cardillacfilm

UNHEIMLICH FANTASTISCH – E.T.A. HOFFMANN 2022 im Deutschen Romantik-Museum Frankfurt, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein sehr seltsamer Film im Kino des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums (DFF), der geradezu postmodern daherkommt, wobei man 1969 noch gar nicht von Postmoderne sprach oder sie gar auf die Gegenwart anwandte. Da stellen sich Ihnen am Anfang des Films in Schwarz Weiß seine Protagonisten vor, sie geben ihre Meinung zum Fall wieder, auf jeden Fall ihre Meinung zum Künstler und der Person Cardillac und nehmen auch eine Art Selbstbeschreibung ihrer Rolle vor.

 

Die Personen heißen wie in Hoffmanns Novelle – nur das titelgebende Fräulein von Scuderi hat im Film CARDILLAC nichts verloren; Cardillac ist ebenso ein Schmuckkünstler und er kann sich auch nicht von seinen Werken trennen, aber sonst ist alles anders. Buchstäblich alles. Gleichzeitig kann man sagen, daß in Hoffmanns Novelle alle Personen eine eigene Persönlichkeit erhalten, über ihre Herkunft, ihre Stellung, ihre Geschichte, ihre Besonderheiten, insbesondere über die Hauptpersonen ausführlich berichtet wird, nur Cardillac bleibt eine Leerstelle, fast ein blinder Fleck, der handelt, also mordet, aber nur aus den Morden ergibt sich seine Kontur, die allerdings nicht hinterfragt wird und letzten Endes auch die Ursache seines Defektes, wie man es in der Psychologie ausdrücken würde, das sogenannte Cardillac-Syndrom.

 

Das macht nun Edgar Reitz’ Film wett! Das geht es fast nur um den Künstler, der im Berlin der Jetztzeit lebt, der gleich bei seiner Einführung an einem merkwürdigen Gerät herumbastelt, was sich nach und nach als eine Todesmaschine, ein besonderer Todesstuhl herauskristallisiert. Allerdings sind von Anfang an die Juwelen dabei. Er holt sie in seiner Kellerkammer aus den Schränken, aus schlichten Schachteln, wo sie auf blauem Samt ihr strahlendes Licht leuchten lassen, die Juwelen, die er hauptsächlich zu Schmuckstücken verarbeitet. Warum er so viele hat, erfahren wir auch bald, denn, daß er die Besteller und Käufer seiner Goldschmiedekunst nach dem Erwerb umbringt und sich seinen Schmuck wieder holt, wird hier nicht als Kriminalfall untersucht, sondern ist Ausgangspunkt seiner Obsession. Es geht also zuvörderst um diese und um Cardillac allein.

 

Gegenüber der Novelle, wo Cardillacs Tochter nur die ist, die den des Mordes verdächtigen Mitarbeiter Cardillacs Olivier liebt, erhält sie hier als Tochter des Meisters (Catana Cayetano,). eine bedeutende Aufwertung. Auf ihrem Dekolleté erstrahlen seine Juwelen, sie ist die Anziehpuppe, die mit nacktem Oberkörper, für die Schmuckstücke posieren muß. Seine Manie, also sein Cardillac-Syndrom wird dabei überdeutlich. Warum sie die Tochter einer Schwarzen ist, die Mutter ist verschwunden, spielt im Film keine Rolle, ist für 1969 in der Bundesrepublik aber schon erwähnenswert. Soll sie das Abweichende in Cardillac betonen. Kommen auf brauner Haut die hell funkelnden Diamanten und Brillanten besonders zur Geltung?

 

Doch erst einmal zum Gehilfen, dem in der Novelle so arg verfolgten Gehilfen Olivier, wo man vergnügt den jungen Rolf Becker sieht, der einem als älterer, jetzt alter Schauspieler mit seinen Schauspielerkindern Ben und Meret gut bekannt ist. So jung, so blond. Nein, er spielt nicht den völlig aufgelösten Olivier aus der Novelle, das Opfer schlechthin. Und witzig auch, Gunter Sachs als Kunstsammler zu sehen, der sich also selbst spielt. Urs Jenny ist der Erzähler, Heidi Stroh spielt sich selbst, sie wird in Reitz’ Film MAHLZEITEN die Hauptrolle übernehmen.

 

Aber eigentlich geht es nur um Cardillac (Hans-Werner Blech), dessen Situation für ihn selbst unhaltbar geworden ist. Er kann nicht anders, als ununterbrochen zu morden und weil er als Künstler so hoch angesehen ist, hält ihn auch keiner für den Mörder seiner Auftraggeber. Wie auch. Warum sollte er sie bestellen. Er ist ja der einzige, der nicht verdächtig ist, denn er ist der Schöpfer dieser Schmuckstücke, könnte sie jederzeit wiedermachen, sich verfügbar machen. Aber das genau bedeutet ja Cardillac-Syndrom, seine Schöpfungen bei sich behalten zu müssen, den Zwang, sie wieder um sich zu haben und sei es um den Preis eines Mordes.

 

Nein, der Film verdammt Cardillac nicht, er schildert seine Besessenheit und auch seine Ausweglosigkeit, denn – im Gegensatz zur Hoffmann-Novelle, wo ja Cardillacs Ermordung genau der wunde Punkt ist und zur Mordanklage des jungen Helfers führt – wird hier ein echt bizarrer Selbstmord mit Elektrizität und Wasser vorbereitet – und durchgeführt! Es ist das Künstlerschicksal, das Reitz hier wohl interessiert.

Erstaunlich übrigens, daß er im Jahr 1969 auch die GESCHICHTEN VOM KÜBELKIND in Wien dreht.

 

P.S. Erst jetzt habe ich mich mit Verfilmungen der E.T.A. Hoffmannnovelle beschäftigt und festgestellt, daß es mehrere gibt.

Verfilmungen

1919: Das Fräulein von Scuderi – Regie: Gottfried Hacker, Karl Frey
1930: Juwelen – (Österreich) – Regie: Hans Brückner
1950: Die tödlichen Träume – Regie: Paul Martin
1955: Das Fräulein von Scuderi – Regie: Eugen York
1968: Cardillac – Regie: Edgar Reitz
1976: Das Fräulein von Scuderi (ZDF) – Regie: Lutz Büscher

 

Es wäre sehr interessant gewesen, hätte das Kino des Filmmuseums die unterschiedlichen Versionen gebracht und man hätte  einen Vergleich mit der literarischen Vorlage anstellen können, So ist das sicher der Film gewesen, der mit dem Vorbild der Novelle am wenigsten zu tun hat. 

 
Foto:
©Verleih

Info:
Drehbuch und Regie: Edgar Reitz
Hans-Christian Blech: Cardillac
Catana Cayetano: Madelon
Rolf Becker: Olivier
Liane Hielscher: Liane S.
Werner Leschhorn: Albert von Boysen
Gunter Sachs: Kunstsammler
Heidi Stroh
Urs Jenny

 

Fotos:
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 Ausstellung im Romantikmuseum bis 12. Februar 2023
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