Redaktion
Oslo (Weltexpresso) - Würden Sie sagen, dass Liebesbeziehungen heute komplexer sind, weil es mehr Freiheiten gibt?
Vielleicht. Freiheiten sind kompliziert. Das könnte auch als Überschrift für den Film durchgehen!
Sie drehten wieder in Oslo und Ihre Leidenschaft für diese Stadt ist spürbar. Was gefällt Ihnen so an Oslo und daran, diese Stadt zu zeigen?
Erstens ist das Licht in Oslo und dem nordischen Skandinavien sehr speziell. Mein Cutter und mein Kameramann sind Dänen, und sie waren beeindruckt von den Lichtverhältnissen in Oslo, obwohl Dänemark nicht weit von Norwegen entfernt ist. Zweitens hat sich Oslo stark verändert, die Stadt ist enorm gewachsen, und in meinen Filmen versuche ich auch immer, die Geschichte der Stadt aufzuzeigen. Ich liebe es, wenn Filmorte etwas Besonderes haben. Wenn ich mir einen Film von Martin Scorsese oder Spike Lee anschaue, sehe ich gerne die Teile von New York, die sie zeigen. Für einen Filmemacher ist es ein filmisches Geschenk, einen Ort zu haben, den man sehr gut kennt, den man filmen und einem Publikum zeigen kann. Oslo ist genau dieser Ort für mich. Beim Filmemachen geht es um Erinnerungen, Räume und Zeit. Im Kino gibt es Dokumentarfilme, die „vérité“ („Wahrheit“) sind und große Blockbuster, die alles digital erstellen. Ich versuche, meinen Platz im Kino dazwischen zu finden, wo nicht alles digital und synthetisch ist, wo es um echte Gesichter und Licht geht. Deshalb drehe ich auch weiterhin auf 35 mm.
Ein weiterer eindrucksvoller Moment des Films ist die traumähnliche Szene, in der Julie Oslo durchquert, um Eivind zu treffen und alles um sie herum eingefroren ist.
Es ist eine romantische Szene und ich wollte sie ein wenig wie in einem Musical gestalten. Es sollten auch keine digitalen Effekte verwendet werden, also stehen echte Menschen still, aber der Wind weht immer noch in den Bäumen und den Haaren. Diese Szene ist eine ultimative romantische Fantasie. Man kann sehr gut mit den Grenzen der Monogamie spielen und sagen: „Ich wünschte, ich könnte alles anhalten und einfach in einer anderen Zeit mit meinem Geliebten sein.“ Genau dieses Gefühl habe ich versucht filmisch umzusetzen.
Renate Reinsve ist fantastisch als Julie ...
Eine Motivation diesen Film zu drehen war Renate, weil ich die Geschichte für sie schrieb! Ich kenne sie seit sie vor zehn Jahren einen kleinen Part in OSLO, 31. AUGUST übernahm. Sie war damals sehr jung, hatte aber diese besondere Energie. Über die Jahre spielte sie viele Rollen, aber niemals eine Hauptrolle. Also musste ich eine für sie schreiben. Sie hat viel dazu beigetragen, Julie und ihre Komplexität zu formen. Renate ist mutig und tapfer, sie hat kein Problem damit, Unvollkommenheit zu zeigen, sie ist nicht eitel. Isabelle Hubert kam vor ein paar Jahren nach Oslo, um Bob Wilson spielen zu sehen. Am nächsten Tag trafen wir uns auf einen Drink und sie sagte zu mir: „Gestern habe ich ein junges Mädchen auf der Bühne gesehen, die ich unglaublich großartig fand!“ Ich antwortete ihr: „Ja ich weiß, ich schreibe gerade einen Film für sie!“ Renate hat diese einzigartige Kombination aus Leichtigkeit und Tiefe. Sie besitzt die großartige Fähigkeit, sowohl Komödie als auch Drama zu spielen.
Aksel wird von Anders Danielsen Lie gespielt, dem Hauptdarsteller von AUF ANFANG und OSLO, 31. AUGUST. Ist er Ihre persönliche Projektion auf der Leinwand, so wie Jean-Pierre Léaud für François Truffaut war?
Er ist ein paar Jahre jünger als ich, wenn ich also eine Rolle für ihn schreibe, ist es immer ein Teil meiner Vergangenheit. Das ist wieder das Thema Zeit. Mir gefällt es, ihn in meinen Filmen älter werden zu sehen. In AUF ANFANG war er ein junger ambitionierter Mann; in OSLO, 31. AUGUST spielte er einen verlorenen Mann in seinen 30ern; in DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT ist er in seinen 40ern und versucht, ein solides Leben und eine Familie mit einer jüngeren Frau aufzubauen. Man kann von Film zu Film die vergehende Zeit in seinem Gesicht erkennen. Ich bin immer sehr glücklich, wenn Anders am Set ist. Er ist ein großartiger Schauspieler und ein guter Freund. Ich schätze ihn sehr. Wir sind sehr offen miteinander und reden viel über die Figuren, die er spielt. In diesem Film übergibt er gewissermaßen die Fackel an Renate. Die beiden verstehen sich sehr gut. Anders ist außerdem Arzt. Er leitet ein Projekt in Oslo, das Menschen hilft, eine Impfung zu bekommen. Er führt ein sehr interessantes Doppelleben.
Eivind wird ganz wunderbar von Herbert Nordrum gespielt. Können Sie etwas über Ihn sagen, da wir ihn außerhalb Norwegens noch nicht gut kennen?
Herbert ist in sehr vielen Filmen und TV-Sendungen in Norwegen zu sehen, am bekanntesten ist er für Komödien. Daneben überzeugt er aber auch im Theater in ernsthaften Rollen, vor kurzem spielte er in „Hamlet“. Ich wusste, er ist gut. Er ist ein moderner und witziger junger Osloer, ein bisschen wie seine Figur im Film. Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass er eine Rolle spielt, die mehr an seine Persönlichkeit erinnert. Herbert ist jung, talentiert, warmherzig, zeigt aber auch Eivinds Verletzlichkeit. Er stellt einen interessanten Kontrast zu Anders dar, der den älteren und intellektuelleren Aksel verkörpert. Herbert hat, wie Eivind, diesen humorvollen Sinn für Freiheit. Er ist auch ein großartiger physischer Schauspieler, was in einigen Szenen zur Komik beiträgt.
Im Film hält Aksel eine unvergessliche Rede über das Verschwinden der physischen Medien (Schallplatten, Bücher etc.). Können Sie mehr über Ihr eigenes Verhältnis dazu sagen?
Das lässt sich wieder gut mit dem Thema Zeit verbinden. Alle Generationen haben ein Gefühl des Verlustes, wenn sie älter werden und Aksels Monolog darüber, dass er ein Fan seiner Generation ist und wie er all dieses Wissen und all die kulturellen Gegenstände gesammelt hat und nun daran zweifelt, was das alles bedeutet, war eine frühe Idee, die ich für den Film hatte. Ich bin besessen von den persönlichen Manifestationen, die wir alle als Individuen spüren, wenn die Zeit vergeht, UNSERE Zeit vergeht. In meiner Generation gibt es diesen enormen Wunsch, eine Identität durch Kultur und Zeichen zu schaffen. Diese Sehnsucht, sich an kulturelle Objekte zu binden, sich den Dingen nahe zu fühlen. Dann kommt man ins mittlere Alter und sieht, wie anders die Welt geworden ist. Als Peter Bogdanovich in DIE LETZTE VORSTELLUNG den alten Cowboy einen Monolog sprechen lässt, dass seine Zeit vorbei ist, den er an die jungen Protagonisten richtet, hat mich das inspiriert. Ich habe diese Szene immer geliebt.
Was können Sie uns über die literarische Aufteilung des Films in Kapitel erzählen?
Wir hatten beim Schreiben schon früh die Idee, Fragmente eines Lebens zu zeigen, und dass der Raum zwischen den Kapiteln genauso wichtig war wie das, was wir tatsächlich sehen. Es ist ein Coming-of-Age-Film für Erwachsene, die sich aber noch nicht so fühlen. Um eine Struktur zu finden, die mehrere Jahre von Julies Leben abdeckt, von Mitte 20 bis Mitte 30, fanden wir den Humor eines „literarischen“ Rahmens hilfreich, um die Geschichte zu erzählen. Die fast romanhafte Form spiegelt auch Julies Sehnsucht nach einem großen literarischen Schicksal wider, fast so, als würde sie sich unbewusst wünschen, dass ihr Leben eine literarische Form hätte.
Können Sie ein paar Worte zu Ihrer technischen Crew sagen und wie Sie mit ihr zusammengearbeitet haben?
Mein Kameramann ist Kasper Tuxen. Er ist Däne und arbeitete schon mit zahlreichen Regisseuren wie Mike Mills und Gus Van Sant zusammen. Wir sind aus der gleichen Generation und bewundern die Arbeit des anderen seit Jahren, aber es ist das erste Mal, dass ich mit ihm zusammenarbeite. Als er nach Norwegen kam, machte er jede halbe Stunde Bilder, um das norwegische Licht zu studieren, dass er so liebt. Es war sehr spannend, meine und seine Sichtweisen miteinander zu vermischen. Mein Cutter Olivier Bugge Cotté kommt ebenfalls aus Dänemark, hat aber französische Wurzeln. Wir arbeiten seit der Filmschule zusammen. Er hat alle meine Filme geschnitten. Er kennt sich sehr gut mit Erzählstrukturen aus und versteht es fantastisch, die schauspielerischen hervorzuheben. Ich muss auch Eskil Vogt erwähnen, meinen Co-Autor. Wir haben alle meine Spielfilme gemeinsam ge
schrieben. Unsere Freundschaft besteht seitdem wir Teenager waren. Wir haben Filme miteinander geschaut und stundenlang darüber geredet. Wir haben eine sehr offene und freie Zusammenarbeit. Er kennt meine Geschichte und mein Leben. Wir haben viel zusammen erlebt und besitzen verschiedene Blickwinkel über gewisse Situationen. Es ist also etwas ganz Besonderes, mit ihm persönliche Filme zu schreiben. Ola Flottum war für den Soundtrack zuständig. Er hat eine Band, die Ambiente-Musik macht und The White Birch heißt. Er entwarf alle meine Soundtracks seit AUF ANFANG. Er macht sehr emotionale Musik, aber nicht sentimental, und das ist großartig. Neben seinen Songs haben wir einen tollen und abwechslungsreichen Soundtrack zusammengestellt. Wir haben Chassol, Harry Nilsson, Todd Rundgren, Cymande, Billie Holiday... Ich wollte, dass sich der Film wie ein Musical anfühlt.
Foto:
Trier mit seiner Hauptdarstellerin
©festival-cannes.org
Info:
Der schlimmste Mensch der Welt (Verdens verste menneske), Norwegen 2022
Regie: Joachim Trier
Drehbuch: Joachim Trier, Eskil Vogt
Besetzung: Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum
128 Minuten
Was können Sie uns über die literarische Aufteilung des Films in Kapitel erzählen?
Wir hatten beim Schreiben schon früh die Idee, Fragmente eines Lebens zu zeigen, und dass der Raum zwischen den Kapiteln genauso wichtig war wie das, was wir tatsächlich sehen. Es ist ein Coming-of-Age-Film für Erwachsene, die sich aber noch nicht so fühlen. Um eine Struktur zu finden, die mehrere Jahre von Julies Leben abdeckt, von Mitte 20 bis Mitte 30, fanden wir den Humor eines „literarischen“ Rahmens hilfreich, um die Geschichte zu erzählen. Die fast romanhafte Form spiegelt auch Julies Sehnsucht nach einem großen literarischen Schicksal wider, fast so, als würde sie sich unbewusst wünschen, dass ihr Leben eine literarische Form hätte.
Können Sie ein paar Worte zu Ihrer technischen Crew sagen und wie Sie mit ihr zusammengearbeitet haben?
Mein Kameramann ist Kasper Tuxen. Er ist Däne und arbeitete schon mit zahlreichen Regisseuren wie Mike Mills und Gus Van Sant zusammen. Wir sind aus der gleichen Generation und bewundern die Arbeit des anderen seit Jahren, aber es ist das erste Mal, dass ich mit ihm zusammenarbeite. Als er nach Norwegen kam, machte er jede halbe Stunde Bilder, um das norwegische Licht zu studieren, dass er so liebt. Es war sehr spannend, meine und seine Sichtweisen miteinander zu vermischen. Mein Cutter Olivier Bugge Cotté kommt ebenfalls aus Dänemark, hat aber französische Wurzeln. Wir arbeiten seit der Filmschule zusammen. Er hat alle meine Filme geschnitten. Er kennt sich sehr gut mit Erzählstrukturen aus und versteht es fantastisch, die schauspielerischen hervorzuheben. Ich muss auch Eskil Vogt erwähnen, meinen Co-Autor. Wir haben alle meine Spielfilme gemeinsam ge
schrieben. Unsere Freundschaft besteht seitdem wir Teenager waren. Wir haben Filme miteinander geschaut und stundenlang darüber geredet. Wir haben eine sehr offene und freie Zusammenarbeit. Er kennt meine Geschichte und mein Leben. Wir haben viel zusammen erlebt und besitzen verschiedene Blickwinkel über gewisse Situationen. Es ist also etwas ganz Besonderes, mit ihm persönliche Filme zu schreiben. Ola Flottum war für den Soundtrack zuständig. Er hat eine Band, die Ambiente-Musik macht und The White Birch heißt. Er entwarf alle meine Soundtracks seit AUF ANFANG. Er macht sehr emotionale Musik, aber nicht sentimental, und das ist großartig. Neben seinen Songs haben wir einen tollen und abwechslungsreichen Soundtrack zusammengestellt. Wir haben Chassol, Harry Nilsson, Todd Rundgren, Cymande, Billie Holiday... Ich wollte, dass sich der Film wie ein Musical anfühlt.
Foto:
Trier mit seiner Hauptdarstellerin
©festival-cannes.org
Info:
Der schlimmste Mensch der Welt (Verdens verste menneske), Norwegen 2022
Regie: Joachim Trier
Drehbuch: Joachim Trier, Eskil Vogt
Besetzung: Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum
128 Minuten