zeit4Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. September 2022, Teil 14

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gerade dieser Film soll nicht untergehen, der sogar am 31. August in die Kinos kam, wo doch heute schon die neuen anlaufen. Schon die Besetzung: Isabelle Huppert und Lars Eidingen ist ungewöhnlich, und auch durchaus gewöhnungsbedürftig. Ich mochte den Film, der kein Reißer ist, sondern eher eine stille Lebenserzählung der Verlegerin Joan Verra (Isabelle Huppert), in die sich der exzentrische Autor Tim Ardenne (Lars Eidinger) immer wieder wie ein verzogenes Kind bzw. ein zu kurz gekommener Liebhaber lautstark einmischt und dann doch da ist, wenn sie ihn braucht.

Der Filmverlauf ergibt sich wie von selbst. Da muß nichts Künstliches eingebaut werden. Die Ausgangslage ist – bei aller Komplexität der Situation - ganz einfach. In Paris trifft die erfolgreiche Verlegerin zufällig ihrer ersten großen Liebe. Sie ist so aufgewühlt, daß sie Abstand braucht und deshalb in ihr von den Eltern überkommenes Landhaus flieht, um dort Ruhe zu finden – und vor allem sich der vierzig letzten Jahre ihres Lebens bewußt zu werden. Die Geschichte fing in Dublin an, wo sie, die einen irischen Vater hatte, als Au-pair-Mädchen dessen Heimat kennenlernen wollte, sich stattdessen aber schnell in einen jungen, für sie rasend attraktiven Kerl verliebte, der ein Taschendieb und in den Tag Hineinlebender war, was sie, das gut erzogene junge Mädchen hinreißend fand, seine Schelmereien, aber auch seine kleinen Gaunereien und Verbrechen mitmachte – und sich im Gefängnis wiederfand.

Die Eltern holten ihre Tochter rasch nach Frankreich, wo sich ihre Schwangerschaft herausstellte. Sie bekam einen Sohn Nathan, ohne daß der Vater davon wußte. Das alles ging problemlos, weil ihre Eltern für das Kind da waren – und dann auf einmal nur der Vater. Die Mutter hatte sich ebenfalls verliebt und verduftete mit ihrem Karatelehrer in dessen Heimat, Japan.

Diese Erinnerungen, die sie im elterlichen Haus auf dem Lande überfallen, wechseln mit dem Zeitgeschehen, wo etwas so Unglaubliches passiert. Sie erfährt en passant, daß ihre Mutter schon vor fünfzehn Jahre mindestens heimlich nach Frankreich zurückkehrte und als Sozialfall vor sich hinlebte und gestorben ist.

Dem Vergehen und dem Nachsinnen des eigenen Lebens gegenüber steht dann die überraschende Ankunft ihres Sohnes (Swann Arlaud). Es ist eine schwierige Beziehung, wie auch nicht, bei diesen Voraussetzungen. Und dann reist auch noch ihr Autor und Liebhaber Tim Ardenne an, den wir schon zuvor bei seinen, im Fernsehen ausgestrahlten exzentrischen Auftritten bei Lesungen kennengelernt hatte, der aber der angeschlagenen Joan ein in sie sehr verliebter Fels in der Brandung wird. Alle drei stehen vor dem Grab der Mutter und nehmen Abschied.

Abschied und wie man weiterlebt, ist das große Thema diesen Films. Wer je ein Haus, in dem er lange lebte, verlassen und das gesamte Mobiliar räumen mußte, weiß, wovon hier zu sprechen ist. Joan hat sich entschieden, das Haus zu verkaufen, was der Zuschauer angesichts der Größe, Abgeschiedenheit und herrlichen Natur zwar nicht verstehen kann, aber akzeptieren muß. Und beim Wandeln der Lebensumstände erkennt Joan, selbst etwas überrascht, daß sie in Tim doch mehr als ihren Vorzugsautor und Liebhaber hat. Sie spricht ihm gegenüber über ihre Gefühle, seine glühen sowieso für sie, so daß man mit den Scherzen der beiden über ihr weiteres Leben mit dem Gefühl das Kino verläßt, daß das Leben zwar kompliziert ist, daß man sich aber auch einfach an ihm freuen kann, wenn man seien eigenen Gefühle akzeptiert.

Fotos:
©Verleih

Info:
Besetzung
JOAN VERRA              Isabelle Huppert
TIM ARDENNE.           Lars Eidinger
JOAN VERRA (70er & 80er).   Freya Mavor
NATHAN VERRA          Swann Arlaud
NATHAN VERRA (80er).         Louis Broust
NATHAN VERRA (90er).         Dimitri Doré
MADELEINE VERRA.       Florence Loiret-Caille

Stab
REGIE             Laurent Larivière
DREHBUCH.   François Decodts & Laurent Larivière