Zum neuen Film von Cem Kaya über die türkische Popkultur
Eva Mittmann
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Gleich zu Beginn sehen wir in Großaufnahme einen türkischen Saz-Spieler und dazu die Ansage: „Mr. Topcu, wir wollen Sie Saz spielen hören auf dem Mond!“ Und wahrlich: Ismet Topcu ist ein Meister seines Instruments und sein virtuoses Spiel an der Saz (türkische Laute) erinnert in seiner Geschwindigkeit an den Hummelflug von Rimsky Korsakov. Und darüber hinaus, welch' Überraschung! Er spricht anschließend perfekt Deutsch – und noch dazu mit rheinischem Akzent!
Gleich darauf Kameraschwenk zu einer Tanz-Szene. Dazu die Einblendung unterschiedlicher Tonträger, Kassetten, DVDs, Cds mit unterschiedlichen Titeln, wie: „Bring mir eine Nachricht von meinem Liebsten!“ oder „Unsere Eltern haben sehr gelitten!“ und „Zug ins Ungewisse“. Die Filmeinblendungen zeigen, wie damals im Jahre 1955 die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen: „Wir verdanken unseren Eltern, dass wir heute hier sind. Sie haben alle Verantwortung übernommen". Eine Darstellung zeigt beispielhaft eine Filmszene aus diesem Jahr. Dazu die Tonspur: „I’m going to take off to Germany“. Und die Antwort: „Sei nicht dumm – bleib hier!” Diese Anfangs-szene fängt tragikomisch die ambivalente Stimmung ein.
2 000 000 Ausländer; davon 600 000 Frauen aus Portugal, Spanien, Italien, Jugoslawien, Griechenland und der Türkei. „Ich bin fremd hier“ – „Ich bin Ausländer“, so lauten deren stereotype Losungsworte. Sie prägen nachfolgend die „Lost Generation“, eine Generation von Kindern, die sich selbst überlassen waren, weil die Eltern nicht ‚frei gekriegt haben‘, wie es heißt. So wachsen diese Menschen meist ohne Ausbildung auf, ohne Wissen und ohne Kenntnis oder fördernde Hilfe. Hierzu äußert sich Protestsänger Asik Metin Türkoz folgendermaßen: „Sie verletzen dich und du sagst ‚Ja‘. Wir kannten nur ein Wort und das war ‚Ja‘.“ Adnan und Metin Mürkoz formulieren es dann etwas vorsichtiger: „Es gibt zu viele Unterschiede zwischen der Heimat und hier.“ Diese Konfrontation mit einer anders gearteten Umwelt brachte deshalb eine Fülle von Protestliedern hervor und führte dazu, dass mit den Instrumenten und der Musik alle Wünsche und Leiden ausgedrückt werden sollten: „Ich kaputt - Dichter kaputt!“ Oder: „Armer Deutscher, nicht mal deine Frau hört auf dich!“ Die Wirklichkeit aber ist brutal. Es heißt: “Jeder dritte Deutsche betrachtet die Gastarbeiter als notwendiges Übel; jeder sechste will mit Gastarbeitern nichts zu tun haben.“ Die lyrische Antwort darauf erfolgt prompt: „Statt Fleisch und Knochen sind nur noch Sägespäne in mir. Ich habe dich satt - Deutschland!“. Doch es gibt zum Glück auch einige Gegenentwürfe: Zum Beispiel den Arbeitskampf 1973 für mehr Menschlichkeit. Und daran anknüpfend die damals noch neuen und radikalen musikalischen Antworten des Rap und Hip-Hop, die den Jugendlichen der Folgegenerationen von Migranten eine Stimme und eine neue Chance zu Selbstbehauptung und Selbstbewusstsein gaben.
Was uns zum Schluss dennoch wehmütig stimmt, ist die Zerrissenheit der in der Fremde verlorenen Seelen, die sich beispielhaft in folgendem Bekenntnis manifestiert: „Ich bin Hafis – Wie ein Wurm bin ich zur Arbeit gekrochen. Habe weder eine Arbeit vollendet noch ein Ziel erreicht!“
Fotos:
©filmfaust, filmfive; filmstarts.de; swr 2022
Info:
Cem Kaya in Hessen, Sondervorführungen Dokumentarfilmtag: LIEBE, D-MARK UND TOD – AŞK
Der Film "Liebe, D-Mark und Tod - Ask, Mark ve Ölüm" läuft am 29. September in den deutschen Kinos an.
https://www.swr.de/swr-doku-festival/doku-festival-22-liebe-d-mark-und-tod-100.html
https://de.qantara.de/inhalt/cem-kaya-ueber-tuerkische-pop-kultur-es-gibt-nicht-die-eine-homogene-tuerkische-kultur
https://www.youtube.com/watch?v=ITKaIVrIbnk