blu ray schneeEine ergreifende Dokumentation, seit dem 2. Oktober auf Blu-ray und DVD bei MFA+

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So was gibt es also auch! Daß man fristgerecht zum Verkaufsdatum eine begeisterte Kritik schreibt, sie auch in das System der Zeitung eingibt und dann den Haken vergiß, zu welchem Datum das Loblied öffentlich verkündet werden darf. Das kann man beheben und Marie Amiguet und Vincent Munier gratulieren, wie sie die Spuren im Schnee von Sylvain Tesson, Vincent Munier und – ja, am Ende auch die des Schneeleoparden uns sinnlich vor Augen bringen.

Und noch etwas vorneweg. Dieser Film wird sie verändern. Immer dann, wenn in diesem Monat angesichts von Buchpreis, Buchmesse und so viel anderen Ereignissen das Leben, ach was, das Arbeiten allzu hektisch wurden, habe ich in diese leisen, weißen Film hineingeschaut, der auf einen eine tiefe entspannende Wirkung hat, selbst, wenn man nur 10 Minuten schaut. Und darum rate ich, was ich selten so deutlich tue: kaufen!

dvd schneeleoEs ist gar nicht einfach, zu beschreiben, was man sieht. Denn es wiederholt sich, denkt man, aber ist dennoch nie dasselbe. Ähnlich schon, wenn die zwei Gestalten im Schnee stapfen, die beide, auch im Film ihre Funktion haben. Der 50jährige französische Reiseschriftsteller Sylvain Tesson und Bestsellerautor hat 2019 ein Buch DER SCHNEELEOPARD veröffentlicht, das 2021 auf Deutsch im Rowohlt Verlag erschienen ist. Der 46jährige Vincent Munier ist ein französischer Tier- und Landschaftsfotograf, der schon als Jugendlicher in den Vogesen herumstrich und Tiere aufnahm und ebenso auf eine Karriere zurückblicken kann. Wie angenehm, die beiden auf ihrer Suche nach dem Schneeleopard im Herzen des tibetischen Hochlandes zu begleiten, wo sie unaufgeregt sich der stoischen, ewig wirkenden Berg- und Schneelandschaft überlassen, das Notwendigste kommunizieren, schließlich soll ein Film entstehen, aber immer deutlich machen, daß sie nur die Träger dieser gewaltigen Naturaufnahmen sind, Gäste in einem nur den Tieren und der Natur gehörenden Areal, das in allem das Gegenteil unserer lauten und geschäftigen Großstädte oder auch der Autobahnen sind, rums, rums, rums zischen die Wagen mit 160 Stundenkilometer vorbei.

Hier stapft man Schritt für Schritt und muß beobachten, wer im Schnee schon vor einem unterwegs war, welches Tier? Und man stapft auch weiter, wenn man den Eindruck hat, daß man ganz allein auf der Welt ist. Die beiden können nicht Termine bestimmen, sie müssen achtsam sein, ob vielleicht eine Spur auftaucht und irgendwohin führt, wo sie das Tier dann leise beobachten und fotografieren können. Ungeduld ist das Gegenteil von der Fähigkeit des Hierseins, die beide brauchen, um die Stille genießen zu können und die Leere auch. Eine alte, nicht nur asiatische Weisheit, daß Fülle kommt, wenn man Leere und Leeren zuläßt.

Auf mich hat das Flüstern, in dem sich die beiden unterwegs über die nächsten Schritte, die Aussichten und eventuell ein Tier unterhalten, eine solche prägende Wirkung gehabt, daß ich mindestens einen Tag viel leiser als sonst gesprochen habe. Was sind wir laut und schnell normalerweise. Und es geht auch leise und normal. Dankbar bin ich den beiden zunehmend, wenn das Wetter schlechter, die Graupelschauer auf 5 000 Meter Höhe richtig weh tun und der Wind selbst auf der Leinwand/dem Bildschirm einen frösteln läßt, daß ich zusehen darf, wie die beiden in der Einöde unterwegs sind – und nicht ich! Dankbar, daß ich zusehen darf und nicht selbst unterwegs sein muß. Denn das Verhältnis von Anstrengung zu Erfolg ist in diesem Fall so minimal auf Seiten des Erfolges, daß ich gerne deren Erlebnisse verfolge, die sie auch für mich unternehmen.

Also sagen wir es gleich. Der Film ist gleich aus, denkt man und kein Schneelöwe?! Nein, nein, sie sichten wirklich einen, der aber schnell abhaut. Das Sensationelle aber ist, daß sie auf dem Filmmaterial zu Hause in Frankreich auf einmal in Bergaufnahmen ganz eindeutig, den neugierigen Schneelöwen hinter dem Felsen hervorschauen sehen, den er dann ganz verläßt, sich wieder versteckt, also im Nachhinein zu einem Akteur des Films wird, denn die beiden beim Stapfen, Sprechen und Drehen gar nicht gesehen, wahrgenommen haben.

Das ist die tiefste Weisheit, das mehr da ist, als wir auf den ersten Blick wahrnehmen und ein erneuter Hinweis darauf, langsamer zu sein, mehr zu erkunden, als nur den Blick schweifen zu lassen. Dieser Film macht einem auch klar, wie oberflächlich wir etwas betrachten, wo wir hinschauen sollten.

Das alles aber nicht als Besserwisserei vorgetragen, sondern unser intransisches Gefühl beim Betrachten des Films. Und der Schneeleopard. Doch, er ist besonders schön. Selten auch.

Daß man die beiden sieht und die Filmemacherin nie mitbekommt, ist eine zusätzliche besondere Leistung wie auch die Klänge von Warren Ellis und Nick Cave, die nie stören, sondern den Gefühlen beim Betrachten der grandios fotografierten Landschaften – es gilt nämlich beides, die Landschaften sind grandios, aber sie sind auch grandios fotografiert! - Raum und Zeit geben. Wie gesagt: kaufen.
  

 
Fotos:
Umschlagbilder

Info:
DER SCHNEELEOPARD
Regie: Marie Amiguet & Vincent Munier
Dokumentarfilm, 89 Min., Frankreich 2021

DVD: Artikel-Nr. & EAN: 5658084/ 42 60456580 846 Bonus DVD: Trailer,
Musikclip „We Are Not Alone“ (Nick Cave & Warren Ellis), Trailershow

Blu-ray: Artikel-Nr. & EAN: 5658085/ 42 60456580 853 Bonus Blu-ray: O-Card, Trailer, 50 Min.
Bonusmaterial (nicht verwendete Szenen & Making-of), Musikclip „We Are Not Alone“ (Nick Cave & Warren Ellis), Trailershow


Technische Daten
Laufzeit:                               89 Min.
Genre:                                  Dokumentation
Audio:                                   5.1 Deutsch (Voiceover) & Französisch
Untertitel:                             Deutsch
Bildformat:                         16:9 (2:1)