Free-TV Erstausstrahlung am Mittwoch, 20. April 2022 bei Arte
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) - Im Mai 1961 kommen die Mitglieder des Leningrader Kirow Balletts nach Paris. Auf dem Höhepunkte des Kalten Krieges will die Sowjetunion damit ihre künstlerische Stärke zeigen. Mit dabei die beiden Solotänzer, der 23jährige Rudolf Nurejew (Oleg Ivenko) und der 21jährige Juri Solowjow (Sergei Polunin), die sich während des Aufenthaltes in Paris ein Zimmer teilen.
Rudolf fällt den mitreisenden KGB-Mitarbeitern gleich nach der Ankunft unangenehm auf, da er nicht auf sein Hotelzimmer gehen möchte, sondern erst einmal einen Spaziergang zu einigen für ihn wichtige Sehenswürdigkeiten in Paris machen will - unbegleitet. Er steht auch häufig früh auf, um in den Museen der Stadt die Kunstwerke vor dem Besucheransturm besichtigen zu können.
Die französischen Tänzer Pierre Lacotte (Raphaël Personnaz) und Claire Motte (Calypso Valois) laden den jungen Russen zu einem Abendessen ein, dabei lernt Rudolf die jungen Chilenin Clara Saint (Adèle Exarchopoulos) kennen, deren Verlobter Pierre Malraux kurz vorher tödlich verunglückt ist.
Mit Clara erkundet Rudolf nicht nur die Pariser Kultur, sondern sie besuchen auch Nachtclubs und Restaurants, immer beobachtet von den Mitarbeitern des KGB-Agenten Strischewsky (Alexey Morozov), der jede Bewegung seiner Schützlinge minutengenau protokolliert.
Während Nurejew Paris entdeckt, erinnert er sich an seine Geburt 1938 in der Transsibirischen Eisenbahn, seine ärmliche Kindheit in Ufa und dass er immer ein Außenseiter - eine "weiße Krähe" - war. Als seine Mutter eine Karte für eine Ballettaufführung gewinnt, ist der Junge so fasziniert, dass er unbedingt Balletttänzer werden will.
Er schafft es mit 17 Jahren an der berühmten Leningrader Choreographischen Schule angenommen zu werden. Doch er beschwert sich bereits nach kurzer Zeit, denn er will nicht nur seine Ausbildung in der Hälfte der Zeit durchlaufen, sondern er verlangt auch, in der Tänzerklasse des berühmten Ballettmeisters Alexander Puschkin (Ralph Fiennes) lernen zu können. Dort trainiert er hart für sein Ziel, der beste Tänzer der Welt zu werden.
Als Rudolf eine Fußverletzung erleidet, nehmen ihn Alexander Puschkin und seine Frau Xenia (Chulpan Khamatova) in ihre kleine Wohnung auf und Xenia beginnt auch eine Affäre mit dem jungen Mann. Nurejew hat allerdings gleichzeitig ein Verhältnis mit dem jungen (ost-)deutschen Tänzer Teja Kremke (Louis Hofmann).
Inzwischen genießt Rudolf die gewonnene Freiheit in Paris zusammen mit Clara, trotz der andauernden Überwachung durch den KGB und einer Verwarnung des Agenten Strischewsky.
Doch als die Kompanie am 16. Juni 1961 vom Flughafen Le Bourget nach London weiterfliegen soll, wird Nurejew nach Moskau zurück beordert. Als Pierre Lacotte merkt was gespielt wird, ruft er Clara Saint an, die immer noch Kontakte zu André Malreaux, dem Vater ihres verstorbenen Verlobten hat, der zu dieser Zeit Minister für kulturelle Angelegenheiten war. So beginnt mit Hilfe der Pariser Flughafenpolizei ein riskantes Katz- und Maus-Spiel mit den Mitarbeitern des KGB...
Ralph Fiennes hat sich in seinem dritten Film als Regisseur - nach "Coriolanus" (2011) und "The Invisible Woman" (2013) - mit dem wilden, arroganten und ausgesprochen egoistischen russischen Tanz-Genie Rudolf Chametowitsch Nurejew beschäftigt, der im März 1938 in der transsibirischen Eisenbahn nahe Irkutsk geboren wurde und im Januar 1993 in Paris gestorben ist. Das Drehbuch zu "Nurejew: The White Crow" stammt von David Hare, der sich wiederum auf das Buch Rudolf Nureyev: The Life (2008) der ehemaligen Tänzerin Julie Kavanagh stützt.
Fiennes hat sich hauptsächlich auf die Zeit beschränkt als das Kirow Ballett im Rahmen von gegenseitigem Austausch einiger führender Balletthäuser in West und Ost in Paris gastierte, die mit Nurejews Flucht auf dem Pariser Flughafen endete. Daneben gab es immer wieder Rückblenden auf Nurejews Jugend (gefilmt in schwarz/weiß) und seine Ausbildung an der Ballettschule in Leningrad, sein Verhältnis zu seinem Lehrer Alexander Puschkin und seine rebellische Art, die ihm immer wieder Probleme bereitete. Leider war es während des Films nicht immer sofort zu erkennen, welche Szenen in der Gegenwart in Paris und welche in Rudolfs Erinnerungen an sein Leben in Leningrad spielen.
Als Hauptdarsteller konnte Ralph Fiennes den zur Drehzeit 23jährigen ukrainischen Balletttänzer Oleg Ivenko gewinnen, der seit 2014 Solotänzer der M. Jalil Tatar State Academic Opera in Kasan und der in genau dem gleichen Alter wie Nurejew 1961 war. Dadurch erhielten die Tanzszenen die größtmögliche Authentizität und der Film ist in der Lage, Nurejews großes tänzerisches Können in Tanzszenen zu zeigen, die ruhig manchmal noch etwas länger hätten dauern können. Gerade mit diesen Szenen belegt Fiennes auch, dass Rudolfs Selbstbewusstsein durchaus gerechtfertigt war.
Ralph Fiennes selbst hat - wie auch in seinen vorherigen Regiearbeiten - wieder eine wichtige Rolle übernommen. Er spielt Nurejews Lehrer und Mentor Alexander Puschkin. Für diese Rolle musste Fiennes sein Russisch aufpolieren, denn er spricht in der Originalfassung nur Russisch.
Es ist ein spannender Film über einen unangepassten Menschen entstanden, bei dem Nurejew immer im Mittelpunkt steht und zwar nicht nur als Mensch, sondern auch als Tänzer. Rudolf ist dabei nicht nur beim Tanzen ehrgeizig, obwohl er einige technische Schwächen hat. Wie aber der französischen Tänzer Pierre Lacotte bemerkt hat er eine wundervolle Präsenz auf der Bühne, die die Schwächen vergessen lassen. Daneben ist er - im Gegensatz zu den anderen Tänzern des Balletts - daran interessiert in Paris möglichst viel von der Kunst und dem Leben im Westen aufzunehmen.
Ivenko kann auch Nurejews Angst vor der erneuten Unfreiheit in seinem Blick, in seiner Gestik, in seiner ganzen Körperhaltung zeigen, als er nach sechs Wochen nicht mit nach London, sondern zurück nach Moskau beordert wird. Er hat die Freiheit und Unabhängigkeit kennen gelernt und will unter keinen Umständen zurück zu seinem alten Leben.
Da sich der Film auf Julie Kavanaghs Buch stützt, sind auch bisher nicht zu bekannte Ereignisse aus Nurejews Leben mit eingeflossen, wie z.B. seine sexuelle Beziehung zu dem ostdeutschen Tänzer Teja Kremke, der nicht nur Rudolfs Freiheitsdrang unterstützt hat, sondern ihm auch geholfen hat, schon in Russland Englisch zu lernen. Dadurch konnte er sich in Paris zwar nicht in Französisch unterhalten, traf aber immer auf Menschen, die sein Englisch verstanden haben.
"The White Crow" ist ganz sicher kein "normaler" Tanzfilm, denn es wird weder der Drill der Ausbildung noch die Konkurrenz zwischen den Tänzern ausführlich gezeigt. Ralph Fiennes hat nicht nur einen spannenden, sondern auch ein politischer Film über die Situation im Kalten Krieg der 1950er und 1960er Jahre geschaffen, denn er zeigt sehr deutlich, welchen Einfluss sowohl das System als auch dessen Überwacher auf den Einzelnen hat. Vor allem die Szenen auf dem Pariser Flughafen Le Bourget, wenn Nurejew sich letztendlich zur Flucht entschließt, sind ungemein spannend, selbst wenn natürlich der Ausgang der Geschichte bekannt ist. Die politische Seite der Flucht wird besonders deutlich, wenn der KGB-Agenten Strischewsky in den Gesprächen mit Nurejew und auch den Flughafen-Polizisten permanent seine Bitten und Drohungen ändert, vom Vortanzen im Kreml bis zu dem Punkt, dass er droht, dass Rudolf seine Mutter niemals wiedersehen könne.
Insgesamt ist Regisseur Ralph Fiennes mit "Nurejew: The White Crow" in seiner dritten Regiearbeit ein faszinierender Film über einen unangepassten und freiheitsliebenden Menschen gelungen, der persönlich ungemein schwierig war. Fiennes zeigt aber gleichzeitig auch ein Loblied an die größere Freiheit im westlichen Europa. Falls es im Fernsehen möglich ist, lohnt es sich, das Porträt des Ausnahmetänzers in der Originalfassung mit Untertiteln anzusehen, da der Film gerade durch das Sprachengemisch sehr viel authentischer wirkt.
Foto 1: Der Russe Rudolf Nurejew (Oleg Ivenko) gilt heute als einer der besten Balletttänzer des 20. Jahrhunderts - ein echtes Ausnahmetalent. © Alamode Film, Arte, Jessica Forde
Foto 2: Gemeinsam mit der Chilenin Clara Saint (Adèle Exarchopoulos) streift Rudolf Nurejew (Oleg Ivenko) durch Paris und erkundet die Stadt - immer verfolgt von KGB-Spionen. © Alamode Film, Arte, Jessica Forde
Foto 3: Rudolf Nurejew (Oleg Ivenko) ist begeistert vom kulturellen Leben der Stadt. Er genießt die Freiheit des Westens und möchte in Frankreich politisches Asyl beantragen. © Alamode Film, Arte, Jessica Forde
Info:
Nurejew: The White Crow (Großbritannien, Frankreich, Serbien 2018)
Originaltitel: The White Crow
Genre: Drama, Biopic
Filmlänge: ca. 122 Min.
Regie: Ralph Fiennes
Drehbuch: David Hare
Darsteller: Oleg Ivenko, Ralph Fiennes, Louis Hofmann, Adèle Exarchopoulos u.a.
FSK: ab 6 Jahren
"Nurejew - The White Crow" wird als TV-Erstausstrahlung am Mittwoch, 20. April 2022 um 20:15 Uhr bei Arte gezeigt und am Freitag, 22.04.2022 und am Donnerstag, 28.04.2022 jeweils um 14:15 wiederholt. Das Biopic wurde wohl relativ spät ins Programm bei Arte aufgenommen, denn in vielen Fernsehzeitschriften steht zur Sendezeit noch ein anderer Film.