202306940 3 RWD 775Vor der Berlinale 2023 (2)

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - "Das ist ja kein schlechter Arbeitsplatz“, meint ein Kollege, lässt sich in den ausladenden Ledersessel im Cinemax fallen und fährt die Beinpolster hoch. Hier im Keller des Kinotempels am Potsdamer Platz, werden Filme der Berlinale-Sektion Generation vorab präsentiert.

Bemerkenswert sind die vielen Coming of Age-Filme in dieser Reihe, also diejenigen, die sich mit Themen und Problemen der Heranwachsenden beschäftigen: Ablösung von den Eltern, Verlust von geliebten Wesen, sexuelle Orientierung, erste Liebe, Mobbing in der Schule… Das alles wird nicht mit erhobenem Zeigefinger oder schlaumeierisch pädagogisch erzählt, sondern mit toller Bildsprache und überraschenden Entwicklungen.

In „Zeevank“ etwa kann die zwölfjährige Lena (Foto oben) den Tod ihres geliebten Vaters beim nächtlichen Fischfang nicht überwinden. Sie ist davon überzeugt, dass ihn ein Seemonster aus großer Tiefe gefangen hält, kämpferisch setzt sie alles dran, um ihn zu befreien. Doch nach zahlreichen dramatischen Ereignissen muss sie weinend erkennen: „Er ist tot, er kommt niemals wieder“.

Oder „Desperté con un sueno“, der Film mit dem jungen Felipe, der so gerne heimlich Theater in einer Schulgruppe spielt. Seine Mutter hasst Theater und er tut immer so als käme er vom Fußballplatz. Der Spielleiter legt sehr viel Wert auf die Körpersprache, die Kids sollen nicht so viel reden sondern schweigend agieren. Das Schweigen ist das Thema des Filmes, denn auch die Mutter verbirgt ein verschwiegenes Familiengeheimnis…

Nach zwölf Jahren Berlinale bin ich so trainiert, dass sich die jeweilige ausländische Sprache und die Untertitel im Kopf vermischen. So stark, dass ich manchmal schon gedacht habe, wieso sprechen die denn Deutsch? Bei den ziemlich guten Filmen für große Kinder und Jugendliche in Generation ist mir aufgefallen, dass mir die englischen oder deutschen Untertitel aber oft gar nicht so wichtig sind. Wenn die Kinobilder und die Körpersprache der Akteure stimmen, wie bei den beiden oben genannten Filmen, spürt und sieht man, was die Beteiligten wollen.

Grässlich finde ich synchronisierte Streifen, in denen US-amerikanische Akteure mit ihrer hektischen Körpersprache oder aufgedrehte Franzosen völlig künstliches Deutsch sprechen.Von perfekt in unserer Sprache redenden japanischen oder nigerianischen Kindern ganz zu schweigen.

Aber es gibt auf der Berlinale auch noch die entsetzlichen Podcast-Filme, in denen nur geredet und geredet und geredet wird. Die Menschen sind nur Prothesen für redende Münder vor inhaltsleeren Kulissen, cineastische Bilder verstärken nicht die Handlung. Gut dreihundert - früher vierhundert  - Filme werden auf der Berlinale gezeigt, die Bandbereite ist enorm: Da ist für jeden was dabei. Viele Kollegen und Kolleginnen lieben auch diese Hörspiele, die sogar Bären gewinnen. Glücklicherweise gibt es sie in Generationen selten.

Fortsetzung folgt
 (denn es gibt noch viele, viele Filme vorab zu sehen).

Foto:
© Aaron Lapeirre