseur und sein Star
©t-online.de
Info:
Spencer (Deutschland, Großbritannien 2021)
Originaltitel: Spencer
Genre: Drama, Biopic
Filmlänge: ca. 117 Min.
Regie: Pablo Larraín
Drehbuch: Steven Knight
Darsteller: Kristen Stewart, Timothy Spall, Jack Farthing, Sally Hawkins, Sean Harris, Richard Sammel, Amy Manson, Jack Nielen, Freddie Spry u.a.
Abdruck aus dem Presseheft