lacciVERSO SUD 28, das Festival des italienischen Films im Deutschen Filminstitut und Filmmuseum Frankfurt (DFF), Teil 15

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Warum muß ich nur dauernd an SZENEN EINER EHE denken, den Film des schwedischen Ehepaars von Ingmar Bergman, den man damals als typisch für die Siebziger Jahre empfand, heute aber weiß, daß dies der ewigwährende, subtile oder gemeine Kampf der Eheleute gegeneinander mit Hilfe von spitz geschliffenen Worten ist. In der Familie von Vanda (Alba Rohrwacher) und Aldo ( Luigi Lo Cascio) aus Neapel kommen die Kinder Sandro und Anna noch hinzu.

lacci2Anlaß der folgenden Tragödie und der Zerstörung der Familie ist das Geständnis von Aldo, daß er – erstmals – mit einer anderen Frau geschlafen hat, mit der jungen, attraktiven Lidia (Linda Caridi), einer Kollegin aus dem Rundfunk, wo beide Büchervorleser und Moderatoren sind.

Vanda reagiert weniger auf seinen Treuebruch, als auf die Tatsache, warum er es ihr erzählt. Sie würde lieber ohne dieses Wissen einfach weiterleben, vermutet aber nun, daß er ihr dies mit Absicht erzählt und sich trennen will. Wir erleben, wie es wohl öfter zugeht im Leben. Wie aus dem Gefühl, die Wahrheit sagen zu wollen, eine Geschichte wird, wo alles von einem reißenden Strom hinweggespült wird. Aldo, der ein liebevoller Vater ist, glaubt, gehen zu müssen und erlebt erst einmal Liebesfreuden mit der Neuen.

Vanda wird die ganze Partie einer eifersüchtigen Frau bis zum ernstgemeinten Selbstmordversuch durchspielen und bietet ein so unglückliches, verbiestertes, auch gemeines und die Kinder mißachtendes Bild, daß man sie für verloren glaubt. Doch, als Aldo endlich nach Jahren seine Kinder wiedersieht und es um die von seinem Sohn in Aldos verrückter Manier gebundenen Schnürsenkel geht, weiß er, daß er mit seinen Kindern leben will und geht zurück zu Vanda, die ihn (leider) aufnimmt. Denn es beginnt eine Hölle, ach was, sie setzt sich fort. Sie ist besserwisserisch, fährt ihm über den Mund, hat einen Admiralston, redet mit ihm wie einem Deppen und er ...wir sind längst 20 Jahre weiter, der Film fängt an, hin und her zu springen in den Zeiten, was man irgendwann versteht, wer wer sein soll. Es hat sich an dem Zwischenmenschlichen zwischen beiden nichts geändert: sie ist genervt, er versucht, sich klein zu machen, was gelingt.

Und dann passiert etwas so Unerwartetes, das einem erst recht klar macht, wie sinnvoll es gewesen wäre, hätte Aldo seine Flucht aus der Familie entschlossen durchgezogen. Das Unerwartete hat mit den Kindern zu tun, die als Leidtragende jetzt zurückschlagen. Dabei hatten die Eltern ja doch alles für die Kinder gemacht, ihre zwanghaft aufrechterhaltene Ehe. Ein Film, der sehr nachdenklich macht, was eigentlich Kindeswohl ist.

Mich auf jeden Fall hat der Film sofort dazu bewegt, mit allen, den Kollegen in der Redaktion, Mann und Kindern zu Hause pfleglicher umzugehen, will heißen, auch unter Druck freundlich zu sprechen. Das scharfe, arrogant verachtende Italienisch von Alba Rohrwacher ist mir immer noch in den Ohren. Sie hat das toll gemacht, während mich Aldo auf verstörende Weise ständig an den französischen Filmschauspieler Daniel Gélin (1921-2002) erinnerte.

Foto:
©Verleih

Info:
VERSO SUD
28. Festival des italienischen Films | 25.11.-7.12.2022
Das gesamte Programm finden Sie im PDF des Festivalkatalogs https://www.dff.film/wp-content/uploads/2022/11/dff_versosud28_programmheft-2022_WEB.pdf und auf der Webseite www.dff.film.
Tickets für alle Vorführungen können Sie ab sofort kaufen.

Wiederholungen der Vitti-Hommage
Samstag, 10.12. 20:00 Uhr L’ECLISSE
Mittwoch, 14.12. 20:30 Uhr LA RAGAZZA CON LA PISTOLA
Donnerstag, 22.12. 20:30 Uhr  IL DESERTO ROSSO
Montag, 26.12. 17:30 Uhr L’AVVENTURA
Mittwoch, 28.12. 20:30 Uhr DRAMMA DELLA GELOSIA
Freitag, 30.12.18:00 Uhr LA NOTTE

WIEDERHOLUNG von ENNIO am Dienstag, 6. Dezember, 20.15 Uhr