le grandSerie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 10

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Hier können wir mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Kulturgeschichte, die dieser Film festhält, gleich fortfahren. Wo gibt es das noch, fahrendes Volk, hier mit der Puppenspielbühne hinter der die Erwachsenen verborgen mit den vielfältigen Puppen Geschichten erzählen, von den Märchen bis zu den Sterntalern gewissermaßen. Die Kinder, die davor sitzen, werden damit glücklich. Doch die Erwachsenen können heute von dem geringen finanziellen Erlös nicht mehr leben.

 

Wie schön, daß das Puppenspiel im Film ernst genommen wird und wir immer wieder den dramatischen Szenerien lauschen und das Spiel der Puppen meist von hinter der Bühne sehen. Anstrengend ist es, mit beiden Armen zwei Puppen hoch oben agieren zu lassen, der Vater (Aurélien Recoing) auf jeden Fall kann es nicht mehr und bittet den Freund seines Sohnes Louis (Louis Garrel), Pieter (Damien Mongin), mitzumachen im Familienbetrieb, an dem auch noch die beiden Schwestern Lena (Lena Garrel) und Martha (Esther Garrel) beteiligt sind und die Großmutter (Francine Bergé) mitmischt, eine ehemalige Kommunistin, auf jeden Fall antireligiös, nur mit den nackten, bemalten Busen der Enkelinnen auf den Demonstrationen auf den Champes Élysée kann sie nichts anfangen. Das ist eine wunderbar gezeichnete Figur, die täglich die Puppenkleider ausbessert und die gegen Ende sterben wird, denn der Familiengrabstein spielt eine Rolle im Film, parallel zum Sterben des Gewerbes. Auf ihm stehen schon die Daten des Ehemannes der alten Frau, dann auch die ihres Sohnes, des Vaters des Familienbetriebes, der vor unseren Augen und vor ihr stirbt. Bei ihrer Beerdigung wird Enkel Louis ins Grab springen und das auf dem Sarg befestigte Kreuz abmontieren. Wenigstens das. Das ist überhaupt ein rechter Kerl. Seinen Freund, den Maler, der beim Puppenspiel nicht mehr mitmacht, weil er malen will, unterstützt er mit Geld, das er auf einmal dicke verdient, weil auch er der Puppenbühne Adieu gesagt hatte und auf dem Theater viel Geld verdient, weil er ein Star wird.

Darüberhinaus will es aber das Drehbuch, daß er sich in die vom Pieter sitzengelassenen Mutter mit Baby verliebt und wir zum Schluß des Films die Frau, die uns am Anfang dauerte, weil sie von Pieter verlassen wurde, in guten emotionalen und finanziellen Verhältnissen wissen, während die Frau, deretwegen Pieter die Kleinfamilie verlassen hat, damit zu kämpfen hat, daß gerade, als sie den Künstler verlassen wollte, dieser durchdrehte. Obwohl kein Geld im Haus war und es einen Käufer für seine vielen Bilder gab, wollte diese einfach nichts verkaufen, weil sie nicht fertig seien – und, das weiß der Zuschauer und auch die Frau, auch in hundert Jahren nicht fertig würden. Der arme Kerl ist übergeschnappt und kommt in die Klinik, früher hätte man Irrenhaus dazu gesagt.

Hier geht’s also rund. Am Schluß sind nicht nur einige tot, sondern andere wiederum so quicklebendig, wie es nur geht. Die Rede ist von den sagenhaften Schwestern, für mich die heimlichen Heldinnen des Films, die das Familienunternehmen der Puppenspielerei lange weiterführen, bis auch sie die Segel streichen.

Das ist kein großer Film mit drängender Dramatik und lautstarkem Sound, sondern ein Kleinod, das man hegen und pflegen sollte.

Mich hat dieser Film doppelt beglückt:
daß man noch einmal sehen kann, wie die Puppenspielbühne durch’s Land fuhr und Kinder glücklich machte und die Puppenspieler auch und
daß man sehen kann, wie inmitten von so vielen dysfunktionalen Familien hier ein Zusammenhalt besteht, auch wenn es am Ende nicht weitergeht. Aber die Beteiligten haben es zumindest probiert!

Foto:
©


Info:

Stab
Regie         Philippe Garrel
Drehbuch  Jean-Claude Carrière, Arlette Langmann, Philippe Garrel, Caroline Deruas Peano

Darsteller
Louis Garrel (Louis)
Damien Mongin (Pieter)
Esther Garrel (Martha)
Lena Garrel (Lena)
Francine Bergé (Großmutter)
Aurélien Recoing (Vater)
Mathilde Weil (Hélène)
Asma Messaoudene (Laure)

LE GRAND CHARIOT

Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 10

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Hier können wir mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Kulturgeschichte, die dieser Film festhält, gleich fortfahren. Wo gibt es das noch, fahrendes Volk, hier mit der Puppenspielbühne hinter der die Erwachsenen verborgen mit den vielfältigen Puppen Geschichten erzählen, von den Märchen bis zu den Sterntalern gewissermaßen. Die Kinder, die davor sitzen, werden damit glücklich. Doch die Erwachsenen können heute von dem geringen finanziellen Erlös nicht mehr leben.

Wie schön, daß das Puppenspiel im Film ernst genommen wird und wir immer wieder den dramatischen Szenerien lauschen und sie meist von hinter der Bühne sehen. Anstrengend ist es, mit beiden Armen zwei Puppen hoch oben agieren zu lassen, der Vater (Aurélien Recoing) auf jeden Fall kann es nicht mehr und bittet den Freund seines Sohnes Louis (Louis Garrel), Pieter (Damien Mongin), mitzumachen im Familienbetrieb, an dem auch noch die beiden Schwestern Lena (Lena Garrel) und Martha (Esther Garrel) beteiligt sind und die Großmutter (Francine Bergé) mitmischt, eine ehemalige Kommunistin, auf jeden Fall antireligiös, nur mit den nackten, bemalten Busen der Enkelinnen auf den Demonstrationen auf den Champes Élysée kann sie nichts anfangen. Das ist eine wunderbar gezeichnete Figur, die täglich die Puppenkleider ausbessert und die gegen Ende sterben wird, denn der Familiengrabstein spielt eine Rolle im Film, parallel zum Sterben des Gewerbes. Auf ihm stehen schon die Daten des Ehemannes der alten Frau, dann auch die ihres Sohnes, des Vaters des Familienbetriebes, der vor unseren Augen und vor ihr stirbt. Bei ihrer Beerdigung wird Enkel Louis ins Grab springen und das auf dem Sarg befestigte Kreuz abmontieren. Wenigstens das. Das ist überhaupt ein rechter Kerl. Seinen Freund, den Maler, der beim Puppenspiel nicht mehr mitmacht, weil er malen will, unterstützt er mit Geld, das er auf einmal dicke verdient, weil auch er der Puppenbühne Adieu gesagt hatte und auf dem Theater viel Geld verdient, weil er ein Star wird.

Darüberhinaus will es aber das Drehbuch, daß er sich in die vom Pieter sitzengelassenen Mutter mit Baby verliebt und wir zum Schluß des Films die Frau, die uns am Anfang dauerte, weil sie von Pieter verlassen wurde, in guten emotionalen und finanziellen Verhältnissen wissen, während die Frau, deretwegen Pieter die Kleinfamilie verlassen hat, damit zu kämpfen hat, daß gerade als sie den Künstler verlassen wollte, dieser durchdrehte. Obwohl kein Geld im Haus war und es einen Käufer für seine vielen Bilder gab, wollte diese einfach nicht verkaufen, weil sie nicht fertig seien – und, das weiß der Zuschauer und auch die Frau, auch in hundert Jahren nicht fertig würden. Der arme Kerl ist übergeschnappt und kommt in der Klinik, früher hätte man Irrenhaus dazu gesagt.

Hier geht’s also rund. Am Schluß sind nicht nur einige tot, sondern andere wiederum so quicklebendig, wie es nur geht. Die Rede ist von den sagenhaften Schwestern, für mich die heimlichen Heldinnen des Films, die das Familienunternehmen der Puppenspielerei lange weiterführen, bis auch sie die Segel streichen.

Das ist kein großer Film mit drängender Dramatik und lautstarkem Sound, sondern ein Kleinod, das man hegen und pflegen sollte.

Mich hat dieser Film doppelt beglückt:

daß man noch einmal sehen kann, wie die Puppenspielbühne durch’s Land fuhr und Kinder glücklich machte und die Puppenspieler auch und

daß man sehen kann, wie inmitten von so vielen dysfunktionalen Familien hier ein Zusammenhalt besteht, auch wenn es am Ende nicht weitergeht. Aber die Beteiligten haben es zumindest probiert!

Foto:

Info:

Stab

Regie Philippe Garrel

Drehbuch Jean-Claude Carrière, Arlette Langmann, Philippe Garrel, Caroline Deruas Peano

Darsteller

Louis Garrel (Louis)

Damien Mongin (Pieter)

Esther Garrel (Martha)

Lena Garrel (Lena)

Francine Bergé (Großmutter)

Aurélien Recoing (Vater)

Mathilde Weil (Hélène)

Asma Messaoudene (Laure)