Alan Light
Los Angeles (Weltexpresso) - Alan: Was war der Funke, der die Idee zu eurem Film entzündet hat?
Dayna: Da kamen einige Dinge zusammen. Wir haben uns mit unserem Freund, dem Filmkritiker David Thomson, getroffen und er sagte, er habe eine Idee für unseren nächsten Dokumentarfilm: Er fände es spannend, einen Film über die Geschichte eines Songs zu machen. Dan und ich waren zunächst skeptisch, dass die Geschichte eines Songs einen Dokumentarfilm in Spielfilmlänge tragen würde. Aber wir erinnerten uns beide daran, wie Leonard Cohen Hallelujah gesungen hatte - im Paramount in Oakland während seiner letzten Welttournee. Wie er auf die Knie ging und all seine Energie in diesen Auftritt legte, war eine Offenbarung für uns. Am Tag nach dem Essen mit David Thomson tippte ich den Liedtitel in eine Suchmaschine ein und stieß auf „The Holy or the Broken“. Wir haben das Buch bestellt und gelesen und fanden, dass das Buch selbst das schlüssigste Argument für eine Dokumentation über einen einzigen Song war.
Alan: Was an dem Song im Speziellen hat euch dazu bewogen, einen Film darüber zu machen?
Dan: Einige unserer Filme drehten sich bereits um künstlerische Prozesse, darunter „Isadora Duncan: Movement from the Soul“ und „Kids of Survival: The Art and Life of Tim Rollins + K.O.S.“ Aber wir hatten noch nie einen Film speziell über Musik ins Auge gefasst.
Dayna: Wir lieben es, neue Genres auszuprobieren - also war HALLELUJAH eine unglaubliche Gelegenheit! Aber für mich war es weniger die Idee einer Dokumentation über einen Song, sondern vielmehr dieser bestimmte Song und was er in mir und in vielen anderen Menschen ausgelöst hat. Die Initialzündung war Jeff Buckleys Version von Hallelujah. Die Komplexität des Songs hat sich herauskristallisiert, als wir Leonard Cohens Live-Performance des Lieds vor einigen Jahren in Oakland hörten. Hallelujah ist nicht einfach nur ein Song: In diesem Lied steckt ein solche Tiefe und Mehrdeutigkeit und er spricht einen sowohl auf der persönlichen, als auch auf der spirituellen, sinnlichen und biblischen Ebene an. Dein Buch, Alan, hat all das in höchstem Maße bestätigt: Denn
„The Holy or the Broken“ handelt nicht nur von Hallelujah, sondern auch von dem Mann, der es schrieb – und von der unglaublichen Reise dieses Songs.
Alan: Wie habt ihr Filmprojekt auf den Weg gebracht - und in welche Richtung hat es sich entwickelt, als ihr tiefer in die Materie eingedrungen sind?
Dayna: Zuallererst haben wir ja dich kontaktiert, um herauszufinden, ob in Bezug auf die Verfilmung Ihres Buches bereits Filmemacher:innen auf Sie zugekommen sind. Du sagtest uns, dass es zwar viele Interessenten gäbe, aber auch so viele Hindernisse in Bezug auf eine Filmadaption deines Buchs.
Alan: Eine Schwierigkeit war, herauszufinden, wie man einen Film über ‚Hallelujah‘ so produziert, dass er nicht nur aus einer Aneinanderreihung verschiedener Versionen des Songs besteht. Eine andere Schwierigkeit war, dass Leonard Cohen zu dieser Zeit im Jahr 2014 bereits keine Interviews mehr gab. Das bedeutete, dass er selbst nie Teil eines dokumentarischen Projekts werden würde. Und dann noch das Thema Lizenzen und Rechte: Das war die größte Hürde.
Dan: Eine große Aufgabe für uns war, Leonard Cohens stillschweigende Zustimmung zu unserem Vorhaben zu bekommen – was sehr schnell durch seinen Manager Robert Kory erfolgte, der uns zunächst gesagt hatte, dass wir nicht mit einer schnellen Antwort rechnen könnten. Leonard kannte unsere Arbeit nicht, aber er hat sie sich angesehen und war angetan von unserer Herangehensweise und unserem künstlerischen Ansatz. Wir wussten, dass es viele Dokumentationen über ihn im Laufe der Jahre gegeben hatte – Aufzeichnungen, Interviews und Videos. Am Anfang unserer Arbeit wurden wir oft gefragt, ob wir vorhätten, Leonard für den Film zu interviewen. Aber das brauchten wir nicht – uns standen Interviews mit ihm vom Jahr 1966 an zur Verfügung. Durch dieses Archivmaterial haben wir ein Bewusstsein für die Art und Weise und die Komplexität von Leonards Denken und Reden während seines Erwachsenenlebens bekommen. Das war viel effektiver, als wenn wir ein kurzes Interview mit ihm am Ende seines Lebens gedreht hätten.
Dayna: Die unerschwinglichen Lizenz- und Veröffentlichungsrechte waren das größte Problem. Wir wussten, dass die Exklusiv-Rechte an dem Material von Sony sehr teuer werden könnten und hatten uns auf langwierige Verhandlungen eingestellt. Wir schrieben also zunächst an Robert Kory und baten um Leonards Zustimmung – nicht um seine aktive Mitwirkung wie etwa einen Auftritt im Film. Zu unserer Überraschung kam Roberts Antwort schon nach zwanzig Minuten - und Leonards Zusage im Laufe weniger Wochen.
Dan: Es brauchte dann eineinhalb Jahre der Verhandlungen, um eine Lizenz von Sony Music zu bekommen und uns mit ihnen auf eine akzeptable Summe zu einigen, die man beim Dreh eines unabhängig produzierten Dokumentarfilms aufbringen konnte. Wir haben nichts gedreht, ehe wir diese Vereinbarung nicht hatten.
Als all diese technischen Hürden erst einmal überwunden waren: Wie habt ihr euren ganz eigenen Zugang zu der Geschichte über den Song ‚Hallelujah‘ gefunden?
Dayna: In unserem Film wollten wir von vornherein drei Erzählstränge miteinander verbinden: Der Mensch Leonard Cohen und die einzige Person, die Hallelujah hätte schreiben können; die Rezeptionsgeschichte des Songs von der Ablehnung durch das Plattenlabel bis hin zu seinem Siegeszug als internationaler Hit; und die Frage, wie unterschiedlich andere Künstler Leonard Cohens Song für sich interpretierten.
Alan: Wie seid ihr an all das Footage-Material herangekommen, und wann war klar, dass ‚Hallelujah‘ selbst im Mittelpunkt eures Films stehen würde?
Dan: Larry „Ratso“ Sloman stellte uns diese erstaunlichen Interviews zur Verfügung, die er seit 1974 mehrere Jahrzehnte lang mit Leonard geführt hatte. Unsere Freundin Robin Sagon, eine unserer ausführenden Produzentinnen, hatte Leonard in den 1990er Jahren interviewt und fand die Kassette noch in ihrer Garage. Dann bekamen wir verschiedene Interviews zu gespielt, die sich mit Leonards spiritueller Reise befassten. Im Laufe unserer Vorbereitungen haben wir immer besser verstanden, warum Hallelujah so vielen Menschen derart viel bedeutet. Der Song ist wie ein Wandteppich, der mit der Zeit immer dichter und bunter wurde.
Dayna: Der „Heilige Gral“ unserer Nachforschungen waren Leonards mythologische Notizbücher, anhand derer sich die Entwicklung von Hallelujah im Laufe seiner Schöpfungszeit nachvollziehen ließen. Darin konnten wir auch all die unterschiedlichen Strophen lesen, die er im Laufe der Jahre geschrieben hatte. Als wir anfingen, hörten wir die Geschichte von den ungefähr 15 Strophen, die er John Cale per Fax geschickt hatte. Im Laufe unserer Drehzeit hörten wir sogar von insgesamt 80 bis 350 Strophen - je nachdem, wer uns davon erzählte. Nachdem wir Robert Kory das erste Kapitel unseres Films vorgeführt hatten und er verstand, was wir vorhatten, zeigte er uns endlich eines der Notizbücher. Wir waren sofort begeistert. Als wir ihn nächstes Mal im Dezember 2018 in Los Angeles trafen, brachte er dutzende weitere Notizbücher mit – auch diejenigen, in denen sich Leonard Cohen mit Hallelujah befasst hatte.
Dan: Wir hatten angefangen, eng mit Robert zusammenzuarbeiten. Und weil er uns in Beug auf unsere Vorgehensweise vertraute, gewährte er uns immer mehr Einblick in die Notizbücher. Leonards Vorgehensweise bei Hallelujah reichte von den ersten Entwürfen in den Notizbüchern über erste Aufnahmen und einer eher säkularen Version seines Songs bis zu einer Version, in der die säkularen und die religiösen Anteile des Songs miteinander verschmolzen.
Alan: Dass wir diese Notizbücher im Film zum ersten Mal zu Gesicht bekommen, ist wunderbar. Wie war es für die Estate Foundation, Ihnen dieses Material zur Verfügung zu stellen, das auch Archiv-Material von Leonard während seiner letzten Auftritte enthält?
Dayna: Es war ein kontinuierlicher Prozess. Als der Film sich im Schneideraum immer mehr zu dem entwickelte, was er nun ist, haben wir unsere Fortschritte mit Robert Kory geteilt, der unseren Ansatz und unsere Arbeit voll und ganz guthieß. Mit der Zeit bekamen wir immer mehr Zugang zu dem Material rund um Leonard Cohen - von den Notizbüchern bis zu den Ausschnitten von seinen Konzerten, die uns erst vor sechs Monaten erreichten. Robert hatte uns den Kontakt zu Ed Sanders vermittelt, der jeden von Leonards Auftritten während seiner letzten Welttournee gefilmt hatte. Ed hat ein fotografisches Gedächtnis jedes einzelnen Auftritts, sodass wir in der Lage waren, seine letzte Performance von Hallelujah im neuseeländischen Auckland ausfindig zu machen. Alan: Sprechen wir über einige der zentralen Gesprächspartner:innen in Ihrem Dokumentarfilm und wie es dazu kam, dass eure Stimmen dort zu hören sind.
Dan: Der Musiker, Komponist und Produzent John Lissauer spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle. Er ist ein so liebenswerter, aufmerksamer und talentierter Künstler, der schon vor der Zeit, als Leonard für mehrere Jahre aus seinem Leben verschwand, gemeinsam an Songs mit ihm gearbeitet hatte. Einige Jahre später kamen die beiden wieder zusammen und nahmen gemeinsam „Various Positions“ auf. Johns Geschichte ist sehr emotional und elementar in der Art, wie sie die Aufs und Abs in Leonards eigenem Leben widerspiegelt. John hat auch den Original-Soundtrack unseres Films komponiert. Ein wahrer Freundschaftsdienst, der die Musik komplettiert.
Dayna: Eine Sache führte beim Dreh unseres Dokumentarfilms zum anderen und immer mehr Menschen kamen ins Boot. Gleich nachdem wir die Lizenzrechte mit Sony Music Ende 2015 geklärt hatten, erzählte uns Robert Kory, dass er unlängst die französische Fotografin Dominique Issermann getroffen hatte. Dominique war viele Jahre lang an Leonards Seite – vor allem während der Zeit, als er Hallelujah schrieb. Rachel Fox, die unser Music-Supervisor wurde, stellte uns Hal Willner vor, der uns wiederum mit Ratso bekannt machte, der uns all die Kassetten mit seinen alten Interviews mit Leonard zur Verfügung stellte.
Dan: Die berühmte Sängerin Judy Collins hört man in unsrem Film in The Town Hall sprechen, wo sie 50 Jahre zuvor zum ersten Mal mit Leonard auf einer Bühne gestanden hatte. Einem Publikum außerhalb Kanadas weniger bekannt ist Adrienne Clarkson, eine kanadische Autorin und Fernsehmoderatorin und Leonards lebenslange Freundin. Sie hat ihn für seinen ersten Fernsehauftritt als Sänger/Songwriter in den 1960ern interviewt, ehe sie Generalgouverneurin in Kanada wurde. Zu ihren Aufgaben zählten auch die Unterstützung von Kunst und Kultur.
Alan: Leonard starb während der kreativen Reise, die ihr in Bezug auf den Dreh ihres Dokumentarfilms unternommen habt. Hat das eure Sicht auf das Projekt verändert?
Dan: Ich bin nicht sicher, ob sein Tod etwas verändert hat im Hinblick auf die Ausrichtung des Films - aber ich bin traurig, dass Leonard nie die Chance hatte, zu sehen, was wir taten. Ich hoffe, es hätte ihm gefallen! Es geht nicht nur um einen Song – es geht um die Verbindung zwischen Menschen, um den Sinn des Lebens und um die inhaltliche Tiefe dieses einzigartigen Songs.
Alan: Ihrer Meinung nach assoziieren die meisten den Song zunächst mit Jeff Buckley. Wie fand dieser Aspekt Eingang in den Film?
Dayna: Als wir einigen Menschen unseren Rohschnitt zeigten, war ihr Feedback, dass Jeffs Geschichte so bewegend und emotional ist, dass wir sie etwas zurückstutzen sollten, damit sie nicht zu sehr im Vordergrund steht. Wir wussten, dass der zweite Teil unseres Films immer mit Jeff Buckleys Tod enden würde. Aber wir mussten herausfinden, wie viel von Jeffs Präsenz der Film aushalten konnte. Das war eine der schwierigsten Entscheidungen, die wir im Schneideraum zu treffen hatten.
Alan: Ungefähr 600 – 800 ‚Hallelujah‘-Versionen gibt es heute in der Welt. Nach welchen Kriterien haben Sie ausgewählt, welche davon Eingang in Ihren Film finden sollten?
Dayna: Naheliegend war zunächst, sich auf die Versionen von Künstlern aus Leonard Cohens Umfeld wie Bob Dylan, John Cale oder Jeff Buckley zu konzentrieren. Aber dann kam zum Beispiel auch Rufus Wainwright und seine Cover-Version ins Spiel, die er auf dem „Shrek“-Soundtrack singt.
Dan: Uns war wichtig, dass unsere Interviewpartner:innen einen interessanten Bezug zu Hallelujah haben. Brandi Carlile zum Beispiel spricht darüber, dass der Song ihr dabei half, ihre lesbische Identität anzunehmen. Musiker wie Eric Church – ein Country- Sänger, der normalerweise nicht mit Leonard Cohen in Verbindung gebracht wird – coverte Hallelujah während eines Auftritt im Red Rocks Amphitheatre.
Alan: Im Film verwebt ihr Archivmaterial mit neu gedrehtem Material. Was brauchte es, um die Geschichte rund um die Entstehung des Songs ‚Hallelujah‘ einheitlich und zusammenhängend erscheinen zu lassen?
Dan: Den Grundton des Films kann ich am besten beschreiben als das Gefühl, das du hast, wenn du Leonard Cohen beobachtest: Er hatte sowohl ein großes Gespür für die Schwierigkeiten, die das Leben mit sich bringen kann, als auch einen guten Sinn für Humor.
Dayna: Unser Ziel war es, ein ausführliches Porträt über einen Künstler zu schaffen und eine Geschichte über die Entstehung eines Songs zu erzählen, die es dem Zuschauer erlaubt, das Lied Hallelujah entsprechend der eigenen Tagesstimmung oder den sich immer wieder verändernden Lebensumständen neu zu interpretieren – ganz wie es Leonard selbst auch machte.
Foto:
©Verleih
Info:
Die Fragen stellte der Co-Produzent Alan Light, Autor des Buches „The Holy or the Broken: Leonard Cohen, Jeff Buckley, and the Unlikely Ascent of Hallelujah”.
Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song (USA 2021)
Genre: Dokumentation, Musik
Regie: Daniel Geller, Dayna Goldfine
Inspiriert durch das Buch von Alan Light The Holy or the Broken: Leonard Cohen, Jeff Buckley & the Unlikely Ascent of Hallelujah (2013).
Mit: Leonard Cohen, Larry "Ratso" Sloman, Adrienne Clarkson, Judy Collins, Clive Davis, John Lissauer, Nancy Bacal, Rabbi Mordecai Finley, Sharon Robinson, Glen Hansard, Bob Dylan, John Cale, Brandi Carlile, Myles Kennedy, Susan Feldman, Janine Nichols, Hal Willner, Shane Doyle, Steve Berkowitz, Joan Wasser, Vicky Jenson, Rufus Wainwright, Bathabile Mthombeni, Eric Church, Amanda Palmer, Regina Spektor u.a.
Verleih: Prokino Filmverleih GmbH