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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 2. Februar 2023, Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es ist gut, den vorangegangenen Text zu kennen, aber es ist keine Vorbedingung zum Verständnis des Films, der deshalb so wichtig ist, weil er uns mit den Zeugen der Untaten zweier Angeklagter im KZ Stutthof bekannt macht, zwei Zeuginnen, die überlebt haben, die eine ist Judy Meisel, die in die USA auswanderte und inzwischen verstorben ist, die andere die in Israel lebende Roza Bloch, die zum Stutthof-Prozeß nach Hamburg gekommen ist und aussagte.

Und schon allein wegen dieser beiden Frauen und ihren Aussagen lohnt dieser Film, der noch rechtzeitig dokumentiert, wie Überlebende nun erstmals vor deutschen Gerichten über ihre Mörder und Mordgehilfen nicht nur aussagen können, sondern auch Urteile erleben, die zwar nicht den Schmerz über den Tod ihrer Angehörigen verkleinern können, aber sie wenigstens so etwas wie Genugtuung erfahren läßt, daß ihnen Gerechtigkeit widerfährt.

Das ist das große Plus dieses Films, der uns mit den jeweiligen Lebensverhältnissen der Zeuginnen in den USA und Israels auch mit deren Nachkommen bekannt macht. Die Interviews führte vor Ort und dann in Deutschland Isabel Gathof, die mit ihrem wunderbaren Film über den jüdischen Maler Moritz Daniel Oppenheim noch in guter Erinnerung ist. Man spürt, wie sehr sich die Zeuginnen durch Isabel Gathof angesprochen fühlten und wie intensiv die Gespräche waren. Für Judy Meisel kam ihr Enkel Ben nach Deutschland, um den Prozeß gegen den Angeklagten zu verfolgen, den wir links liegen lassen, zumal dieser Prozeß wegen Verhandlungsunfähigkeit des 96jährigen Angeklagten 2018 platzte.

Aber der Hamburger Prozeß gegen den SS-Wachmann im KZ Stutthof, Bruno Dey, zu dem Roza Bloch aus Israel angereist war, wurde zu Ende geführt. Im Juli 2020 wurde Dey wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt, was natürlich lächerlich klingt, angesichts von erwiesener Beihilfe zum Mord. Aber auch hier war hinter den Kulissen wichtiger, daß das Urteil rechtskräftig wurde, also keine Revision eingelegt wurde, über deren Erledigung der Verurteilte dann potentiell wieder stirbt, so daß kein Urteil da ist. Auch den Überlebenden war wichtiger, daß für sie Recht gesprochen wurde, weniger die abzubüßende Strafe für einen Greis. Wenigstens das, wenigstens das in letzter Sekunde, denn es wird kaum mehr Prozesse geben und die Überlebenden werden immer weniger.

Für uns Deutsche ist der Film noch aus einem weiteren Grund interessant und darauf bezieht sich auch die Aussage, daß dieser Film nach einer Fortsetzung schreit. Er zeigt auf, wie spät erst die systematische Erfassung der KZ-und überhaupt der NS-Täter erfolgte durch die Einrichtung der zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von Naziverbrechen in Ludwigsburg, deren Leiter immer wieder zu Wort kommt und heute auch glaubwürdig Naziverbrechen verfolgen will, was bei der Gründung der Zentralstelle am 1. Dezember 1958 durch den damaligen, mit dem Dritten Reich verbandelten Leiter nicht gegeben war.

Auch die Beiträge der Nebenkläger, die z.B. die beiden Zeuginnen vertraten, sind hilfreich, die aufzeigen, daß auch die heutige Urteilspraxis bei NS-Verbrechen noch relativ lasch ist, weil die Verfahren schnell beendet werden sollen, was angesichts des Alters der Beteiligten dann wieder verständlich wird.

Den größten Eindruck machte mir allerdings Philipp Graebke, tätig in Erlangen am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozeßrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht. Dieser stellt im Film die Fragen, die wir uns alle stellen müssen, d.h. sie auch beantworten müssen, weshalb beispielsweise 50 Jahre vergehen mußten, ehe nach den Auschwitzprozessen ein neuer bundesdeutscher NS-Prozeß begann. Warum beispielsweise sind nicht nach der Ausstrahlung der vierteiligen US-amerikanischen Holocaustserie über die Familie Weiss in der ARD 1979, die nachweislich zum ersten Mal zur nachhaltigen Diskussion über den Massenmord an jüdischen Mitbürgern geführt hatte, die erste emotionale Erschütterung weiter Teile der Bevölkerung, warum ist damals nicht erneut Rechenschaft von den Tätern verlangt worden. Warum nicht in den 80iger Jahren, wo doch die Bewegung der Grünen gegen alles mögliche protestierte, aber keine NS-Verfolgung anstrebte. Warum nicht in den 90er Jahren, wo sofort nach dem Mauerfall und dem folgenden Anschluß der DDR an die Bundesrepublik Rechenschaft von Stasi-Mitarbeitern etc. verlangt wurde, aber weiterhin keine von den NS-Chargen. Das macht nicht nur nachdenklich, sondern zeigt, was diesem Dokumentarfilm, der die Opfer zu Wort kommen läßt, die souverän genug waren, sich aus der Opferrolle selbst zu befreien und ein eigenes Leben führen konnten, was diesem Film nun folgen muß.

Eine Beschäftigung mit uns selbst, nämlich die gründlichere Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte, von der wir insgesamt wissen, daß die NS_Täter auf den wichtigen Stellen der Republik saßen. Das ist inzwischen eine Binsenweisheit und durch historische Forschung wie die über die Rosenhöhe in Bonn, das Bundesjustizministerium, sehr gut belegt. Aber es wird Zeit, die verschiedenen Nachkriegsuntersuchungen zu bündeln, damit die obigen Fragen beantwortet werden können.


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