Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie schön, daß es das wieder gibt, daß ein Kino ausverkauft ist, wie es am Sonntagabend bei der Premiere von „FRITZ BAUERS ERBE – Gerechtigkeit verjährt nicht“ der Fall war. Traurig für die, die erst einmal keine Karte mehr bekamen, doch Kinoleiterin Natascha Gikas zauberte, sie bekam alle unter und begrüßte die Premierengäste. Das tat Minuten später auch der Hessische Ministerpräsident Boris Rhein. Aha, fein, dachte ich, daß er sich unters Publikum mischt und den Mann ehrt, der dem Film seinen Titel gab.
Und sogar gerade dem Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer die ehrenvollste Medaille des Landes Hessen, die Wilhelm-Leuschner-Medaille verliehen hatte, das erste Mal posthum, wie er betonte. Man darf dem Juristen Rhein (CDU) abnehmen, daß er den 1968 überraschend verstorbenen Bauer heute in seiner Bedeutung erkennt, was seiner CDU damals nicht gelang, die das SPD-Mitglied Fritz Bauer damals ohne Unterlaß diffamierte. Verjährt so etwas oder nicht?, fragte ich mich, während ich den staatstragenden Worten von Rhein – keine Geschichtsklitterung! Er sprach von der Leinwand herab – lauschte. Aber immerhin.
Natascha Gikas (im Bild) stellte auch die Filmemacherinnen vor und kündigte eine Diskussion nach der Filmvorführung an, die lebhaft wurde und über eine Stunde dauerte. Neben Sabine Lamby (München), Cornelia Partmann (Berlin) und Isabel Gathof (Hanau), standen auch Rechtsanwalt Rückel (München), dessen Kanzlei Nebenkläger vertrat, sowie Gerhard Wiese, der vor 30 Jahren als Stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Frankfurt in Pension ging und erleben darf, daß seine Anfangsjahre in Frankfurt als Gerichtsassessor unter Fritz Bauer und dem Auschwitzprozeß ihm, den einzigen von Gerichtsseiten Überlebenden ihn zu einem wichtigen Zeitzeugen des Auschwitzprozesses machen, auch wenn damals die eigentliche Ermittlungsarbeit von den beiden Staatsanwälten Joachim Kügler und Georg Friedrich Vogel gemacht wurde. Daß er sich im Stich gelassen fühlte, als die beiden nach 1965 die Frankfurter Staatsanwaltschaft verließen - Vogel nach Darmstadt, Kügler als Rechtsanwalt und später Notar, zudem starb 1968 auch noch Bauer - hatte man von ihm so deutlich noch nie gehört. Man kann es verstehen, denn diese Berserkerarbeit, die Kügler und Vogel seit Mitte 1959 auf sich nahmen, hatte kein Vorbild in der deutschen Rechtsgeschichte. Heute haben wir genaue Kenntnis über Auschwitz, aber damals mußten sich Ermittler erst einmal vor Ort ein Bild davon machen und Stein für Stein und Toten für Toten und ihre Mörder zusammentragen.
Wiese kommt heute eine wichtige Funktion zu, denn alles, was die drei Filmemacherinnen über ihre Zusammenarbeit, über die einzelnen Teile des Films - so übernahm Isabel Gathof die Interviews mit den beiden KZ-Überlebenden Rudy Meisel und Roza Bloch sowohl in den USA wie in Israel und betreute sie in Deutschland – erzählten, war sehr interessant, aber man will halt immer wissen, wie war es denn zu Zeiten des Auschwitzprozesses, warum wurde er zwar von der Fachwelt und in Frankfurt zur Kenntnis genommen - Schüler nahmen häufig am Prozeß teil wie auch Studenten der Uni - , aber konnte keine Umkehr im Verdrängungsprozeß der bundesrepublikanischen Gesellschaft dieser Jahre erzeugen. Das alles kam später und letzten Endes ist erst heute eine eindeutige gesellschaftlicher Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und seinen Menschheitsverbrechen vorhanden. Darum sind auch solche Filme wie dieser wichtig, die diesen Veränderungsprozeß aufzeigen und begleiten.
Denn wir haben heute, anders als noch zu Zeiten des Auschwitzprozesses, zwei Sachverhalte zu klären. Damals ging es nur um die geschichtliche Aufarbeitung der NS-Zeit, die Verantwortlichen, die Verbrecher, die Mitläufer ...etc. Heute kommt die Fragestellung hinzu, warum nicht direkt nach dem Krieg, auf jeden Fall in den 50er Jahren, spätestens in den 60ern eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Verbrechen und die Verbrecher des Dritten Reiches und ihre notwendige Verfolgung stattfand.
Dieser Film zeigt noch einmal eindrücklich, wie Überlebende der KZs mit ihren Toten leben müssen und er zeigt die Ausweitung der juristischen Grundlagen möglicher NS-Prozesse, zu denen auch die Möglichkeit des Videobeweises zählt, wichtig, da es den im Ausland Überlebenden aus Altersgründen immer weniger möglich ist, nach Deutschland zu reisen. Was dem Film fehlt, ist eine politische, besser gesellschaftliche Einordnung der sich verändernden Lehre und Praxis, daß schon die Beteiligung an der Mordmaschinerie, die ein KZ darstellt, Beihilfe zum Mord ist und warum diese Auslegung des Gesetzes nicht schon früher in der Bundesrepublik stattfand.
Auch die Verjährungsfrage bei Beihilfe zum Mord bleibt im Film vage, die ja erst 1979 endgültig aufgehoben wurde, obwohl die Vereinten Nationen schon am 26. November 1968 festgelegt hatten, daß „Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren“.
Wie schon in der Filmbesprechung ausgeführt, stellt die diesbezüglichen Fragen ein Jurist von der Universität Erlangen, Philipp Graebke, deren Antworten, wie ebenso schon angeregt, den Inhalt der Fortsetzung dieses Films sein müßten, die immer noch Fritz Bauers Erbe angehen oder sollte man schon sagen, daß jemand wie Graebke zu Fritz Bauers Erben gehört. Wäre schön, wenn es mehr würden, wovon ich sicher ausgehe.
Großer Schlußapplaus für die drei Regisseurinnen.