Call Jane1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Dezember 2022, Teil 4

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) - In Chicago finden 1968 gerade die ersten Demonstrationen gegen den Vietnam Krieg statt. Joy (Elizabeth Banks) ist eine konservative Hausfrau, die mit Will (Chris Messina), einem erfolgreichen Anwalt, verheiratet ist. Sie erlebt bei einer Veranstaltung, wie die Polizei gegen die Demonstranten vorgeht. Auf der Rückfahrt hofft sie, dass ihre 15jährige Tochter Charlotte (Grace Edwards) nichts mit diesen Leuten zu tun hat.

Joy trifft sich häufig mit ihrer verwitweten Nachbarin Lana (Kate Mara), sonst ist sie eine traditionelle amerikanische Hausfrau, die dafür sorgt, dass abends das warme Essen pünktlich auf dem Tisch steht.

Jetzt ist Joy zum zweiten Mal schwanger. Nach einem kleinen Tänzchen mit ihrer Tochter bricht Joy plötzlich in der eigenen Küche zusammen. Ihr behandelnder Arzt diagnostiziert eine Herzinsuffizienz, die durch die Schwangerschaft eine ernsthafte Bedrohung für ihr eigenes Leben darstellt. Nach Aussage des Arztes stehen die Chancen 50/50, dass sie durch die Fortsetzung der Schwangerschaft ihr Leben verlieren könnte.

Da eine Abtreibung illegal ist, muss sie versuchen eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten. Doch selbst eine so hohe Gefährdung für ihr Leben ist für den Verwaltungsrat des Krankenhauses - eine reine Männerrunde - kein Grund, eine Abtreibung zu genehmigen, denn das Kind könnte ja gesund zur Welt kommen. Ihr Arzt rät ihr zu versuchen, zwei psychiatrische Gutachten zu besorgen, die ihr eine Suizidgefährdung bescheinigen. Als das nicht gelingt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als den illegalen Weg wählen. Doch die Abtreibungspraxis erweist sich als ziemlich schmutzig, so dass sie vor dem Eingriff zurückschreckt.

An einer Bushaltestelle findet sie einen Zettel auf dem steht: ″Schwanger? Ängstlich? ... Call Jane″. Es stellt sich heraus, dass dahinter ein Frauenkollektiv steht, das von der Feministin und Aktivistin Virginia (Sigourney Weaver) geleitet wird und zu denen auch die Afroamerikanerin Gwen (Wunmi Mosaku) und die Nonne Schwester Mike (Aida Turturro) gehören. Gegen Zahlung von 600 $ erhält Joy eine Abtreibung von Dr. Dean (Cory Michael Smith) ohne gesundheitliche Nebenwirkungen.

Als Joy begreift, wie viele Frauen sich in einer ähnlichen Situation wie sie selbst befinden, beginnt sie in der Gruppe mitzuarbeiten. Dabei wird sie nicht nur durch ihre Mitarbeit, die Arbeit der Gruppe weiter vorantreiben, sondern bei ihr hat sich auch ein politischer Wandel vollzogen. Letztendlich wird durch ihre Mitarbeit das Abtreibungsgesetz 1973 geändert...


Call Jane2″Call Jane″ ist eine Filmdrama von Regisseurin Phyllis Nage nach einem Drehbuch von Hayley Schore und Roshan Sethi. Der Film hatte im Januar 2022 beim Sundance Film Festival seine Premiere und wurde erstmals in Deutschland im Februar 2022 im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele in Berlin im Wettbewerb um den Goldenen Bären gezeigt.

Hintergrund ist die wahre Geschichte eines Frauenkollektivs, das in den 1960er und Anfang der 1970er Jahren ein Netzwerk aufgebaut hat, um Frauen zu einer Abtreibung zu verhelfen. Auf sich aufmerksam machte die Gruppe durch eine kurze Botschaft, die auf Zetteln in Chicago aufgehängt wurden. Dadurch legten sich die Frauen sowohl mit der Justiz als auch mit der Kirche und der Mafia an. Während ihres Bestehens wurden etwa 12.000 Abtreibungen durchgeführt - ohne dass eine einzige Frau daran gestorben ist. Die Figur Virginia im Film ist lose an die ″Janes″-Gründerin und Linken-Aktivistin Heather Booth angelehnt.

Der Film mag zwar 1968 spielen, aber leider ist sein Inhalt gerade in den USA so aktuell wir seit langem nicht mehr. Denn das Thema Schwangerschaftsabbruch wird in den USA leider nicht nur heiß diskutiert, sondern konservative Politiker verabschieden Abtreibungsgesetze, die in nichts der Situation von 1968 nachstehen und werden dabei von konservativen Richtern am US-Supreme Court noch unterstützt.

Doch auch wenn es im Film vordergründig um Abtreibungsprobleme geht, ist er doch auch eine Emanzipationsgeschichte und eine Story über die Solidarität von Frauen. Dabei macht die von Elizabeth Banks gespielte Ehefrau aus der besseren Gesellschaft Chicagos mit einem Juristen-Ehemann (dem sie die Texte gegenliest) eine deutliche Wandlung durch, das sich auch dadurch zeigt, dass sie am Ende nicht mehr Nixon und die republikanische Partei wählt. Sie ist diejenige, der es - neben der Afroamerikanerin Gwen - am deutlichsten auffällt, dass sich nur eine gewisse (weiße) Schicht die sicheren illegalen Abtreibungen für 600 $ leisten können, während armen weißen Frauen und Afroamerikanerinnen nicht geholfen wird, da der Abtreibungsarzt diesen Preis verlangt. Leider sind - außer der von Sigourney Weaver emotional gespielten Virginia - bei keiner der anderen Mitstreiterinnen die Charaktere ausgearbeitet. Es wäre sicher auch interessant zu erfahren, was z.B. die Nonne Schwester Mike dazu bringt, sich gegen die Kirche zu stellen und gerade religiöse Frauen bei den Eingriffen zu begleiten, denn im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern der Janes hat sie wohl keine eigenen Erfahrungen.

Für Phyllis Nagy ist der Film ein Beispiel, wie sich Frauen ihre Rechte (auf den eigenen Körper) erkaufen müssen. Dass dieser Kampf noch lange nicht gewonnen ist, wird auch mit einem Ausspruch von Virginia entlarvt, wenn sie meint, dass nach dem Sieg für das Recht auf Abtreibung, es doch sicherlich ein Leichtes sein werde, die gleiche Bezahlung von Mann und Frau durchzusetzen.

Die Regisseurin geht aber auch sehr diskret an die Sache heran, da sie bewusst nicht mit drastischen Bildern arbeitet. So sieht man eigentlich niemals Blut, sondern es wird den Frauen der Eingriff jeweils ausführlich erklärt und dann wird abgebrochen. Allerdings gibt es immer wieder kurze Szenen, in denen die Gruppenmitglieder erfahren, aus welchen Gründen die Frauen eine Abtreibung benötigen.

Call Jane3″Call Jane″ ist trotz des ernsten Themas ein positiver Film, der die Schwierigkeiten der abtreibungswilligen Frauen trotz kurzer Hinweise nur am Rande zeigt. Damit unterscheidet er sich von zwei anderen aktuellen Filmen: ″Niemals Selten Manchmal Immer″ (2020) und ″Das Ereignis″ (2021), die auch das Thema ungewollte Schwangerschaft und die (Un-)Möglichkeiten eines Abbruchs behandeln. Trotzdem ist es ungerecht, wenn der Regisseurin vorgeworfen wird, dass sie das Thema nicht ernst genug nimmt. Denn der Zusammenhalt der Frauengruppe zeigt auch, dass sie trotz aller Widrigkeiten 12.000 Frauen geholfen haben, die dadurch nicht zu anderen gefährlichen Mitteln greifen mussten.

Insgesamt ist ″Call Jane″ ein Drama, das zum Nachdenken anregt und das ganz deutlich Stellung für die Rechte der Frau zur Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper nimmt. Da der Film das bis heute brisante und umkämpfte Thema Schwangerschaftsabbruch einfühlsam behandelt, macht ihn im Kino unbedingt sehenswert.

Foto 1: Joy (Elizabeth Banks) und Virginia (Sigourney Weaver) © DCM / Wilson Webb
Foto 2: Joy (Elizabeth Banks) und Gwen (Wunmi Mosaku) © DCM / Wilson Webb
Foto 3: Joy (Elizabeth Banks) und Dr. Dean (Cory Michael Smith) © DCM / Wilson Web

Info:
Call Jane (USA 2022)
Originaltitel: Call Jane
Genre: Drama
Filmlänge: ca. 122 Min.
Regie: Phyllis Nagy
Drehbuch: Hayley Schore, Roshan Sethi
Darsteller: Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Kate Mara, Chris Messina, Cory Michael Smith, Wunmi Mosaku u.a.
Verleih: DCM
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 01.12.2022