Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. April 2022, Teil 13
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein Dokumentarfilm über ein Leben, ein Künstlerleben, über einen, der aus einfachen Verhältnissen kommt, dessen Stimme entdeckt wird, die ihn wirklich auf die großen Bühnen der Welt bringt, wo er das Schicksal großer Stars durchmacht, vom Publikum gefeiert und nach der Vorstellung jäh allein, Einsamkeit, Alkohol, Schuldgefühle der Familie gegenüber, all das fängt dieser Film ein, dessen Besonderheit ist, daß ihn der Sohn des Protagonisten konzipiert und gedreht hat.
Ich finde den Film in besonderer Weise erhellend, spannend, anrührend,voll von Musik, häufig unterlegt von einer Stimme, die den typischen Wagnerschen Heldentenor ausmacht,mit einem Wort, ich bin hingerissen von diesem Film: ABER, ich bin nicht objektiv. Abgesehen davon, daß man das nie ist, weil jede Rezension auf dem Hintergrund des eigenen Lebens geschrieben wird – so wie Proust davon spricht, daß jeder Leser der Leser seiner selbst ist, ist auch jeder Filmzuschauer der Zuschauer seiner selbst - , kommt bei diesem Dokumentarfilm über den englischen Tenor John Treleaven hinzu, daß ich ihn sowohl in Frankfurt wie auch in London auf der Bühne erlebt hatte. Das schafft sofort emotional eine ganz andere Situation, obwohl ich ja den Sänger nicht persönlich gekannt habe, bzw. kenne, den er lebt ja noch, jetzt im Ruhestand.
Warum ich aber über persönliche Anteilnahme hinaus, diesen Film für sehr gelungen halte, hat zwei Gründe: Der Sohn, Regisseur und Drehbuchschreiber, will durch die Drehaufnahmen und die Gespräche vor und nach den Interviews seinen Vater besser kennenlernen, ein Prozeß, an dem wir teilhaben, der überhaupt nicht gestellt wirkt, aber gleichzeitig viel intimer in ein Leben eindringt, es reflektiert, als andere Dokumentarfilme dies können. Die Darstellungen des erfolgreichen Sängers auf den Bühnen der Welt machen Spaß und für jeden Opernfan sind so viele Arien – leider viel zu kurz, ist halt ein Film und keine Opernaufführung – zu hören, daß man mit dieser musikalischen Biographie sowieso zufrieden ist, das Besondere ist jedoch etwas anderes.
Der Sohn läßt den Vater auch darüber sprechen, motiviert ihn dazu, über die Abstürze seiner erfolgreichen Karriere zu sprechen, die zudem auf das Familienleben negative Auswirkungen hatten. Er selbst ist mit der Familie mit seinem Vater, der damals am Staatstheater Mainz fest engagiert war, nach Mainz gekommen, aber anders als der Vater, der weiterzog, dort geblieben. Sonst werden die internationalen Karrieren von Sängern in Dokumentarfilmen meist auf deren Erfolge getrimmt, aber hier werden im Gespräch mit dem Vater die Schattenseiten so deutlich wie selten angesprochen: wie nach dem Applaus und vielleicht noch einem gemeinsamen Essen und Trinken mit Kollegen, dann das einsame Hotelzimmer keinen Platz für das aufgestaute Adrenalin bietet und beispielsweise im Alkohol ertränkt wird, was nicht nur der Stimme nicht gut tut, sondern schnell in Abhängigkeit ausartet. Aber Einsamkeit wirkt sich auch auf andere Weise wenig förderlich für das Familienleben aus, das anderswo stattfindet, aus. All das wird offen im Film angesprochen und findet Antworten.
Damit habe ich die für mich wichtigen Szenen und Aussagen herausgestellt. Der Film selber hat seinen Anfang im Großwerden in cornwallschen Fischerdorf Porthleven, wo er als John Richards am 10. Juni 1950 geboren wurde und wo er bzw. seine Stimme mit siebzehn Jahren im Hafenbecken entdeckt wurde, was er uns auf der Kaimauer im Anblick der anbrandenden Wellen erzählt, aber auch den Sprung ins Wasser und kräftige Züge nicht scheut. Daß das Wasser unmittelbar mit seiner Stimme zu tun hat, ist eine der Überraschungen, die der Film bietet. Denn er hat früh tauchen gelernt und die Luft über längere Zeit anzuhalten, hat seinem Stimmvolumen sehr genutzt. Die Einladung an Treleaven, ein Konzert in der Heimat Cornwall zu geben, war für den Filmemacher und Sohn überhaupt der Anlaß für diesen Film, den Vater in die Heimat zu begleiten und von dort aus seine Karriere über die Welt filmisch zu dokumentieren, die erst einmal in der Ausbildung in London begann, wo er u.a. bei William Loyd Webber Gesang studierte. Wie gut, daß Treleaven an großen Bühnen gesungen hat, wo die Aufführungen filmisch dokumentiert werden, vor allem, da sogar verschiedene Aufführungen zu Opernfilmen wurden. Allerdings haben andere große Bühnen die Aufnahmen nicht freigegeben, was man nicht verstehen kann, wären sie doch für diese Häuser werbewirksam. Aber auch so kann man die Dimension seiner Sängerkarriere erkennen, wobei feste Engagements in Deutschland gerade am Anfang Wagnerrollen für seinen Heldentenor boten. Aber er hat auch ganz andere Partien gesungen,Strauss, Italienisches und viele englische Kompositionen.
Der Vater erzählt dem Sohn seinen Lebensweg, mit und ohne Fragen, als die beiden in Cornwall all die Orte aufsuchen, die für seinen Vater wichtig waren und gute Gesprächsanlässe bieten, auch für den Vater aufwühlende wie in der kleinen Kirche, wo er sich die Grundsatzfrage stellen muß, ob eine Karriere das wert war, wert ist, auf das Leben mit der Familie weitgehend zu verzichten, wenn die Kinder ohne den Vater groß werden und die Ehefrau ihn ersetzen muß und gleichzeitig auf ihren Mann warten darf, der, wenn er heimkommt, ganz andere Erfahrungen und auch Sorgen mitbringt.
Foto:
©Verleih
Info:
„SON OF CORNWALL”
Dokumentarfilm | Deutschland 2020
Regie: Lawrence Richards
Drehbuch: Lawrence Richards und Rebecca Richards
Kamera: Justin Peach
Schnitt: Melanie Dietz |
Musik: John Treleaven, u.a. |
FSK ab 6 freigegeben
gefördert von: HessenFilm und Medien GmbH, MFG und Stiftung
Rheinland-Pfalz für Kultur
Mit John Treleaven, Stuart Williams, Keith Warner, Sally Burgess, Roxanne Richards. u.v.a.