DFF Fassbinder Center Schriftgutnachlass RWF Foto Isabelle Bastian Quelle DFFDFF startet Filmbildungsprojekt zu Fassbinders Werk, der 1982 mit 37 Jahren starb

Siegrid Püschel

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Filmvermittler und Künstler sowie Filmvermittlerinnen und Künstlerinnen erkunden mit jungen Menschen in fünf europäischen Städten die Filme Rainer Werner Fassbinders im Kontext der Sammlung des DFF Fassbinder Center. Das Center in der Eschersheimer Landstraße bekannter zu machen, ist Nebenaspekt dieser Nachricht. 

Mit seinen mehr als 40 Filmen, die der mit 37 Jahren 1982 jung gestorbene Rainer Werner Fassbinder in den 1960er, 1970er und frühen 1980er Jahren drehte, gilt er als einer der herausragenden Vertreter des Neuen Deutschen Films.

Der umfangreiche Schriftgutnachlass des Regisseurs, der 2018 in die Obhut des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum überging, ist ein Schatz der jüngeren deutschen Filmgeschichte, den es aus vielerlei Perspektiven zu heben gilt. Forscher und Kuratoren tun das bereits seit Jahren im Archiv- und Studienzentrum des DFF; zuletzt war die Sammlung Grundlage für die umfangreiche Ausstellung „Methode Rainer Werner Fassbinder. Eine Retrospektive“ in der Bundeskunsthalle Bonn. Doch welche Rolle nehmen die Filmwerke Fassbinders heute speziell bei jungen Menschen ein? Mit welchen Fragestellungen erschließen sich Jugendliche und junge Erwachsene das Werk eines Regisseurs, der für seine kreative Unangepasstheit und künstlerische Radikalität ebenso bekannt war wie für die unermüdliche Beschäftigung mit gesellschaftlichen Verhältnissen, queeren und migrantischen Lebensrealitäten und deutscher Geschichte im Allgemeinen?

Das von der Art Mentor Foundation Lucerne sowie dem Kulturfonds Frankfurt RheinMain und der Rainer Werner Fassbinder Foundation geförderte Projekt „Encounter RWF / RWF entdecken“ hat sich zum Ziel gesetzt, in den kommenden zwei Jahren herauszufinden, mit welchen Vermittlungsformaten die Filme Fassbinders einer jungen Generation heute nahegebracht werden können. Sechs Filmvermittlungsteams in fünf europäischen Städten (Frankfurt am Main, Berlin, Wien, Paris und Zürich) werden sich zusammen mit Gruppen junger Menschen, ob Schüler:innen, freie Jugendgruppen oder Studierende, mit Fassbinders Werk auseinandersetzen. Dafür werden unterschiedliche Filmvermittlungsformate entwickelt, die innovative, auch künstlerische Zugänge zur Sammlung und deren auratischen Objekten legen. Zu den Vermittlern und Künstlern gehören: Uwe Dierksen und Barbara Dierksen (Frankfurt am Main), Prof. Alejandro Bachmann und Stefan Huber (Wien), Verena von Stackelberg und Dr. Brigitta Wagner (Berlin), Dr. Martin Ganguly (Berlin), Stefanie Schlüter (Zürich) und Nathalie Bourgeois (Paris).

Die Filmvermittler werden dabei von verschiedenen Persönlichkeiten begleitet, die ihre Sicht auf Fassbinders Filmschaffen kreativ in die Projekte einbringen. Dazu gehört etwa die Filmkünstlerin und Professorin für Film, Jyoti Mistry, der Filmjournalist Jan Künemund sowie die Filmemacherin und Künstlerin Alex Gerbaulet. Dr. phil. Manuel Zahn, Professor für Ästhetische Bildung, wird die Entwicklung der Vermittlungsformate reflektierend begleiten.

„Filmkunst verdient es, ebenso wie Theater, Kunst und Literatur, einem jungen Publikum nahegebracht zu werden. Die Theaterstücke Fassbinders werden weiterhin auf Bühnen in der ganzen Welt gespielt, denn deren Themen sind hochaktuell. Dass dies auch für die Filme gilt, muss noch sichtbarer gemacht werden. Ich freue mich, dass das DFF sich dieser wichtigen Aufgabe annimmt und so auch die Sammlung eine neue, innovative Zugänglichmachung erfährt“ sagt die Präsidentin der Rainer Werner Fassbinder Foundation, Juliane Maria Lorenz-Wehling.

„In den nur 17 Jahren seines Wirkens hat Rainer Werner Fassbinder mehr als 40 Filme geschaffen, von denen viele auf der ganzen Welt als Meisterwerke gelten. Dabei hat er filmkünstlerische Standards gesetzt, die bis heute bewundert werden. Wir im DFF haben den Auftrag, dieses deutsche Filmerbe zu bewahren. Zugleich haben wir eine europaweit vernetzte, sehr aktive Filmbildungsabteilung und nun schlagen wir bei „Encounter RWF“ erstmals von hier aus eine Brücke in die Sammlungen des DFF. Ich freue mich auf dieses Projekt und erwarte Ergebnisse, die nicht nur die pädagogische Arbeit in Filmerbe-Einrichtungen ganz grundsätzlich bereichern werden“, so Ellen Harrington, Direktorin des DFF.

„Obwohl die 1960er und 1970er Jahre im Werk Rainer Werner Fassbinders überaus sichtbar sind, stellt dieser besondere Regisseur durch gesellschaftskritische Filme Fragen von zeitloser Gültigkeit. Hier knüpfen bei ‚Encounter RWF‘ neben Filmvermittler: innen auch eine Reihe von Künstler:innen direkt an. Bei Archivaufenthalten in Frankfurt lassen sie sich vom Werk Fassbinders und der vielfältigen Sammlung inspirieren. Wir sind neugierig darauf, was aus dieser intensiven Auseinandersetzung entstehen wird“, sagt Karin Wolff, Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain.

Die Auseinandersetzung in allen sechs Gruppen basiert dabei immer auf einer intensiven Beschäftigung mit den vielfältigen Sammlungsobjekten zu Fassbinders Wirken bei mehrtägigen Forschungsbesuchen im Archiv- und Studienzentrum des DFF in Frankfurt, die im Frühsommer stattfinden werden. Auf Basis der Archivbesuche entwickeln die Teams ihre individuellen Vermittlungsformate und Projekte, die sie sich im Juli bei einer gemeinsamen Tagung gegenseitig vorstellen. Von August an haben die Gruppen dann ungefähr ein Jahr Zeit, ihre Vorhaben zu finalisieren und an den jeweiligen Orten umzusetzen, bevor sie auf einer weiteren Tagung im Sommer 2023 umfangreich gemeinsam reflektiert werden. Eine Publikation, die im Februar 2024 erscheinen soll, wird schließlich alle Ergebnisse des Projekts bündeln und auf eine kreative Art und Weise anschaulich machen.

Foto:
©dff.de

Info:
Die Projektleitung bei „Encounter RWF“ bilden Christine Kopf (Leitung Abteilung Filmbildung des DFF) und Prof. Alejandro Bachmann (Filmarbeiter, Gastprofessor für Film- und Mediengeschichte an der Kunsthochschule für Medien Köln) sowie Niels Deimel (Projektkoordinator im DFF).
In Kooperation mit dem Wolf Kino, Berlin, und dem Österreichischen Filmmuseum, Wien.
Gefördert durch die Art Mentor Foundation Lucerne, den Kulturfonds Frankfurt RheinMain und die Rainer Werner Fassbinder Foundation.
Der Schriftgutnachlass Fassbinders wurde 2018 mit Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung, der Kulturstiftung der Länder und der Stadt Frankfurt angekauft.