Im Rahmen von SommerKino im Ersten am Dienstag, 26. Juli 2022
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt (Weltexpresso) - Der junge Wirtschaftsanwalt Robert Bilott (Mark Ruffalo) wird 1998 Partner der renommierten Kanzlei Taft, Stettinius & Hollister in Cincinnati, die hauptsächlich große Chemiekonzerne vertritt. Während einer Besprechung in der Kanzlei wollen ihn der Rinderzüchter Wilbur Tennant (Bill Camp) und dessen Bruder Jim (Jim Azelvandre) sprechen. Die beiden sind entfernte Bekannte von Bilotts Großmutter aus Parkersburg, West Virginia - eine Stadt mit etwa 30000 Einwohnern, in der Bilott regelmäßig seine Ferien verbracht hat.
Tennant möchte Bilott als Rechtsanwalt anheuern, um gegen das örtliche Chemiewerk klagen zu können. In den letzten Jahren sind auf seiner Farm mehr als 190 Kühe unter seltsamen Umständen verendet. Er vermutet, dass daran die illegale Entsorgung toxischer Abfälle des Chemie-Giganten DuPont Schuld ist. Der Jurist will die Beiden erst einmal mit der Bemerkung "Ich verteidige Chemieunternehmen" abblocken.
Doch dann lässt er sich überreden und holt bei seinem Chef Tom Terp (Tim Robbins) die Erlaubnis, sich die Sache vor Ort einmal anzusehen. Bei einer Besichtigung geht eine vom Tennants Rinder plötzlich auf ihn los, so dass der Farmer das Tier erschießen muss.
Bilott kontaktiert Phil Donnelly (Victor Garber), den Anwalt von DuPont, der ihm erklärt, dass er nichts über illegale Abfallentsorgung weiß. Er ist aber bereit, ihm Material zur Verfügung zu stellen. Als Bilott daraufhin klagt, erhält er von DuPont tausende von unsortierten Akten, durch die er sich langsam durcharbeiten muss. Nach einiger Zeit findet er immer wieder Bemerkungen zu einer Chemikalie namens PFOA, über die er nirgendwo etwas finden kann.
Mit Hilfe eines befreundeten Chemikers findet er langsam Beweise, die darauf hindeuten, dass DuPont nicht nur bewusst das Trinkwasser und den Fluss vergiftet hat, sondern dass auch viele Menschen durch die Arbeit in den Fabriken krank wurden.
Immer deutlicher zeigt sich, dass DuPont nicht nur Menschen und Tiere in Parkerburg geschädigt hat, sondern auch wissentlich und menschenverachtend gehandelt sowie Politiker und Umweltbehörden einzig wegen des Profits belogen hat.
Was als kleines lokales Umweltvergehen beginnt, wird sich durch Bilotts Nachforschungen zu einem riesengroßen Umweltskandal auswachsen. Der Fall wird Robert Bilott beinahe 20 Jahre lang beschäftigen. Er wird dabei gesundheitliche Probleme davontragen und sich nicht nur Freunde machen - und das nicht ausschließlich bei der Konzernspitze von DuPont, sondern auch bei einem Teil der Beschäftigten und den Bewohnern von Parkersburg...
Was ist eigentlich PFOA (Perfluoroctansäure)? PFOA ist eine fluorierte Carbonsäure mit 8 C-Atomen. Sie ist öl- und wasserabstoßend und wirkt dadurch als Tensid. Perfluoroctansäure wird als Emulgator für die Herstellung von Polymeren wie Polytetrafluorethylen (in diesem Film z.B. für Bratpfannen mit Antihaft-Beschichtung mit dem Handelsnamen Teflon der Firma DuPont) gebraucht. Die hoch-giftigen Rückstände der Produktion wurden dann einfach in Sickergruben und Seen verklappt, von dort aus sind sie ins Trinkwasser gelangt.
Nebenwirkungen sind die Langlebigkeit und die Eigenschaft, sich in Organismen anzureichern, dabei wird PFOA kaum wieder aus dem menschlichen Körper ausgeschieden. Dies kann zu Leberschäden oder Krebs führen, außerdem schädigt FOA die Embryonen bei schwangeren Beschäftigten in der Produktion.
Während des Abspanns wird aufgezeigt, dass die im Film angesprochenen Probleme inzwischen globale Ausmaße angenommen haben, denn bei 98 Prozent der US-Bevölkerung wurde inzwischen PFOA im Blut nachgewiesen. Aber auch in Europa ist die Chemikalie allgegenwärtig. Sie ist Bestandteil z.B. von Regenmänteln, Schirmen, Outdoor-Kleidung, sowie von vielen beschichteten Aufbewahrungsbehältern.
In der Europäischen Union ist PFOA seit 2020 verboten. Allerdings zeigen Wasseruntersuchungen in Deutschland, dass die Chemikalie auch hier in Grundwasserbrunnen nachgewiesen werden konnte.
Mark Ruffalo war das Thema so wichtig, dass er in "Vergiftete Wahrheit" nicht nur die Hauptrolle des Robert Bilott übernommen hat, sondern er hat den Film auch mitproduziert. Als Regisseur konnte er Todd Haynes gewinnen. Das Drehbuch schrieben Mario Correa und Matthew Michael Carnahan, das auf einem Artikel von Nathaniel Rich in der New York Times aus dem Jahre 2016 basiert.
Mark Ruffalo spielt diesen Robert Bilott sehr überzeugend, der statt einer großen Karriere als Staranwalt einer Anwaltskanzlei, die Großkonzerne vertritt, sich beharrlich für Menschen einsetzt, die durch die Umweltverschmutzung durch DuPont geschädigt wurden. Bilott ist ein Mann, der zu Beginn nur widerwillig den Farmer Wilbur Tennant vertreten will, der sich aber im Laufe der Zeit immer tiefer in die Materie einarbeitet. Ruffalo zeigt dabei ausgesprochen glaubhaft, wie stark die Wahrheiten den Anwalt belastet haben, je tiefer er in die Problematik des Falles eintaucht und je länger die Nachforschungen und die Prozesse dauern. Ruffalo, der in den letzten Jahren vor allem als Hulk in Marvel's Avengers Filmen bekannt geworden ist, zeigt hier - wie schon in "Spotlight" (2015) - eine tolle Performance und damit auch was für ein wandelbarer Schauspieler er ist.
Neben Mark Ruffalo, um dessen Robert Bilott sich natürlich der Film dreht, sticht aus dem Ensemble vor allem Bill Camp als klagender Farmer Wilbur Tennant heraus. Camp stellt ausgesprochen nuanciert und glaubhaft den Rancher dar, dem in den letzten Jahren beinahe 200 Rinder mit immer den gleichen Symptomen verendet sind und der doch vor Ort weder bei den Politikern, den Umweltbehörden, der Polizei oder den Mitbürgern Unterstützung findet.
In kleineren aber doch wichtigen Rollen sind Tim Robbins und Anne Hathaway zu sehen. Robbins spielt Bilotts Chef Tom Terp, der dem Anwalt die Erlaubnis gibt, den Fall anzunehmen und der zwar nicht mit allen Handlungen Bilotts einverstanden ist, ihm aber während der ganzen Zeit der Prozesse den Rücken freihält (auch wenn Bilott mehrere Gehaltskürzungen hinnehmen muss).
Anne Hathaway ist als Bilotts Ehefrau Sarah zu sehen, deren Rolle über den größten Teil des Filmes die einer unscheinbaren Hausfrau ist, die während der Zeit der Prozesse 3 Kinder bekommt und die die meiste Zeit im Haushalt herumwerkelt, aber immer zu ihrem Mann steht, obwohl sie Angst um ihre Familie und deren (finanzielle) Zukunft hat. Hathaway hat dann spät im Film eine sehr emotionale Szene, in der sie Tom Terp sagt, dass er aufhören soll, Robert das Gefühl zu geben, ein Versager zu sein, da er etwas für Menschen getan hat, die Hilfe brauchten.
Regisseur Todd Haynes hat den Film sehr gradlinig und komplett chronologisch inszeniert. Dabei erzeugt er Spannung nicht nur durch die nacherzählten Tatsachen, sondern auch durch die düstere Atmosphäre. Zwar hat Haynes den Film wie einen Gerichtsthriller aufgezogen, aber trotzdem ist ein nachdenkenswerter, beklemmender und aktueller Umweltfilm entstanden, denn auch wenn die Prozesse nach mehr als 15 Jahren beendet sein mögen besteht das Problem weiter - auch heute noch wird z.B. bei der Klimadebatte teilweise mit absonderlichen Aussagen argumentiert.
Der Film wurde von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) mit dem Prädikat "besonders wertvoll" ausgezeichnet, da dem Regisseur, basierend auf einer wahren Geschichte, ein faszinierendes Justizdrama gelungen ist, das neben seiner politischen Aussage auch virtuoses, intelligentes und spannendes Erzählkino ist.
Insgesamt ist "Vergiftete Wahrheit" ein emotionales und auch spannendes Justizdrama über den Kampf des Rechtsanwalts Robert Bilott, der einen gigantischen Umweltskandal aufgedeckt hat und der mittlerweile seit mehr als zwanzig Jahren einen Kampf gegen einen der größten Chemiekonzerne führt. Der Film lässt den Zuschauer über das Ausmaß der Verschmutzung und die Arroganz der Konzerne nicht nur den Kopf schütteln, sondern macht auch wütend, denn die Auswirkungen sind weltweit und auf viele Jahrhunderte zu spüren. "Vergiftete Wahrheit" ist auch zu Hause zu etwas später Stunde ein unbedingt sehenswerter Film.
Zusatz: Robert Bilott wurde 2017 mit dem Right Livelihood Award, dem sogenannten alternativen Nobelpreis ausgezeichnet "für die Aufdeckung einer über Jahrzehnte andauernden chemischen Umweltverschmutzung, das Erreichen von Entschädigung für deren Opfer und seinen Einsatz für eine effektivere Regulierung gefährlicher Chemikalien".
Foto 1: Robert Bilott (Mark Ruffalo) und seine Frau Sarah (Anne Hathaway) befinden sich auf einem gesellschaftlichen Aufstiegskurs. © ARD Degeto / Focus Features LLC and Storyteller Distribution Co., LLC.
Foto 2: Robert Bilott (Mark Ruffalo) verbeißt sich in den aussichtslos scheinenden Fall. © ARD Degeto / Focus Features LLC and Storyteller Distribution Co., LLC
Foto 3: Der aufstrebende Wirtschaftsanwalt Robert Bilott (Mark Ruffalo) vertritt den erbosten Farmer Wilbur O. Tennant (Bill Camp). © ARD Degeto / Focus Features LLC and Storyteller Distribution Co., LLC.
Info:
Vergiftete Wahrheit (USA 2019)
Originaltitel: Dark Waters
Genre: Justiz-Drama, Umweltskandal, PFOA
Filmlänge: ca. 125 Min.
Regie: Todd Haynes
Drehbuch: Mario Correa, Matthew Michael Carnahan
Darsteller: Mark Ruffalo, Anne Hathaway, Tim Robbins, Bill Camp, Mare Winningham, Bill Pullman, Victor Garber, William Jackson Harper u.a.
FSK: ab 12 Jahren
Der Film wird am Dienstag, 26. Juli 2022, 22:50 Uhr im Rahmen von SommerKino im Ersten gezeigt und am Mittwoch, 27. Juli 2022 um 02:45 Uhr wiederholt.