Nostalgia 1VERSO SUD 28, das Festival des italienischen Films im Deutschen Filminstitut und Filmmuseum Frankfurt (DFF), Teil 14

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Noch bei der Erinnerung an diesen Film fröstelt es einen, den man denkt, ach wäre er doch weiterhin Neapel ferngeblieben, der Neapolitaner Felice ( Pierfrancesco Favino), der als junger Mann die Stadt verließ und nach 40 Jahren im Libanon und Ägypten zurückkehrt, um seine alte, hinfällige Mutter noch einmal zu sehen. Längst hat er in Ägypten Karriere gemacht, hat eine schöne liebevolle Frau, ein schönes Zuhause,...

Aber Neapel muß einfach sein und wir erleben mit ihm, wie es ist, heimzukehren, alles wieder zu erkennen, was sich in 40 Jahren kaum verändert hat. Länger hält einen der Film hin mit dem, was er eigentlich erzählt, aber das hat es dann in sich und kann einfach nur mit dem Begriff GROSSES KINO umschrieben werden, wie die Roman von Ermanno Rea verfilmt wurde.

Felices Mutter stirbt, er entschließt sich, in Neapel zu bleiben, sucht ein Haus, damit seine wohl ägyptische Frau – beide sind unorthodoxe Muslime – zu ihm kommt und findet auf einmal den Mann, dessentwegen er vor 40 Jahren floh, bzw. von seinem Onkel in die Ferne verschleppt wurde. Er war zusammen mit Oreste (im Alter: Tommaso Ragno) eine verschworene Gemeinschaft – und wird und bleibt Thema des Films.

Was damals, vor 40 Jahren passiert ist, erzählt Felice dem Priester Don Luigi (Francesco Di Leva), der endlich wieder einmal einen Priester darstellt, wie unsere Kinderträume dies sich wünschen. Das waren zwei böse Buben, die zwei, mit Diebstählen, Einbrüchen etc. Doch eines nachts wurden sie erwischt und Oreste erschoß den Inhaber. Beide flohen und am nächsten Tag nahm der Onkel, der von allem wußte, ihn mit. Oreste aber wurde das Oberhaupt der Camorra in Neapel, alle leben in Furcht und Schrecken vor ihm, nur Don Luigi nicht. Der würde gar zu gerne nach dem Bekenntnis von Felice diesen Oreste anzeigen, was Felice nicht will. Er denkt sich Oreste immer noch als seinen alten Kumpel und setzt durch, daß dieser ihn in seinem Versteck hoch über Neapel empfängt. Man spürt, wie Oreste über den in seinen Jugendträumen schwebenden Felice nur den Kopf schütteln kann. Felice spricht zum ersten Mal über den so unnötigen und durch nichts zu rechtfertigen Mord, doch Oreste dreht ihm das Wort im Munde herum und bezeichnet ihn als Täter. Zwar gibt er dann seine Tat zu, aber der Zuschauer weiß nun, daß Oreste nicht nostalgisch auf seine Jugend zurückschaut, sondern den – persönlich sogar – erledigen wird, der ihm potentiell gefährlich werden könnte.

Don Luigi hat das alles kommen sehen und den harmlosen Felice gewarnt, der an dem Tag getötet wird, als er seine Frau vom Flughafen abholen will. NOSTALGIA ist ein sehr zutreffender Filmtitel, weil man die Jugendträume und Jugenderinnerungen von Felice so gut nachempfinden kann, der die Realität der Camorra in Neapel gar nicht in ihrem Schrecken zur Kenntnis nehmen will, sondern dem Kumpel von einst immer noch vertraut. Nostalgische Gefühle muß man sich leisten können und sie nicht an der falschen Stelle empfinden. Trotzdem tut das alles weh, denn grundsätzlich sind menschliche Verhaltensweisen wie die von Felice natürlich die richtigen. Nur die Welt, sie ist nicht so. In Neapel schon gar nicht.

Regisseur Mario Martone hat zu seinem Film einen für mich interessanten Kommentar abgegeben: „Aus dem Roman von Ermanno Rea stammt die Grundidee, den ganzen Film in einem einzigen Viertel zu drehen. Die Geschichte spielt nicht in Neapel, sondern genauer gesagt in einem Viertel von Neapel, dem Rione Sanità, und das ist mehr als eine kleine Nuance. Die Sanità ist eine Enklave, die nicht einmal die Neapolitaner wirklich kennen, ein weitläufiger Ort, an dem sich die Figuren jeweils auf ihrem eigenen Weg bewegen, aber gleichzeitig sind es die Begegnungen, die die Geschichte bestimmen, die sie voranbringen. Die Sanità ist ein Ort voller Menschen, und deshalb musste der Film „auf der Straße“ gedreht werden, in einer Art Wiederbelebung der Idee des Neorealismus, indem er die Menschen des Viertels trifft. Der Ort, an dem wir drehen, ist aus der Zeit gefallen, eine Art Wilder Westen, der etwas Mythologisches hat und zwischen Gegenwart und Vergangenheit schwebt, gleichzeitig ist er aber lebendig. Es war wichtig, dass der Protagonist dies spürte, um die Realität, die wir während der Dreharbeiten erlebten, in den Film zu bringen.“

Besondere Viertel von Neapel kenne ich aus den Romanen von Elena Ferrante, aber es gelang mir nicht, die Sanità bei ihr ausfindig zu machen.

Foto:
©Verleih

Info:
VERSO SUD
28. Festival des italienischen Films | 25.11.-7.12.2022
Das gesamte Programm finden Sie im PDF des Festivalkatalogs https://www.dff.film/wp-content/uploads/2022/11/dff_versosud28_programmheft-2022_WEB.pdf und auf der Webseite www.dff.film.
Tickets für alle Vorführungen können Sie ab sofort kaufen.

Wiederholungen der Vitti-Hommage
Samstag, 10.12. 20:00 Uhr L’ECLISSE
Mittwoch, 14.12. 20:30 Uhr LA RAGAZZA CON LA PISTOLA
Donnerstag, 22.12. 20:30 Uhr  IL DESERTO ROSSO
Montag, 26.12. 17:30 Uhr L’AVVENTURA
Mittwoch, 28.12. 20:30 Uhr DRAMMA DELLA GELOSIA
Freitag, 30.12.18:00 Uhr LA NOTTE

WIEDERHOLUNG von ENNIO am Dienstag, 6. Dezember, 20.15 Uhr