Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. Oktober 2022, Teil 4
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - 1942 lebt der 20jährige Cioma Schönhaus (Louis Hofmann) in Berlin allein in der geräumigen Wohnung seit seine jüdischen Eltern in den Osten deporniert worden sind.. Er selbst arbeitet in der Rüstungsindustrie und ist deshalb bis jetzt von der Deportation verschont geblieben.
Eines Tages steht sein Freund, der junge Schneider Det Kassriel (Jonathan Berlin), vor der Tür und übernachtet jetzt häufiger dort. Det hat Kontakte zu den Marktfrauen, die ihm gegen kleine Gefälligkeiten immer wieder Nahrungsmittel ohne Karte geben. Cioma und Det gehen regelmäßig mit Uniformen von Marineoffizieren aus und erzählen erfundene Geschichten von ihren Kriegserlebnissen. An einem dieser Abende lernt Cioma Gerda (Luna Wedler) kennen, die - wie sie erzählt - in der Wohnung ihres Verlobten lebt und aus Beiden wird ein Paar.
Cioma erhält von Walter Heymann (Joscha Schoenhaus), einem Kollegen an seiner Arbeitsstelle, den Hinweis, dass er sich mal mit dem Anwalt Franz Kaufmann (Marc Limpach) treffen soll. Da Schönhaus vor dem Krieg eine Grafikschule besucht hat, bittet ihn der Anwalt Ausweispapiere für Menschen zu fälschen, die aus Deutschland flüchten müssen. Cioma macht sich mit Begeisterung ans Werk, denn für seine Arbeit erhält er Lebensmittelmarken im Tausch. Auch wenn die ersten Versuche doch etwas stümperhaft geraten sind und er die Arbeit auf die leichte Schulter nimmt, wird er im Laufe der Zeit immer besser und er erkennt, was er eigentlich leistet.
Da er wegen seines regelmäßigen Zuspätkommens seine Arbeit in der Rüstungsfabrik verliert, hat er jetzt Zeit in einem leerstehenden Lebensmittelladen zusammen mit dem etwas älteren Ludwig Lichtwitz (Yotam Ishay) Ausweise zu fälschen. Gleichzeitig hat Frau Peters (Nina Gummich), die ehemalige Mitbewohnerin in Ciomas altem Haus, unter der Hand die Möbel der Eltern verkauft. Dadurch können sich Cioma und Det eine kleine eigene Wohnung leisten.
Zwar entgeht er durch seinen Einfallsreichtung und seinen Charme immer wieder den Behörden, doch bringen ihn auch seine Fälschungen und sein unerschrockenes Auftreten immer wieder in Gefahr - auch wenn sein Talent zahlreichen Menschen zur Flucht verhilft.
Da den Behörden inzwischen bekannt ist, dass über 300 gefälsche Pässe im Umlauf sind, und die gesamte Gruppe aufzufliegen droht, sucht Cioma nach einer Möglichkeit für sich selbst einen Wehrmachtsausweis zu fälschen. Dazu benötigt er aber eine echte Vorlage. Doch an wenn kann er sich deshalb wenden?
Samson ″Cioma″ Schönhaus (* 28. September 1922 in Berlin; † 22. September 2015 in Biel-Benken) war ein Grafiker, der während des Zweiten Weltkriegs Pässe fälschte und 1943 als er von der Gestapo gesucht wurde, sich getarnt als Wehrmachtsoldat auf Heimaturlaub in die Schweiz retten konnte. Der evangelische Theologe Karl Barth vermittelte ihm später ein Stipendium an der Kunstgewerbeschule in Basel. Dort absolvierte er eine Ausbildung zum Grafiker und arbeitete auch in diesem Beruf. Schönhaus hatte vier Söhne. Sein Enkel Joscha Schönhaus hat in dem Film eine kleine Rolle als Ciomas Arbeitskollege Walter Heymann.
Geschätzt 7.000 Juden tauchten während des 2. Weltkrieges in Berlin unter, von denen haben aber nur etwa 1.700 überlebt. Vor dem hier besprochenen Film gab es mindestens schon zwei andere, die dieses Thema auch behandelten und zwar der Fernsehfilm "Nicht alle waren Mörder: Eine Kindheit in Berlin" (2006) nach dem gleichnamigen Buch – erschienen 1999 - von Michael Degen und das Doku-Drama ″Die Unsichtbaren - Wir wollen leben″ (2017) in dem auch Cioma Schönhaus in Interviewsausschnitten zu sehen ist. Als junger Mann wird er dabei von dem Schauspieler Maximilian Mauff dargestellt.
Nach dem autobiografischen Bericht von Cioma Schönhaus: Der Passfälscher. Die unglaubliche Geschichte eines jungen Grafikers, der im Untergrund gegen die Nazis kämpfte (2004) hat Drehbuchautorin und Regisseurin Maggie Peren ihren Film gedreht.
Das Drama und damit die ganze unwahrscheinliche Geschichte lebt von der Darstellung von Louis Hofmann. Er spielt Cioma Schönhaus mit einer leichten und charmanten Art herausragend, der auch in vielen recht brenzlichen Situationen nicht seine Freundlichkeit und sein Selbstbewußsein verliert. Dabei ist es gerade diese lockere Art, die ihn in der Öffentlichkeit schützt. Allerdings trägt er auch nie einen Judenstern. Im ganzen Film gibt es eigentlich nur eine einzige Szene, in der Cioma große Angst um sein Leben hat.
Neben Louis Hofmann bleibt vor allem Nina Gummich als Frau Peters, die als Kriegswitwe in der Wohnung im Paterre wohnt, in Erinnerung. Frau Peters ist eine Frau, die die Widersprüchlichkeit einer typischen Mitläuferin zeigt, da sie sich auf der einen Seite unbedingt an vorgeschriebenen Regeln halten will, daneben ist sie aber auch regelmäßig auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Gleichzeitig erkennt sie sehr genau, wie das System ausgetrickst werden kann. In manchen Momenten hat sie aber auch ganz andere, weichere Seiten, wenn sie Det in Ciomas Wohnung leben lässt, unter der Hand die Möbel verkauft oder am Ende Cioma bei der Suche nach einem Wehrpass hilft und ihn recht kaltblütig vor der Gefangennahme rettet.
Luna Wedler als Gerda und Jonathan Berlin als Ciomas Freund Det Kassriel sind in kleineren Rollen zu sehen, ihre Darstellung bleibt aber auch im Gedächtnis haften, vor allem wenn z.B. der Schneider Det für seine Kundinnen nicht nur Kleider ändert, sondern auch andere Gefälligkeiten erledigt.
Das Zusammenspiel von Louis Hofmann als Cioma und Luna Wedler als Gerda funktioniert besonders gut, denn die zarte Liebe, die sich zwischen den beiden jungen Menschen entwickelt, gelingt hervorragend durch das, was nicht ausgesprochen wird. Es wird lange nicht klar, was es mit Gerda und dem abwesenden Verlobten eigentlich auf sich hat. Luna Wedler vereint als Gerda den Widerspruch, selbst überleben und lieben zu wollen.
In einigen Szenen wird die Schwere der Situation umgangen, vor allem, wenn Cioma wieder einmal in der Öffentlichkeit ″untertaucht″, wenn Cioma und Det in von Det umgeänderten Offiziersuniformen der Marine ein Nachtlokal aufsuchen und dort das Blaue vom Himmel lügen. Hier zeigt sich, dass Cioma genau weiss, wie er die Situation am besten meistern kann. Allerdings macht der Film auch immer wieder deutlich, dass die Lässigkeit dem jungen Mann auch gefährlich werden kann - und nicht nur für ihn, denn durch seine Fälschungen sind ja auch andere Menschen involviert.
Maggie Peren hat versucht, das Drama nicht allzu schwer werden zu lassen, denn viele der realen Probleme wurden nur am Rand erwähnt. So gab es eigentlich nur einen Bombenangriff (der allerdings für den Fortgang der Story wichtig war) und es wird relativ wenig über die Deportation von Ciomas Eltern gesprochen. Die Regisseurin verpackt die Schrecken des Dritten Reiches in kleine Handlungen und Gesten des Alltags, wenn z.B. die Habseligkeiten der Familie Schönhaus vom Staat konfisziert werden und dann unter der Hand verkauft werden.
Die FBW Jugendfilmjury vergibt 4,5 von 5 Sternen und empfiehlt diesen Film ab 10 Jahren, da er dieses düstere Kapitel der deutschen Geschichte vielschichtig beleuchtet, aber nicht mit einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit, so dass man sogar während des Films lachen konnte.
Auch wenn ″Der Passfälscher″ die Probleme der jüdischen und nicht jüdischen Bevölkerung in Berlin während des Krieges wie öffentliche Erniedrigung, Luftangriffe, Verwundete, Hunger und ausgebombte Häuser nicht zeigt (was ja teilweise auch erst nach den alliierten Angriffen dauerhafte Realität wurde), ist trotz allem ein interessanter Film entstanden, der zeigt, dass es trotz der engen Überwachung Menschen gab, die mit Glück und der Hilfe anderer es geschafft haben, entgegen allen Widrigkeiten zu überleben. Damit zeigt die Regisseurin, dass es auch - wenn auch nur für Wenige - Hoffnung in einer hoffnungslosen Zeit gab und dass es sich lohnt genau daran zu denken. Das macht das Biopic spannend und nachdenkenswert.
Foto 1: Louis Hofmann (Cioma Schönhaus) und Joscha-Schoenhaus (Walter Heymann) © X Verleih
Foto 2: Luna Wedler (Gerda) und Louis Hofmann (Cioma Schönhaus) © X Verleih
Foto 3: Louis Hofmann (Cioma Schönhaus) und Marc Limpach (Dr. Franz Kaufmann) © X Verleih
Info:
Der Passfälscher (Deutschland, Luxemburg 2022)
Originaltitel: The Forger
Genre: Drama, Biopic, Antisemitismus, Widerstand, Literaturadaption, 2. Weltkrieg
Filmlänge: ca. 116 Min.
Regie: Maggie Peren
Drehbuch: Maggie Peren nach dem Buch von Cioma Schönhaus: Der Passfälscher. Die unglaubliche Geschichte eines jungen Grafikers, der im Untergrund gegen die Nazis kämpfte (2004)
Darsteller: Louis Hofmann, Luna Wedler, Jonathan Berlin, Nina Gummich, André Jung, Marc Limpach, Joscha Schönhaus u.a.
Verleih: X Verleih AG
FSK: ab 6 Jahren
Kinostart: 13.10.2022