Bildschirmfoto 2022 11 29 um 03.11.41Liv Lisa Fries nimmt es mit dem Aspergersyndrom ihres Sohnes auf, auf DVD ab heute bei Eurovideo

Romana Reich

Berlin (Weltexpresso) – Da kann man nichts machen. Wenn es derzeit Filme gibt, wo Mütter mit schwierigen Kindern zu tun haben, seien es Mädchen oder Jungen, Hauptsache, sie agieren ihre negativen Gefühle körperlich aus, dann muß man sofort an den bedeutenden Film SYSTEMSPRENGER denken, wo Regisseurin Nora Fingerscheidt auf so subtile wie derbe Art die neunjährige Benni ihre Wut über das Leben, so wie sie es bisher als von ihrer überforderten Mutter Alleingelassen werden kennengelernt hat, ausagieren läßt. Aus Wut, mit Wut eben.

Man muß also auch hier, wo es um einen 13jährigen Jungen (Jona Eisenblätter) und seine aufopferungsvolle Mutter (Liv Lisa Fries) geht, erst einmal an SYSTEMSPRENGER denken, was aber grundfalsch ist. Das Identische ist nur die Überforderung für die jeweiligen Mütter, die aber zudem völlig unterschiedlich auf ihre Kinder reagieren. Kann man bei Benni noch eine schwache Mutter als Mitursache ihrer Wut erkennen, so handelt es sich beim dreizehnjährigen Felix (der Glückliche also, soll das Ironie sein oder Gedankenlosigkeit oder der Wunsch der Mutter?) um eine Spezialform des Autismus, der nicht durch psychische Faktoren ausgelöst wird. Also ein völlig anderes Krankheitsbild. Das ist wichtig, herauszustellen, weil wahrscheinlich auch nur so die Reaktionsweisen der Mutter zu hinterfragen sind.

Diese Mutter wacht wie eine Löwin über ihren Jungen. Denn die Fallstricke für ihn liegen überall aus. Dazu muß man etwas über Asperger kennen, eine Aufklärung, die zwar im Film geschieht, aber in Wirklichkeit sehr viel schwieriger zu fassen ist. Denn die auftretenden Aggressionen des Jungen, gewalttätig gegen Sachen, aber auch Personen, sind keine typischen Aspergersymptome. Was typisch ist, als eine Untergliederung des Autismus, ist die fehlende Wahrnehmung der Gefühle anderer, eben das auf sich selbst Beschränktsein, was leicht zu sozialen Konflikten führt. Man sieht schon, welche Schwierigkeiten wir mit der Ausgangslage haben.

Die ist aber wichtig, weil wir die Mutter ständig in Schutzfunktion für den Jungen erleben. Sie riegelt den Jungen ab. Aber eine Abriegelung kann eben auch ein Gefängnis sein und den Jungen erst recht renitent machen. Wir sind mitten im Film, den wir erst einmal schildern müssen. Zu Hause soll alles warm sein und Sicherheit vermitteln. Dazu hat die Mutter das Zimmer von Felix als warmglühende Höhle inszeniert. Auch das ist doppeldeutig, denn wenn man dieses Nest verläßt, muß zwangsläufig alles draußen als nichtrot erscheinen, als grau, braun, grün, blau, also kühle Farben.

In der Schule gibt es nur Probleme, Felix eckt an, weil er rüde reagiert und den Code der Mitschüler einfach nicht versteht. Dabei war es so schwierig, ihn in dieser inklusiven Schule unterzubringen, wo er sich aber nicht wohlfühlt. Gäbe es eine Schule, wo er sich wohlfühlt, gäbe es überhaupt einen Ort für ihn? Mutter Eva versucht alles, sie ist alleinerziehende Mutter und haut den Jungen ständig raus, streitet mit den Mitmüttern, verteidigt ihren Sohn, holt ihn auf ihrem Moped, bringt ihn zu Terminen, ihr Leben ist völlig am Wohlergehen des Sohns ausgerichtet.

Und da liegt schon das Problem. Wie sieht Wohlergehen für Felix aus, wie kann er das überhaupt herausbekommen, wenn er doch ständig von seiner Übermutter beschützt, abgeriegelt und orientiert wird? Regisseur Max Fey hat zusammen mit Ko-Drehbuchautor Michael Gutman einen Ausweg gefunden – in Person des Nachbarn Pelle ( Thure Lindhardt). Der ist kein studierter Mann, arbeitet im Fischhandel und sieht das Leben pragmatisch, er reagiert einfach auf Situationen und baut keinen Überbau, aber auch keinen Unterbau. Er ist einfach. Und mit Felix geht er so selbstverständlich um, was diesen wiederum entlastet.

Wenn schon der Junge auf die Umwelt reagiert und nicht anders kann als er tut, wo kann man ansetzen? An der Mutter, die einen bald mit ihrer Überversorgung selbst pathologisch vorkommt. Sie merkt nicht, wie sie bei Fragen an ihren Sohn selbst antwortet, weil sie es besser weiß. Natürlich. Sie ist die Erwachsene, sie weiß alles besser. Eine Schlüsselszene bei der Psychologin ( Corinna Harfouch), die die Mutter endlich rausschickt, worauf die Zuschauerin die ganze Zeit gewartet hat. Sicher ist diese überversorgende Mutter mit ein Problem, da sie aber, würde sie selber sagen, erst so geworden ist, weil sie die Probleme des Kindes erkannt hat, hat sie eine gute Ausrede.

Und wir? Wir müssen uns eine Meinung bilden und das Wichtige am Film wurde mir, daß man ständig selbst den Jungen erziehen will, ihm Aufmerksamkeit und Zuwendung geben will, weil man sich dem Leid des Jungen nicht entziehen kann. Gewalt ist auch ein Schreib nach Aufmerksamkeit. Nur ist Asperger, ist Autismus so viel mehr.

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
Technische Daten 
Regie: Max Fey
Darsteller:
Liv Lisa Fries (Babylon Berlin (TV); Hinterland; Bekenntnisse des Hochstablers Felix Krull)
Jona Eisenblätter (Max und die wilde 7)
Thure Lindhardt (Die Brücke - Transit in den Tod; 3096 Tage; Tage des Zorns )
Lena Urzendowsky (Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (TV); Die Einzelkämpferin; Kokon)
Originaltitel: ZWISCHEN UNS
Produktionsjahr/Land: 2021 / Deutschland
Genre: Drama
Filmlänge: DVD ca. 86 Minuten
Tonformat: DVD: Deutsch Dolby Digital 5.1
Bildformat: DVD: 1,85:1
Untertitel: Deutsch
FSK: 12

Bonus: Hörfilmfassung, deutsche Untertitel