Claus Wecker
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schon der Beginn dieses Films ist höchst ungewöhnlich. Nach einem Blick von oben auf eine in kleine Parzellen aufgeteilte Insel sehen wir einen nicht mehr ganz so jungen Mann, der sich auf den Weg gemacht hat, seinen Freund zum täglichen Pub-Besuch abzuholen. Doch der ältere Mann im Haus öffnet ihm nicht die Tür. Offenbar will er mit dem Besucher nichts mehr zu tun haben.
Colin Farrell als Pádraic und Brendan Gleeson als Colm schüren die Erwartungen bei allen, die sich an »Brügge sehen... und sterben« erinnern können. »The Banshees of Inisherin« knüpft an deren Darstellung zweier gestrandeter Auftragskiller an. Wieder spielt Farrell den naiven und Gleeson den genervten Partner. Ein amerikanischer Kritiker hat die beiden als Antwort des 21. Jahrhunderts auf Laurel & Hardy bezeichnet.
Drehbuchautor und Regisseur Martin McDonagh, der zuletzt mit »Drei Billboards Outside Ebbing, Missouri« sein enormes Talent für Filme, in denen Komödien und Tragödien parallel erzählt werden, bewiesen hat, sagt, er habe schon lange auf die Gelegenheit gewartet, mit Farrell & Gleeson wieder zusammenzuarbeiten.
Der gutmütige Pádraic kann zunächst gar nicht glauben, dass ihm Colm die langjährige Freundschaft auf einen Schlag gekündigt hat. Als er schließlich vom Ex-Freund zu hören bekommt, dass dieser Pádraics Geschwätz satt habe und die noch verbleibende Lebenszeit lieber mit dem Komponieren neuer Stücke für seine Geige und mit Nachdenken verbringen wolle, stürzt ihn das in eine tiefe Depression. Die Zurückweisung erschüttert ihn, und seine Schwester Siobhán (Kerry Condon), die mit ihm zusammenlebt und sich längst mit ihrem einfach strukturierten Bruder abgefunden hat, vermag ihn nur schwer aufzurichten.
Aber kaum hat Pádraic die Zurückweisung verdaut, macht er zu Siobháns Entsetzen erneut Annäherungsversuche, zumal er Colm im Pub mit anderen, meistens Frauen, scherzen und ihnen etwas vorspielen sieht. Doch Colm bleibt hart, keine Ablenkung mehr von Pádraic. Nach dessen nächster Anrede will er sich einen Finger abschneiden. Eine masochistische Selbstbestrafung, wenn man bedenkt, dass er zum Fiedeln intakte Hände braucht.
Die Handlung spielt in Galway im Jahr 1927. Auf Inisherin, jener fiktiven Insel, die dem Film auch ihren Namen gegeben hat, kann man aus der Ferne den Kanonendonner vom irisch-britischen Krieg in Irland hören. Hier, wo es offenbar keine bekennenden Engländer gibt, bilden sich zwei Lager. Die einen können Colm verstehen, die anderen fühlen mit Pádraic. Sein bester Freund ist der etwas zurückgebliebene Dominic (Barry Keoghan), der unter seinem Vater (Gary Lydon), den autoritären Polizisten auf der Insel, zu leiden hat.
Der Film lebt von seinen Figuren aus einem Land, in dem man sich gerne Geschichten erzählt und das großartige Literaten hervorgebracht hat. Pádraic in seiner Naivität ist Farrells Glanzrolle, für die er in Venedig als bester Darsteller ausgezeichnet wurde. Das virtuose Drehbuch, das McDonagh ebenfalls in Venedig einen Löwen einbrachte, reiht witzige und tragische Szenen aneinander – manchmal kommt es nur auf die Sichtweise an.
Im Grunde geht es um den grundsätzlichen Konflikt zwischen dem Menschen als soziales Wesen und dem Menschen, der sich der Gesellschaft entzieht, um mit seinen Werken unsterblich zu werden. Bis zu seinem surrealen Ende, an dem die keltischen Geister, die Banshees genannt werden, die Protagonisten zu beherrschen scheinen, fragt der Film nicht nur nach dem Sinn von Freundschaften, sondern nach dem Sinn des Lebens. Und dies auf eine äußerst faszinierende Weise.
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Info:
THE BANSHEES OF INISHERIN
IRL/GB/USA 2022, 109 Min.
mit Colin Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan, Gary Lydon, Pat Shortt
Tragikomödie / Start: 05.01.2023