André Schäfer
Zürich (Weltexpresso) - MOTIVATION ... aus dem halbdunklen Raum trat Laura. Sie war zum Ausgehen gekleidet und schien es eilig zu haben. „Sag mal, hast du irgendwo meinen Scheiss Kalender gesehen?”
Mit diesem ziemlich alltäglichen Satz endet der ziemlich außergewöhnliche Roman DIE ZEIT, DIE ZEIT von Martin Suter. Als ich ihn las und sich mir die atemberaubende Pointe des Romans erschloss, begann in meinem Kopf die Arbeit an diesem Projekt. Ich hatte zuvor schon einige Romane von Martin Suter mit Begeisterung gelesen. Doch erst nach der Lektüre von DIE ZEIT, DIE ZEIT wusste ich, dass ich einen Film über Martin Suter machen will.
Da war einerseits eine sinnliche Faszination für die Bilder dieses Romans. DIE ZEIT, DIE ZEIT stellt die These auf, dass es keine Zeit gibt, sondern nur Veränderung. Dieser Idee verpflichtet, machen die Hauptfiguren des Romans sich daran, ihre Straße in einer Zürcher Wohnsiedlung wieder so aussehen zu lassen, wie auf einigen Fotos aus dem Jahr 1992 – bis ins letzte Detail. Ihre Idee: man kann einen vergangenen Moment wieder herstellen, wenn man ihn exakt rekonstruiert und jegliche Veränderung negiert. Beide Figuren sind Witwer – und hoffen durch ihren aberwitzigen Plan, den Tod ihrer Frauen ungeschehen machen zu können.
Wie kommt ein Künstler auf solche Ideen? Wieso berührt Martin Suter mit solchen komplexen Plots und Geschichten so viele Menschen? Wie findet er diese ungewöhnlichen Zugänge zu grossen Themen: in diesem Fall der Zeit, Schmerz und Sühne?
Ich las nach der Lektüre von DIE ZEIT, DIE ZEIT zahlreiche Interviews mit Martin Suter. Der Autor beschreibt sich dabei meistens als Handwerker, nicht als Künstler. Er vergleicht das Schreiben mit einem Bürojob, mit festen Ritualen und Arbeitszeiten „9 to 5“.
Ich musste an das Jahr 2011 denken, an die Dreharbeiten für meinen Kino-Dokumentarfilm über den amerikanischen Autoren John Irving. Irving verglich das Schreiben mit Ringen, da es bei beidem um Konzentration und die optimale Dosierung der eigenen Kräfte gehe. Irving und Suter: zwei ganz unterschiedliche Autoren mit ähnlichen Philosophien – Schreiben ist Kunst, ja. Aber vor allem ist es harte Arbeit.
Wie kommt ein Künstler auf solche Ideen? Wieso berührt Martin Suter mit solchen komplexen Plots und Geschichten so viele Menschen? Wie findet er diese ungewöhnlichen Zugänge zu grossen Themen: in diesem Fall der Zeit, Schmerz und Sühne?
Ich las nach der Lektüre von DIE ZEIT, DIE ZEIT zahlreiche Interviews mit Martin Suter. Der Autor beschreibt sich dabei meistens als Handwerker, nicht als Künstler. Er vergleicht das Schreiben mit einem Bürojob, mit festen Ritualen und Arbeitszeiten „9 to 5“.
Ich musste an das Jahr 2011 denken, an die Dreharbeiten für meinen Kino-Dokumentarfilm über den amerikanischen Autoren John Irving. Irving verglich das Schreiben mit Ringen, da es bei beidem um Konzentration und die optimale Dosierung der eigenen Kräfte gehe. Irving und Suter: zwei ganz unterschiedliche Autoren mit ähnlichen Philosophien – Schreiben ist Kunst, ja. Aber vor allem ist es harte Arbeit.
Auf mich wirkte Martin Suter bei unserem ersten Treffen fast zurückhaltend und schüchtern – aber er wirkte vor allem verschmitzt. Und als verschmitzt würde ich auch seine Literatur bezeichnen. Mich beschlich der Verdacht, dass Martin Suter sich hinter der sehr technischen Beschreibung seiner kreativen Arbeit verstecken will. Dass er ablenken will von Emotionen, Ängsten und persönlichen Dingen, die in sein Werk fließen und es vermutlich so aufregend machen.
Mich interessieren diese beiden Seiten der Schriftstellerei: das Handwerk und das Persönliche, das Technische und das Emotionale – und wo die Grenzen zwischen diesen Aspekten verschwimmen. Es ist mir wichtig, nicht zu psychologisieren. Es ist mir auch ein Anliegen keinesfalls didaktisch die Zusammenhänge zwischen Biografie und Werk des Autors aufzuzeigen – ich möchte, dass der Zuschauer in die Literatur von Martin Suter eintaucht und so den Menschen Suter kennen lernt.
Daher habe ich nicht nur intensive Gespräche mit Suter und seinen engsten Vertrauten geführt, sondern ausgewählte Zitate aus Suter Romanen inszeniert. Mit der Inszenierung dieser Szenen wollte ich versuchen, kreative Prozesse transparent werden zu lassen. Und Suter, ihr Erschaffer, hat sozusagen als Zaungast beigewohnt.
Seit meinem ersten Treffen mit Martin Suter in Zürich hat sich unsere Beziehung verstärkt. Aus dem scheuen Kennenlernen und einem ersten Vorstellen der Idee meines Films entwickelte sich eine aufgeschlossene und fast enthusiastische Diskussion über seine Bücher, den Film, seine Mitwirkung und unsere gemeinsamen Ziele.
STIL & ARBEITSWEISE
Dieser Film ist ein Hybrid aus szenischem Film und Dokumentarfilm. Die Bildsprache ist in einem dokumentarisch-rauen Stil gehalten, fast alles wird aus der Hand gedreht, damit die Kamera nah an den Protagonist:innen und am Geschehen sein kann. Die mit Schauspieler:innen inszenierten Szenen sind bewusst in ähnlichem Stil gehalten wie die Interviews mit Suters Familie und den weiteren Protagonist:innen.
Die Grenzen zwischen Inszenierung und Dokumentarfilm sollen so bewusst verwischt werden. Alles, was wir hören und sehen, soll wie Realität aussehen. Der Kinobesucher muss die Romane Martin Suters nicht gelesen haben. Die filmische Umsetzung mit dem Wechsel aus Lesungen, Gesprächen mit Martin Suter und weiteren Protagonist:innen, O-Tönen und Orten geben dem Publikum die Möglichkeit der Erzählung zu folgen und in Suters Universum einzutauchen. Die Zitate und Inszenierungen aus DIE ZEIT, DIE ZEIT sind chronologisch aus dem Roman und bauen aufeinander auf.
Und wer die Romane kennt, kann ihnen gemeinsam mit Suters Kommentaren und den subtil inszenierten Szenen noch einmal neu begegnen. Die Kamera hat das Geschehen mal eins mit der Realität, mal assoziativ bewusst verfremdet aufnehmen, etwa wenn in einem literarischem Zitat ein Mercedes in einer bestimmten Farbe vorbei fährt, in unserem Film dieses Auto aber irgendein Auto ist, das gerade durchs Bild fährt.
Es sind meine subjektiven Erfahrungen beim Lesen seiner Bücher, die meinen Gesprächen mit Martin Suter zugrunde liegen. Meine Fragen und Vermutungen, die Überraschungen, die mich beim Lesen immer wieder begeistern und die meinen Geschmack treffen, haben zur Auswahl der Zitate geführt und waren die zentralen Anknüpfungspunkte, dem Menschen hinter den Büchern näher zu kommen.
LOCATIONS
Der Dokumentarfilm führt Suter an Schauplätze, zeigt dort Augenblicke, Fragmente der Geschichten, die Suter beim Schreiben im Kopf hatte – und die seinen Blick für Realität und das Verwandeln in Fiktion dokumentieren und sichtbar machen. Von ihm erfahren wir, was er sich vorgestellt hat; in den Bildern, die wir gedreht haben, ist unsere Übersetzung zu sehen, manchmal deckungsgleich, manchmal nicht.
Foto:
©Verleih
Info:
Autor & Regisseur André Schäfer (DE)
ProduzentInnen Marianne Schäfer & André Schäfer (DE)
Musik Martin Skalsky (CH)
Sound Design Gina Keller (CH)
Titelsong Stephan Eicher (CH)
Mich interessieren diese beiden Seiten der Schriftstellerei: das Handwerk und das Persönliche, das Technische und das Emotionale – und wo die Grenzen zwischen diesen Aspekten verschwimmen. Es ist mir wichtig, nicht zu psychologisieren. Es ist mir auch ein Anliegen keinesfalls didaktisch die Zusammenhänge zwischen Biografie und Werk des Autors aufzuzeigen – ich möchte, dass der Zuschauer in die Literatur von Martin Suter eintaucht und so den Menschen Suter kennen lernt.
Daher habe ich nicht nur intensive Gespräche mit Suter und seinen engsten Vertrauten geführt, sondern ausgewählte Zitate aus Suter Romanen inszeniert. Mit der Inszenierung dieser Szenen wollte ich versuchen, kreative Prozesse transparent werden zu lassen. Und Suter, ihr Erschaffer, hat sozusagen als Zaungast beigewohnt.
Seit meinem ersten Treffen mit Martin Suter in Zürich hat sich unsere Beziehung verstärkt. Aus dem scheuen Kennenlernen und einem ersten Vorstellen der Idee meines Films entwickelte sich eine aufgeschlossene und fast enthusiastische Diskussion über seine Bücher, den Film, seine Mitwirkung und unsere gemeinsamen Ziele.
STIL & ARBEITSWEISE
Dieser Film ist ein Hybrid aus szenischem Film und Dokumentarfilm. Die Bildsprache ist in einem dokumentarisch-rauen Stil gehalten, fast alles wird aus der Hand gedreht, damit die Kamera nah an den Protagonist:innen und am Geschehen sein kann. Die mit Schauspieler:innen inszenierten Szenen sind bewusst in ähnlichem Stil gehalten wie die Interviews mit Suters Familie und den weiteren Protagonist:innen.
Die Grenzen zwischen Inszenierung und Dokumentarfilm sollen so bewusst verwischt werden. Alles, was wir hören und sehen, soll wie Realität aussehen. Der Kinobesucher muss die Romane Martin Suters nicht gelesen haben. Die filmische Umsetzung mit dem Wechsel aus Lesungen, Gesprächen mit Martin Suter und weiteren Protagonist:innen, O-Tönen und Orten geben dem Publikum die Möglichkeit der Erzählung zu folgen und in Suters Universum einzutauchen. Die Zitate und Inszenierungen aus DIE ZEIT, DIE ZEIT sind chronologisch aus dem Roman und bauen aufeinander auf.
Und wer die Romane kennt, kann ihnen gemeinsam mit Suters Kommentaren und den subtil inszenierten Szenen noch einmal neu begegnen. Die Kamera hat das Geschehen mal eins mit der Realität, mal assoziativ bewusst verfremdet aufnehmen, etwa wenn in einem literarischem Zitat ein Mercedes in einer bestimmten Farbe vorbei fährt, in unserem Film dieses Auto aber irgendein Auto ist, das gerade durchs Bild fährt.
Es sind meine subjektiven Erfahrungen beim Lesen seiner Bücher, die meinen Gesprächen mit Martin Suter zugrunde liegen. Meine Fragen und Vermutungen, die Überraschungen, die mich beim Lesen immer wieder begeistern und die meinen Geschmack treffen, haben zur Auswahl der Zitate geführt und waren die zentralen Anknüpfungspunkte, dem Menschen hinter den Büchern näher zu kommen.
LOCATIONS
Der Dokumentarfilm führt Suter an Schauplätze, zeigt dort Augenblicke, Fragmente der Geschichten, die Suter beim Schreiben im Kopf hatte – und die seinen Blick für Realität und das Verwandeln in Fiktion dokumentieren und sichtbar machen. Von ihm erfahren wir, was er sich vorgestellt hat; in den Bildern, die wir gedreht haben, ist unsere Übersetzung zu sehen, manchmal deckungsgleich, manchmal nicht.
Foto:
©Verleih
Info:
Autor & Regisseur André Schäfer (DE)
ProduzentInnen Marianne Schäfer & André Schäfer (DE)
Musik Martin Skalsky (CH)
Sound Design Gina Keller (CH)
Titelsong Stephan Eicher (CH)