roter himmel

Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 14

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Endlich! Endlich ein Film, der nicht nur von der Thematik her, sondern auch dank seiner filmischen Mittel ein überzeugendes Augen-, Ohr-, Gemüts- und Verstandestück auf die Leinwand bringt, noch dazu mit einem hinreißenden Figurenspiel (Ensemble) daß man sagen möchte: ein guter, ein großer Film, den man sich gleich noch einmal anschauen möchte, weil so viele kleine Details zum großen Ganzen und damit zum Verständnis dieser Personen und dieser Geschichte beitragen.


Daß Christian Petzold trotz Grippeerkrankung zur Pressekonferenz gekommen und blendend aufgelegt war, zeigt, er muß ihn selber auch sehr mögen, diesen Film, mit dem er neue Themen anreißt und vor allem einmal nicht die Frauen in den Mittelpunkt stellt, sondern die Männer und hier einen ganz besonders verlorenen Mann, den Schriftsteller Leon (Thomas Schubert), der mit seinem Freund Felix (Langston Uibel) den Sommer im Ferienhaus von dessen Mutter an der Ostsee verbringen will. Leon braucht dringend Abgeschiedenheit und Ruhe, da er seinen zweiten Roman fertigstellen muß.

Als sie in das Haus kommen, sieht es wüst aus, so als ob eine Party aus dem Ruder gelaufen wäre, dabei ist nur Nadja (Paula Beer), die Tochter einer Kollegin der Mutter ebenfalls einquartiert. Leon verzieht gleich sein Gesicht, als ihm Felix nach dem Telefongespräch mit seiner Mutter mitteilt, daß sie sich leider das kleine Zimmer teilen müssen, weil Nadja da bleiben wird. Nichts mit Ruhe, nichts mit Abgeschiedenheit, vor allem nicht nachts, als die Rammelei im Nebenzimmer einfach nicht zu überhören ist und sich Leon entnervt in die Gartenlaube flüchtet, wo er auch tags kreativ sein will und in den Augen des Zuschauers den Schriftsteller mehr mimt, als ist.

Nadjas Gespiele ist der Bademeister Devid (Enno Trebs), den Leon auf Anhieb nicht leiden kann, wobei er nicht einmal mitbekommt, daß sich in weiteren Nächten Felix und Devid zusammentun. Devid bringt eine Lebensleichtigkeit mit, die das Gegenteil vom verklemmten Leon ist, der psychologisch so gestrickt ist, daß er immer ‚Nein‘ sagt, wo er doch eigentlich ‚Ja‘ sagen möchte. Nadja, so sind die Frauen, ist das soziale Wesen, das Leon immer wieder ermuntert, mitzutun, doch zu allem sagt er :“Nein“! Manchmal auch:“Nein, danke“!

Nur einmal korrigiert er sich, als nämlich Nadja anbietet, das Manuskript mit dem Titel CLUB SANDWICH zu lesen, ändert er sein Nein in ein Ja. Sie schmeißt sich auf’s Bett und liest und bittet ihn, die Küche zu machen. Auch ein Wink mit dem Zaunpfahl. Sie gibt ihm das Manuskript stumm zurück und erst auf Nachfrage äußert sie: „Das weißt Du doch selber, Bullshit!“. Als nun der Verleger (Matthias Brandt), der angesagt ist, kommt, sieht man diesem sofort an, daß er ähnlich über den zweiten Roman denkt, dies nur höflicher ausdrückt.

Die vife Nadja lädt den Verleger zum Essen ein und das erfolglose Genie muß erleben, wie sein Verleger an Nadjas Werdegang Interesse entwickelt – Literaturstudium, Doktorarbeit in Marburg, in dem Zusammenhang bringt sie den Beginn ein Heine-Gedichts, das der Verleger fortsetzt, wobei sie ihm hilft, - auf jeden Fall ist Leon sprachlos und peinlich berührt, denn er hielt Nadja für eine Eisverkäuferin, was sie in den Sommermonaten an der Ostsee auch ist. Dieser Leon sieht nur sich selbst. Ähnlich geht der Verleger auch auf Felix ein, der hier an der Ostsee ein Fotografieprojekt für die Aufnahme an der Kunsthochschule macht und dem er den entscheidenden Hinweis auf die nötige Struktur geben kann. Allen wird geholfen, nur Leon nicht.

Doch dann bricht der Verleger zusammen, Leon zeigt erneut, daß er nichts mitkriegt im Leben, denn Nadja und Leon holen ihn aus der Onkologie ab…. und auf einmal hören wir die Stimme des Verlegers, also die von Matthias Brandt, der vom Waldbrand erzählt, wie er dem Haus näher kommt und was dann noch alles passiert. Der Verleger, der schon das mißratene Buch von Leon laut vorgelesen hatte, liest hier das, was wir gesehen hatten, was Leon statt des mißratenen Versuchs nun geschrieben hat und was wir im Film verfolgt hatten.

Wenn ich von den filmischen Mitteln sprach, die Petzold über eine filmische Erzählung hinaus ROTER HIMMEL zu einem echten Leinwanderlebnis macht, hat das auch damit zu tun, daß er einerseits die Erfahrung des Zuschauers konterkariert und andererseits die mediale Ebene wechselt, was der Zuschauer nachempfinden muß. Ersteres findet gleich am Anfang statt, als die beiden, schwer mit Koffern beladen, durch den Wald laufen, weil das Auto auf dem Waldweg stecken blieb, den Geist aufgab. Da steht Leon mit allen Koffern, Felix entfernt sich und ruft, ich such den kürzesten Weg. „Das kenn‘ ich“, stöhnte ein Kollege neben mir, weil allzuoft die Leute dann nicht wiederkommen und er den Leon mit den Kofferbergen sitzengelassen sieht. Aber Felix kommt wieder, er hat den Weg gefunden.

Die mediale Ebene wechselt der Film, als die Stimme des Verlegers ertönt, wobei jeden klar sein müßte, daß er jetzt aus dem Buch vorliest, daß Leon statt des verdammten Manuskripts verfaßt hat und das den Sommer, den er hier erlebte zum Inhalt hat und von großer Qualität ist. .

Auch hier zwingt Petzold den Zuschauer zum Mitdenken, zum Mitfühlen hat er ihn schon vorher verführt. Das ist ein richtig guter Film, der einen großen Preis verdient!


Foto:
©berlinale.de

Info:
Stab
Regie Christian Petzold
Buch Christian Petzold
Kamera Hans Fromm


Darsteller
Thomas Schubert (Leon)
Paula Beer (Nadja)
Langston Uibel (Felix)
Enno Trebs (Devid)
Matthias Brandt (Helmut)