forum expanded combit Internationale Filmfestspiele Berlin, BERLINALE 10.-20. Februar 2022, Teil 11

Romana Reich

Berlin (Weltexpresso) - Sich näher am Boden bewegen, den Dingen auf den Grund gehen, genau hinschauen und -hören, wahrnehmen, was in nächster Nähe, oft unerkannt, passiert: In diesem Zeichen steht die 17. Ausgabe des Forum Expanded und die Auswahl von Filmen, Installationen und Performances, die im Kino Arsenal, im silent green Kulturquartier, in der Botschaft von Kanada, bei SAVVY Contemporary sowie erstmals im Zeiss-Großplanetarium im Rahmen der Berlinale präsentiert werden.  

Sich näher am Boden bewegen, den Dingen auf den Grund gehen, genau hinschauen und -hören, wahrnehmen, was in nächster Nähe, oft unerkannt, passiert: In diesem Zeichen steht die 17. Ausgabe des Forum Expanded und die Auswahl von Filmen, Installationen und Performances, die im Kino Arsenal, im silent green Kulturquartier, in der Botschaft von Kanada, bei SAVVY Contemporary sowie erstmals im Zeiss-Großplanetarium im Rahmen der Berlinale präsentiert werden.

In seinem Film Kumbuka setzt sich Petna Ndaliko Katondolo erneut mit dem kolonialen Bilderbe auseinander: Zwei kongolesische Filmemacher*innen versuchen sich an einem Neuschnitt eines niederländischen Dokumentarfilms, in dem sie als Protagonist*innen auftreten und der sie, wie sie finden, aus eurozentrischer Sicht verzerrt darstellt. Katondolo nutzt diese tatsächliche Begebenheit für eine breiter angelegte Untersuchung filmischer Darstellungstropen des afrikanischen Kontinents. Wie sich koloniale, rassistische Stereotype in die bildgebende Technologie selbst einschreiben, arbeitet Musquiqui Chihying in seiner Installation The Lighting anhand sowohl digitaler als auch analoger Medien heraus. Neben Kodak-Filmmaterial aus den 1970er-Jahren und den Belichtungseigenschaften digitaler Fotokameras wird auch ein Aufhellungsalgorithmus zum Gegenstand, der sich als Handy-App in Afrika großer Beliebtheit erfreut.

Das lange Nachwirken – nicht nur kolonialer – politischer und wirtschaftlicher Setzungen findet metaphorisch und praktisch in der Auseinandersetzung mit Radioaktivität seine Entsprechung. Alex Gerbaulet und Mareike Bernien untersuchen mit der Wismut AG einen Teil deutscher Nukleargeschichte. In Sonne Unter Tage zeichnen sie anhand der Uranfunde in Thüringen und Sachsen auch eine politische Geschichte des geteilten Deutschlands. Und auch in der kanadischen Provinz finden sich neben heiligen Kühen und jugendlichen Zombies Spuren des Uranabbaus, so zu sehen im Essayfilm Surface Rites von Parastoo Anoushahpour, Faraz Anoushahpour und Ryan Ferko.

Halbwertzeiten jenseits menschlicher Vorstellungskraft öffnen den Blick in mögliche Zukünfte. Die Filmemacherin und Performerin Liz Rosenfeld tut dies mit White Sands Crystal Foxes in 360°: Im Zeiss-Großplanetarium im Prenzlauer Berg zeigt sie in einer Kuppelprojektion eine queere Zukunftsfantasie, die in einer Zeit spielt, in der Füchse als einzige Spezies noch zur Reproduktion fähig sind und aus menschlichen Sekreten vor Energie berstende Kristalle gewonnen werden. Eine performative Lesung der Künstlerin erweitert das Filmscreening.

Der Arbeitsalltag einer Todesdoula – einer Frau, deren Beruf es ist, verstorbene Menschen auf ihrer letzten Reise vorzubereiten – ist Thema des performativen Films One Big Bag von Every Ocean Hughes. Mohammadreza Farzad stellt sich und uns in Majmouan (Subtotals) die Frage, wie sich ein Leben in Zahlen erzählen lässt. Auch in weiteren Arbeiten ist die Trauer über Verlust und erzwungene Abwesenheiten ein zentrales Motiv – die anhaltende Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen und schlägt sich auch in dezentralen Produktionszusammenhängen und filmischen Kollaborationen via Social Media und Zoom nieder: Die sich in und über drei Sprachen hinweg entfaltende Konversation in If from Every Tongue It Drips (Sharlene Bamboat) wird zwischen Sri Lanka, Kanada und Schottland geführt und für Diva nimmt der französische Künstler Nicolas Cilins per Fanbrief Kontakt mit einem vietnamesischen Social Media-Star auf. Ein Anarbeiten gegen geografische und pandemiebedingte Grenzen.

In der Gruppenausstellung in der Betonhalle des silent green Kulturquartier sind neben den für das Forum Expanded 2021 ausgewählten Arbeiten und der Arbeit von Musquiqui Chihying weitere Installationen von Abdi Osman und Siska zu sehen.

Im Marshall McLuhan Salon der Botschaft von Kanada ist die Videoarbeit VCR’s Choice von Charlton Diaz zu sehen, die anhand obsoleter VHS-Technik queere Medienarchäologie betreibt.

SAVVY Contemporary präsentiert im Rahmen von Forum Expanded die Ausstellung The Wind in Your Body Is Only Visiting, Your Breath Will Soon Be Thunder der Künstlerin Pallavi Paul.

Kuratiert von Ala Younis und Uli Ziemons (Co-Leitung), Karina Griffith, Shai Heredia und Maha Maamoun. SAVVY Contemporary: Hajra Haider, Abhishek Nilamber und Laura Kloeckner

Filme

Devil’s Peak
USA
von Simon Liu
Internationale Premiere

Diva
Schweiz
von Nicolas Cilins
Weltpremiere

Fire Emergencies
USA
von Kevin Jerome Everson
Weltpremiere

Gazing... Unseeing
Niederlande / Ägypten
von Mohamed Abdelkarim
Weltpremiere

Home When You Return
USA
von Carl Elsaesser
Internationale Premiere

If from Every Tongue It Drips
Kanada / Vereinigtes Königreich / Sri Lanka
von Sharlene Bamboat
Europäische Premiere

If Revolution Is a Sickness
USA / Polen
von Diane Severin Nguyen
Weltpremiere

Instant Life
Deutschland
von Anja Dornieden, Juan David González Monroy, Andrew Kim
Weltpremiere

Jail Bird in a Peacock Chair
Deutschland / USA
von James Gregory Atkinson
Europäische Premiere

Kumbuka
USA / Niederlande / Demokratische Republik Kongo
von Petna Ndaliko Katondolo

Majmouan (Subtotals)
Iran / Polen
von Mohammadreza Farzad
Weltpremiere

Moune Ô
Belgien
von Maxime Jean-Baptiste
Weltpremiere

Mun koti (My Home)
Finnland
von Azar Saiyar
Weltpremiere

MU/T/T/ER
Vereinigtes Königreich
von Esther Kondo Heller

O dente do dragão (Dragon Tooth)
Brasilien
von Rafael Castanheira Parrode
Weltpremiere

One Big Bag
USA / Vereinigtes Königreich
von Every Ocean Hughes
Weltpremiere

Parasite Family
Thailand
von Prapat Jiwarangsan
Weltpremiere

Sab changa si (All Was Good)
Indien
von Teresa A Braggs
Weltpremiere

Sol in the Dark
Frankreich
von Mawena Yehouessi
Weltpremiere

Sonne Unter Tage
Deutschland
von Mareike Bernien, Alex Gerbaulet
Weltpremiere

Surface Rites
Kanada
von Parastoo Anoushahpour, Faraz Anoushahpour, Ryan Ferko
Weltpremiere

vs
Österreich
von Lydia Nsiah
Weltpremiere

Yarokamena
Kolumbien/ Portugal
von Andrés Jurado
Weltpremiere

Screening und Performance im Zeiss-Großplanetarium

White Sands Crystal Foxes
Deutschland
von Liz Rosenfeld
Weltpremiere
Begleitet von der Performance The Shimmer


Gruppenausstellung in der Betonhalle des silent green Kulturquartier

09.02. - 13.03.2022

All of Your Stars Are But Dust on My Shoes
Libanon
von Haig Aivazian
Internationale Premiere

Black Beauty: For a Shamanic Cinema
Vereinigtes Königreich / Belgien / Spanien
von Grace Ndiritu

Jole Dobe Na (Those Who Do Not Drown)
Indien / USA / Japan / Schweden
von Naeem Mohaiemen

Das Kino Projekt
Deutschland
von Siska
Weltpremiere

The Lighting
Deutschland / Taiwan / Togo
von Musquiqui Chihying
Europäische Premiere

Medicine and Magic
Kanada
von Thirza Cuthand
Europäische Premiere

Onder het witte masker: de film die Haesaerts had kunnen maken (Under the White Mask: The Film That Haesaerts Could Have Made)
Belgien
von Matthias De Groof

Se hace camino al andar (The Path Is Made by Walking)
Brasilien
von Paula Gaitán
Europäische Premiere

Shadowboxing
Kanada
von Abdi Osman
Internationale Premiere

The Song of the Shirt
Deutschland
von Kerstin Schroedinger
Weltpremiere

Voices and Shells
Deutschland
von Maya Schweizer

The Wake
Haiti / Frankreich / Vereinigtes Königreich
von The Living and the Dead Ensemble

The Zama Zama Project
USA / Südafrika / Kanada
von Rosalind Morris
Weltpremiere

Ausstellung im Marshall McLuhan Salon der Botschaft von Kanada

10.02. - 20.02.2022


VCR’s Choice (Wahl des Videorecorders)
Kanada
von Charlton Diaz
Europäische Premiere


Ausstellung bei SAVVY Contemporary

09.02.- 06.03.2022

The Wind in Your Body Is Only Visiting, Your Breath Will Soon Be Thunder
Indien / Deutschland
von Pallavi Paul
Weltpremiere

Foto:
One Big Bag by Every Ocean Hughes © Every Ocean Hughes