Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - In der Stadt werben jetzt Plakate für die Berlinale, seit einigen Tagen ist auch das Programm fertig und liegt endlich überall gedruckt herum. Auf der Grafik sind keine Bären, sondern stilisierte Personen im Kino: Sie sollen das Publikum feiern, so Festivalleiter Carlo Chatrian, weil es in diesem Jahr wieder volle Säle ohne Corona-Beschränkungen geben wird.
Aus sich drehenden goldenen Bären wird eine Erdkugel aus Bären, zu sanfter elektronischer Musik entsteht aus ihnen ein goldenes Feuerwerk… Nun fehlt nur noch dieser Festival-Trailer, der in den Pressevorführungen der letzten Wochen nicht gezeigt wurde - aber auf der Berlinale vor jedem Film laufen und das Publikum sanft einstimmen wird. Siehe hier
Nicht immer folgt dann großes Kino wie "Sissi und ich" oder "Inside", das kann man nach der Sichtung von mehr als 30 - von über 280 - Filmen ruhig mal schreiben. Aber die unglaubliche Vielfalt des zeitgenössischen Kinos wird überaus deutlich. „Wer soll das denn sehen“, fragt jemand nach dem Film „Al Murhaqoon“, in dem eine mittelständische Muslim-Familie im Jemen eine Abtreibung will. Das ist dort tatsächlich irgendwie möglich, aber niemand weiß es… Das Problem wird nicht nur mit den zwei (wieder) aktuellen Filmen „Call Jane“ oder „Das Ereignis“ im Westen aufgegriffen, sondern auch im Orient thematisiert.
Der Film „Vergiss Meyn nicht“ zeigt das Leben in den Bäumen im besetzten Hambacher Forst, der bis heute noch nicht geräumt ist. Der Filmstudent und Journalist Steffen Meyn freundet sich mit den jungen radikalen Baummenschen an, sammelt mit seiner Kamera schwindelerregende Bilder. „Wir haben nur unsere Körper, die wir einsetzen können“, erzählt eine Frau. Zeitweilig lebt Meyn mit ihnen in der Höhe, filmt die Gespräche und kommt auf geheimen Wegen zurück, als geräumt werden soll.
Dabei stürzt er ab und verletzt sich tödlich. Das von professionellen Cineasten fertig gestellte Werk macht betroffen und nachdenklich.
In Kolumbien herrschte 50 Jahre lang Bürgerkrieg zwischen den wechselnden, extrem korrupten Machthabern und linken Widerstandsgruppen. Paramilitärische Haufen terrorisierten die Bevölkerung. Gleichzeitig ging die Polizei ebenso wie die Guerilla ständig brutal gegen Trans-Menschen vor und steckte sie ins Gefängnis.
Dort verliebt sich ein Guerillero der linken-FARC-Bewegung in eine hinreißende Transfrau, dafür wird er von seinen Mitkämpfern gemobbt. Doch irgendwie gelingt es den Transfrauen mit der FARC zu diskutieren, zusammenzuarbeiten und letztlich eine Art "rotes Frauenbataillon" zu bilden. Mit alten Live-Aufnahmen, Gesprächen und aktuellen Bildern gelingt den Filmemachern in "Transfariana" ein bewegendes Porträt der kämpferischen Trans-Menschen in Kolumbien.
Das Berlinale-Kino nimmt uns an ungewöhnliche Orte mit, verknüpft Themen, die man so noch nie zusammen gedacht hat und gibt oft ausgegrenzten, mundtot gemachten oder skurrilen Menschen eine Stimme.. Das ist neben dem „großen Kino“ etwa im Wettbewerb, auch ein ganz wichtiger Aspekt dieser Festspiele.
Fotos:
Oben Berlinale-Plakat
Vergiss Meyn nicht © MADE IN GERMANY
Transfariana © Mujō and Romeo