Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Die Gold- und Silberbären des Wettbewerbs sind vergeben, weitere Gewinner wurden in anderen Sektionen ausgezeichnet: Eigentlich ist die 72. Berlinale inmitten der Corona-Pandemie ab heute Geschichte, doch die Festspiele sind noch nicht vorbei. Vier Tage lang werden für das breite Publikum weiterhin Festival-Streifen wiederholt gezeigt.
Auf der Leinwand dreht sich zu sanfter elektronischer Musik eine riesige Weltkugel aus kleinen goldenen Bären, die als Sterne herabregnen und einen großen goldenen Bären bilden. Dann folgt die Ankündigung, die Filmfestspiele präsentieren... Gut zwanzig Mal habe ich endlich wieder diesen Clip erlebt, der seit Jahren entspannend auf den folgenden Film einstimmt.
Wie ein weiträumig abgesperrtes Heerlager sah es oft um den Berlinale-Palast und das Cinemax am Potsdamer Platz aus. Viele Polizisten und Securityleute, sowie das reichliche Personal der Festpiele, sorgten streng für die Einhaltung aller Hygieneregeln. Anders als auf Messen mit viel Gewühl saßen wir in den Sälen ständig mit Masken brav auf Abstand und fühlten uns sicher.
Wer immer die diversen Berlinale-Preise bekommen hat, der große Sieger dieser Festspiele sind vor allem die Frauen und das Kino selbst. Etliche Filmemacherinnen präsentierten gefeierte Arbeiten. Die Spanierin Carla Simón erhielt den Goldbären für ihre fröhliche und zugleich wehmütige Geschichte „Alcarrás“, in dem eine Großfamilie Abschied von ihrer Plantage nehmen muss. Die Französin Claire Denis erhielt einen Silberbären für den hier schon mal erwähnten Liebesfilm „Avec Amour“ mit Juliet Binoche. Die Mexikanerin Natalia López Gallardo wurde ebenfalls mit einem Silberbären für ihr komplexes Werk „Robe of Gems“ ausgezeichnet. Mit einer riesigen Bandbreite cineastischer Möglichkeiten erzählt sie von der Brutalität mexikanischer Machos.
Schauspielerinnen wie die Neuentdeckung Meltem Kaptan (aus dem Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“) bekam ebenso einen Silberbären wie Laila Stieler, die Drehbuchschreiberin des Films. Isabelle Huppert konnte sich ihren Ehrenpreis der Berlinale nicht selbst abholen, weil sie wegen einer Corona-Infektion ihre Anreise absagen musste. Und selbst Indonesien wurde nicht vergessen, Laura Basuki erhielt für ihre Nebenrolle in „Nana“ auch einen Silberbär.
In den zwölf Jahren meiner Berlinale-Teilnahme habe noch nie so nachvollziehbare und weise Entscheidungen der Internationalen Jury erlebt, die in jedem Jahr neu zusammengesetzt wird. Hier war deutlich zu erkennen, dass sie nicht das Publikum oder die Berlinale-Leitung brüskieren wollte. Sondern dass die sieben Männer und Frauen mit großer Sachkenntnis genau die Aspekte des Films belohnten, die sie zu großem Kino machen.
Insgesamt kann man sagen, es gab bei dieser 72. Berlinale viele gute und manche herausragende Werke des Weltkinos - und die brauchten auch endlich wieder große Leinwände und Menschen, die sie gemeinsam ansehen und sich später darüber austauschen.
Auch darum war diese Berlinale so wichtig!
Foto:
Aus dem Gewinnerfilm der Berlinale "Alcarrás"
(c) Berlinale / Luis Tudela