Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mutig, dachte ich als Erstes. Elegant gelöst, dann als Zweites – und auch, daß diesen Film eine Frau gedreht haben muß. Es geht nicht nur um die ersten echten erotischen Gefühle, die eine Sechzigjährige – endlich - erlebt, sondern, wie sie diese gegen Geld mit einem jungen Liebhaber erkauft.
Mutig war Nancy Stokes(Emma Thompson), als sie auf die Anzeige des Callboys namens Leo Grande (Daryl McCormack) antwortet, in einem Hotel ein Zimmer mietet, und unmittelbar als dieser klopft, alles rückgängig machen möchte, so peinlich, ja geradezu gruselig ist ihr. Das Tolle am Film und auch am Spiel der Emma Thompson ist, daß man, bzw. frau beide Haltungen, beide Gefühlsstürme nachempfinden kann: endlich Lust empfinden zu wollen, die Art und Weise, sich diese zu kaufen, aber durchaus lusttötend ist. Doch schließlich hatte Nancy gravierende Gründe für ihre Aktion, die sie sich selbst und uns in aller Offenheit mitteilt. Ihr verstorbener Mann hat sie 31 Jahre nur als Objekt für seine Lust wahrgenommen, ja benutzt. Rauf auf die Frau, sich Befriedigung verschaffen, runterrollen, einschlafen, schnarchen wahrscheinlich auch noch, während sie wachliegt und sich fragt, was das eigentlich war und mit ihr zu tun hat.
Das ist der einzige Moment, wo ich irritiert war, ob es so etwas heute noch gibt, was traditionell sicher ‚normal‘ war. Nicht die Tatsache als solche, sondern daß eine Frau das 31 Jahre mitmacht und sich nicht nach sich selber fragt. Nancy auf jeden Fall hat es mitgemacht und möchte nun endlich wissen, was sich hinter sexuellen Gefühlen verbirgt, warum die ganze Welt davon spricht, was sie noch nie erlebt hat: einen Liebesakt einschließlich Orgasmus.
Das also kann man nachempfinden, aber auch den Moment der Irritation, ja grundsätzlichen Abwehr, als der gekaufte Mann nun vor der Tür steht und sie ihn einlassen soll. Tiefe Scham ist neben der sexuellen Neugier nun das andere Gefühl, weiß sie doch ganz genau, daß das, was sie sich erhofft, eigentlich nicht käuflich ist und ihr derartig peinlich, daß sie alles abblasen will, nicht öffnen und sich irgendwohin verkriechen.l
Daß sie dies nicht tut, sondern Leo Grande in das Zimmer einläßt, führt nun zu diesem Film, in dem eine der möglichen Spielarten vom Einführen einer Sechzigjährigen in Liebesspiele gezeigt wird. Das muß man nicht beschreiben, sondern sich besser ansehen, denn der junge Mann tut schon das Richtige, der ehemaligen Religionslehrerin die anerzogene Scham zu nehmen und sie erst einmal mit sich selbst, mit ihrem Körper, ihren Regungen und Gefühlen zu konfrontieren.
Das kaum Glaubliche ist, wie dies einerseits offen, aber nicht plump vonstatten geht und über mehrere Treffen auch für beide zum Erfolg führt. Sie ist die Fragende: „Mache ich alles richtig“?, er der Führende, der auch weiß, daß es beim Liebemachen nicht ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ gibt, sondern die Inszenierung echt wirken muß, damit sich erotische Spannung entwickeln kann.
Daß sich dann noch Komplikationen ergeben, als die beiden in der Hotelbar von einer ihrer ehemaligen Schülerinnen erkannt und angesprochen wird, setzt die Heiterkeit, zu der dieser Film führt, verführt, fort. Eigentlich denkt man sich, ist der ganze Film wie eine Verführung gestrickt. Denn das heikle Thema, ach was, mehrere heikle Themen, ältere Frau, nie lustvolle Gefühle beim Miteinanderschlafen, gekaufte Lust, wird elegant entmythologisiert, mit leiser Selbstironie im Spiel der Emma Thompson ‚normalisiert‘, wozu auch die Selbstverständlichkeit, mit der Daryl McCormack seinen Leo Grande agieren läßt, seinen Teil beiträgt. Erstaunlich.
Foto:
© Verleih
Info:
BESETZUNG
Nancy Stokes Emma Thompson
Leo Grande Daryl McCormack
Becky Isabella Laughland
STAB
Regie Sophie Hyde
Drehbuch Katy Brand
© Verleih
Info:
BESETZUNG
Nancy Stokes Emma Thompson
Leo Grande Daryl McCormack
Becky Isabella Laughland
STAB
Regie Sophie Hyde
Drehbuch Katy Brand