Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Februar 2022, Teil 9
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) - Sommer 1940: Der Journalist Ludwig Kirsch (Volker Bruch), der auf der schwarzen Liste der Nazis steht, ist zusammen mit seinem 12jährigen Sohn Rolf (Julius Weckauf) im Süden Frankreichs gestrandet, während seine Frau Katja (Anna Maria Mühe) es schon in die USA geschafft hat und in New York auf die beiden wartet.
Jetzt will Kirsch versuchen zusammen mit seinem Sohn über die Pyrenäen nach Spanien und dann weiter nach Lissabon zu fliehen, um dort ein Schiff in die USA zu erreichen. Sie treffen sich in Banyuls-sur-Mer mit dem Schleuser-Paar Theo (Lucas Prisor) und Luisa (Maria Pau Pigem), die ihnen das elternlose 12jährige Madchen Núria (Nonna Cardoner) als Begleiterin vermittelt. Núria ist diesen Weg schon vorher mit anderen Flüchtlingen gegangen.
Rolf ist zwar ein intelligenter Junge, aber er ist doch etwas überbetreut und besitzt mehr Fantasie als unter den Bedingungen gut für ihn ist. Er liebt den Roman "Der 35. Mai" von Erich Kästner, das Buch, das er immer mit sich herumschleppt, hat sogar eine persönliche Widmung. Daneben liebt er besonders seinen Terrier Adi, der nicht unbedingt gut erzogen ist. Er hat aber seiner Mutter versprochen, ihr den Hund nach Amerika zu bringen. Deshalb ist er nicht begeistert, dass er Adi in Frankreich zurücklassen soll und nimmt ihn heimlich in seinem Rucksack mit.
Durch einen Zwischenfall - am dem der Terrier nicht unwesentlich beteiligt ist - wird der Vater von einer deutschen Patrouille festgenommen. Er gibt Rolf vorher noch die gefälschten Ausreisepapiere und eine Zahnpasta-Tube, in der ein Diamant versteckt ist. Unterwegs erfährt Núria von Esther (Bruna Cusí), dass ihre Eltern wohl noch leben und sich dem Widerstand angeschlossen haben.
Jetzt müssen die Kinder zusammen halten und versuchen, sowohl die Eltern von Núria zu finden als auch Rolf nach Spanien zu bringen. Dabei lernen die beiden Jugendlichen, dass es unterwegs auch andere Menschen wie Esther (Bruna Cusí) gibt, denen sie vertrauen können und die ihnen helfen. Aber letztendlich sind es Rolf und Núria, die sich für den für sie richtigen Weg entscheiden müssen...
Das Drehbuch von Rüdiger Bertram und Jytte-Merle Böhrnsen geht auf Rüdiger Bertrams Jugendroman Der Pfad - Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit (2017) zurück. Regie führt Tobias Wittmann. Es gibt allerdings doch einige Veränderungen zum Jugendroman. Vor allem ist es nicht der Hirtenjunge Manuel, der Rolf und seinen Vater nach Spanien bringen soll, sondern das Mädchen Núria, das vergrößert dann in einigen Szenen das Konfliktpotential.
Die Dreharbeiten fanden vom 15. September bis 22. Oktober 2020 in Spanien und vom 29. Oktober bis 5. November 2020 in Deutschland statt. Das Drama wurde hauptsächlich in den spanischen Pyrenäen gedreht, und nicht auf dem direkten Pfad, da Núria und Rolf ja letztendlich nach Foix wollen. Als Sets dienten das verlassene Dorf Jánovas in der Provinz Huesca sowie dessen Umgebung. Daneben wurde im Naturpark Posets-Maladeta, auf einem Bergpfad in der Gegend von Baqueira Beret und in der Gegend um Lleida sowie in der Altstadt von Girona gefilmt. Außerdem gab es noch einige Drehs in NRW, wie in der Zwergenhöhle in Lindlar-Scheel, in einem Zugabteil im Eisenbahnmuseum Bochum sowie in einer Fabrikhalle in Engelskirchen-Ründeroth für Rolfs Ankunft am Hafen von New York.
"Der Pfad" ist nicht der erste Jugendfilm über unbegleitete Flüchtlingskinder in Europa während des 2. Weltkriegs, der in den letzten Jahren entstanden ist und der die traumatischen Erfahrungen von Verfolgung und Flucht aus der Sicht seiner jungen Protagonisten schildert.
Der bekannteste Film ist vermutlich der französische Film "Belle & Sebastian" (2013), in dem jüdischen Flüchtlingen von Frankreich aus in die Schweiz geholfen wird. Im österreichischen Fernsehfilm "Die Kinder der Villa Emma" (2016) fliehen Kinder und Jugendliche aus Österreich und Deutschland über Kroatien, Slowenien und Italien in die Schweiz, ebenso wie im französischen Jugendfilm "Fannys Reise" (2016), in dem sich die Kinder und Jugendlichen auch allein in die Schweiz durchschlagen müssen. 2020 ist dann der britische Film "Nur ein einziges Leben" (nach dem Jugendroman Warten auf Anja von Michael Morpugo), in dem ein junger Schäfer unter den Augen der deutschen Soldaten hilft, eine Gruppe jüdischer Kinder über die Pyrenäen nach Spanien zu bringen.
Im Gegensatz zu den oben genannten Filmen für die jugendliche Zielgruppe geht es bei "Der Pfad" nicht um jüdische Kinder, sondern Rolfs Vater Ludwig Kirsch ist ein bekannter Journalist, der sich wegen seiner regimekritischen Artikel in Deutschland und in den von den Nazis besetzten Gebieten auf der schwarzen Liste befindet und überall dort auch verfolgt wird (die Namensähnlichkeit zum 'rasenden Reporter' Egon Erwin Kisch ist ganz sicher nicht zufällig).
Der Film hat einen wahren Hintergrund, denn die österreichische Widerstandskämpferin Lisa Fittko hat zusammen mit ihrem deutschen Mann Hans vom südfranzösischen Banyuls-sur-Mer aus vielen von den Nationalsozialisten verfolgten Menschen (u.a. Walter Benjamin) über die Pyrenäen zur Flucht von Frankreich nach Spanien geholfen. Fittkos Memoiren Mein Weg über die Pyrenäen, Erinnerungen 1940/41 (1985) haben Rüdiger Bertram zu seinem Buch inspiriert, das wiederum die Grundlage des Films ist.
Regisseur Tobias Wiemann konnte mit Julius Weckauf als Rolf und Nonna Cardoner als Núria zwei junge Schauspieler gewinnen, die in ihren Rollen überzeugen.
Julius Weckauf spielt Rolf mit dem kindlichen Charme eines Jungen, der trotz aller Widrigkeiten sehr behütet aufgewachsen ist. Er glaubt unbedingt an das, was ihm seine Eltern gesagt haben (deshalb muss der Hund Adi auch mit, obwohl es sehr gefährlich ist). Außerdem hat er eine blühende Fantasie, in der er alle Probleme unbekümmert meistert. Später hält er ab und zu Zwiegespräche mit seinem abwesenden Vater Ludwig Kirsch, der ihn immer wieder aufmuntert und stärkt.
Nonna Cardoners Núria dagegen ist zu Beginn viel ernster und barscher als der überbehütete Junge aus der Großstadt, aber natürlich lernen die beiden während ihres Zusammenseins voneinander. Im Laufe der Flucht muss Rolf lernen, erwachsener zu werden und sich den Gegebenheiten zu stellen und Núria gewinnt ein Stückchen kindliche Ausgelassenheit zurück. Denn im Grunde schlagen sich beide Kinder mit ähnlichen Problemen herum, so zum Beispiel mit der Entdeckung, dass Eltern einen manchmal in bester Absicht anlügen.
Die erwachsenen Schauspieler wie Volker Bruch als Rolfs Vater Ludwig, Anna Maria Mühe als Katja Kirsch oder Bruna Cusí als Esther treten hinter den jungendlichen Darstellern zurück und haben im Vergleich auch nur kleinere Rollen.
Der spannende aber trotzdem kindgerechte Film wurde von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) mit dem Prädikat "besonders wertvoll" ausgezeichnet. Die FBW Jugendfilm-Jury vergibt 4 von 5 Sternen und meint, dass die realistische Darstellung des Themas Krieg und Flucht die Jury sehr berührt hätte, auch durch die besonders guten Leistungen der beiden jugendlichen Schauspieler. Daneben wurde auch der Film konsequent durch die Augen der Kinder gezeigt. Die Jury empfiehlt den Film wegen Gewalt und Schießereien ab 11 Jahren und in Begleitung eines Erwachsenen.
Insgesamt ist "Der Pfad" ein Film, der bewusst auf eine jugendliche Zielgruppe zugeschnitten ist. Dabei schafft es Regisseur Tobias Wiemann, dass die kindliche Perspektive, selbst wenn Rolf und Núria mit kriegerischen Kämpfen, Verlust und sogar dem Tod konfrontiert werden, nie aufgegeben wird. Diese positive Grundstimmung macht die Romanadaption auch für jüngere Zuschauer verständlich. Das macht "Der Pfad" zu einem unbedingt sehenswerten Film für die ganze Familie.
Foto 1: Volker Bruch als Ludwig Kirsch und Julius Weckauf als Rolf © Eyrie Entertainment GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH
Foto 2: Julius Weckauf als Rolf mit Terrier Adi und Nonna Cardoner als Núria © Eyrie Entertainment GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH
Info:
Der Pfad (Deutschland, Spanien 2022)
Genre: Jugendbuch Verfilmung, Drama, Abenteuer, Familienfilm, Historienfilm, Kinder- und Jugendfilm
Filmlänge: ca. 99 Min.
Regie: Tobias Wiemann
Drehbuch: Rüdiger Bertram, Jytte-Merle Böhrnsen, nach Rüdiger Bertrams Jugendroman Der Pfad - Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit mit Comics von Heribert Schulmeyer (2017)
Darsteller: Julius Weckauf, Nonna Cardoner, Volker Bruch, Anna Maria Mühe, Bruna Cusí, Maria Pau Pigem, Lucas Prisor, Jytte-Merle Böhrnsen u.a.
Verleih: Warner Bros. Pictures Germany
FSK: ab 6 Jahren
Kinostart: 17.02.2022