verleihmasucciDer Literaturklassiker in der Verfilmung von 2021 ab heute auf DVD/Blu-ray von Studiocanal, Teil 4

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Beschreiben Sie bitte kurz die Zusammenarbeit mit Philipp Stölzl. Er soll ja ein Regisseur auf Augenhöhe sein. War das sehr inspirierend?

Total. Philipp ist ein ganz feiner Mensch und ein sehr emphatischer Regisseur. Man fühlt sich von ihm respektiert und getragen. Er schaut sich alles ganz genau an und macht dann einen konkreten Plan. Andererseits lässt er sich auch von neuen Ideen beeindrucken und inspirieren. Er ist sehr genau, sehr offen, sehr warm. Für den Film habe ich das ehrlich gesagt auch gebraucht. Ich habe eigentlich schon beim ersten Casting überlegt, ob ich mich wirklich mit Schizophrenie beschäftigen möchte. Es gibt ja manchmal Dinge, in die will man persönlich gar nicht so genau eindringen. Als Schauspieler versuche ich die Figur, die ich spiele zu durchleben und ihre Gefühle und Nöte für den Zuschauer erfahrbar zu machen. Und da hatte ich bei diesem Film in Philipp einen großen Beschützer, den ich auch brauchte. Philipp hat eine ganz große und genaue Vision von dem, was er tut.

Das ganze Drehbuch war aufgezeichnet. Ich habe es ein Dreivierteljahr vor Drehstart bekommen und wusste genau, wie der Film in jeder Einstellung aussehen soll. Das hatte ich so noch nie bei einem Film. Und trotzdem kann er sich auch davon lösen und geht andere Wege mit. Manche Sachen haben sich als wahnsinnig gut herausgestellt und bei anderen hat es so nicht funktioniert. Aber es war sehr detailliert und genau ausgearbeitet.


Die Rolle des Dr. Bartok wurde für den Film auch ein wenig weiterentwickelt. Waren Sie hier beteiligt?

Ich vertiefe mich eigentlich in meine Rollen immer erst, wenn die erste Klappe fällt. Ich muss mich selbst davor schützen, nicht zu früh einzusteigen, weil man dann schwer wieder rauskommt. Ich nenne es Selbsthypnose. In dem Moment, in dem man in eine Rolle einsteigt, betrachtet man alles um sich herum von der Perspektive dieser Figur heraus. Und diese Perspektive ist in diesem Film ziemlich heftig, weil der Mann sehr viel durchleidet. Es ist ein Schmerzensweg, den er da geht. Das war etwas, mit dem ich mich nicht zu lange beschäftigen wollte. Die vier Monate Drehzeit haben mich sehr mitgenommen. Dazu kam noch das Abnehmen, weil meine Figur im Film sehr abmagert. Ich war ehrlich gesagt ein wenig froh, als es vorbei war.


Was treibt Ihrer Meinung nach Dr. Bartok im Film an?

Er wollte sich dem Ganzen nicht beugen. Es ist ein Schachspiel gegen seine Peiniger, die Nazis. Und es geht darum, zu gewinnen. Und gewinnen kann er nur, wenn er in den Wahnsinn abgleitet. Alles spielt sich im Kopf ab. Im Gehirn eines Menschen, der im Prinzip noch versucht diesem System etwas entgegenzusetzen. Und nicht, weil er ein großer Revolutionär ist, gar nicht. Bartok ist ein Bonvivant aus der Wiener Gesellschaft. Am Anfang des Films auch ein wenig unsympathisch und überheblich. Er denkt, Österreich wird die Annektierung schon verhindern. Dann gerät er in die Fänge von etwas, was er sich gar nicht vorstellen konnte und versucht dagegenzuhalten. Es wird zu einem Duell zwischen ihm und seinem Peiniger. Er hält aber nicht dagegen, weil er revolutionär ist, sondern weil die Nazis ihm wahnsinnig auf den Keks gehen. Er geht diesen Schmerzensweg, weil er die Nazis einfach scheiße findet und sich vor denen nicht beugen will. Und nun hält er gegen seinen Peiniger stand und flüchtet sich in den Wahnsinn. Das ist auch das Autobiografische zu Stefan Zweig, dass ihn die Umstände wahnsinnig gemacht haben oder depressiv. Wenn die Gesellschaft so ist, dass man in ihr nicht mehr leben kann, dann spaltet sich das Individuum auf. Und diese Figur, die sich in diesem Zwiespalt befindet, die gegen sich selbst kämpft bis zur Schizophrenie, ist wahnsinnig spannend.


Welche Szene war für Sie am schlimmsten zu spielen?

Das Aufsagen der Schachzüge und die Situation, die sich dahinter verbirgt: Dieser Mann, ganz allein mit sich und der Erkenntnis des Wahnsinns. Das ist sehr leidvoll. Ich war fast in jeder Bildeinstellung, weil der ganze Film aus der Perspektive meiner Figur erzählt. Das verlangt viel Konzentration, und diese dauerhaft zu halten war sehr anstrengend. Dazu eben dieses Leid. Wie kann man nur anderen Menschen so ein Leid zufügen? Diese Freiheitsberaubung, bis man nicht mehr weiß, wer man ist. Bis die Zeit aufhört zu ticken und man nichts mehr einordnen kann. Diese vollkommene Entfremdung von sich selbst. Und trotzdem das Dagegenhalten, irgendwie noch ein Fünkchen von sich zu behalten, während das Ego immer kleiner wird. Einen Menschen zu spielen, dem so Gewalt angetan wird, war nicht einfach. Und eben diese 20 Schachzüge herunterrattern. Für einen Schachspieler ist das wahrscheinlich einfach. Oh mein Gott. Das müssen spezielle Menschen sein.


Sie haben Albrecht Schuch, der im Film Ihren Peiniger spielt, erst zu den Dreharbeiten kennengelernt. Wie war die Zusammenarbeit?

Sehr gut. Ich schätze Albrecht sehr. Er ist ein toller Schauspieler, und es hat mich sehr gefreut, mit ihm zu spielen. Wenn man auf jemanden trifft, der die Kraft und die schauspielerische Gewalt von Albrecht Schuch hat, ist das herrlich. Der ganze Film ist ein einziges Duell zwischen Albrecht Schuch und Oliver Masucci. Das macht natürlich total Spaß.


Was meinen Sie, warum besitzt die „Schachnovelle“ auch heute noch weltweit so eine literarische Kraft?

Die Nazizeit spielt sich hier mehr im Kopf ab und nicht in der Abbildung des Schreckens. Man nimmt das Furchtbare im Kopf wahr. Jeder kann sich an die Novelle erinnern. Sie spricht einfach eine Urangst an: Ein Mensch ist in einem Raum isoliert und eingesperrt. Es ist ja noch einmal anders als Gefängnis. Man ist allein mit sich und seinem Wahnsinn. Einige können sich vielleicht noch am Rand der Normalität entlang hangeln und andere fallen hinunter. Das zeigt, wie schnell man als Mensch gebrochen werden kann. Ich kenne eigentlich keinen, der sich nicht an diese Geschichte erinnern kann. Vielleicht auch, weil sie so kompakt und schnell erzählt ist.


Sehen Sie aktuelle Bezüge in der Novelle?

Stefan Zweig ging daran zugrunde, dass er dachte, die Nazis gewinnen den Krieg. Diese Vorstellung ist natürlich schrecklich. Heute gibt es wieder solche Strömungen. Dieser Rechtsdruck, den wir gerade erleben, ist enorm. Und er ist alles andere als gut.

Foto:
Cover und Verleih

Info:
Die Schachnovelle nach Stefan Zweig, verfilmt von Philipp Stölzl
Dr. Josef Bartok            Oliver Masucci
Franz-Josef Böhm/ Mirko Czentovic               Albrecht Schuch
Anna Bartok                  Birgit Minichmayr
Owen McConnor           Rolf Lassgård
Johann Prantl                Andreas Lust
Alfred Koller                  Samuel Finzi

Blu-ray
Label: Arthaus
Genre: Drama, History
Produktionsjahr: 2020
Produktionsland: Deutschland
Kinostart: 23.09.2021
FSK 12
Lauflänge: ca. 112 Min. Minuten

TECHNISCHE ANGABEN
Bild: 2,40:1 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: Deutsch (5.1 DTS-HD MA)
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte

EXTRAS
Featurettes: Über das Buch | Ein Werk für die Gegenwart | Hinter den Kulissen, Making-of, Kinotrailer

ANGABEN ZUM VERTRIEB
Blu-ray im Verkauf ab 10.03.2022
Bst.-Nr.: 507237
EAN: 4006680096148
Als EST/VoD ab 24.02.2022