Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 16
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Schon wieder ein Potcastfilm, meinte eher abfällig der Kollege. Er meint damit einen Film, in dem dauernd gequatscht wird. Aber so ist das eben, wenn Studenten miteinander über ihre Zukunft sprechen und inwieweit die Ausbildung hier an der Kunsthochschule ihre Begabung fördert und ihnen eine glänzende Künstlerkarriere möglich macht. Aber auch Zweifel werden angesprochen, eigentlich steht bei Zigaretten und Alkohol das ganze Leben zur Disposition.
Wir sind in den 1990er Jahren auf dem Campus der Chinese Southern Academy of Arts. Das ist ein politisch interessanter Zeitpunkt, der ja hier von einem Chinesen thematisiert wird. Wie es in Rußland Tauwetter gab und spezielle Öffnungen, war auch 1994 eine Änderung der chinesischen Politik nach innen und außen erkennbar. China fing an, sein Abgeschottetsein aufzugeben, was sicher stark aus ökonomischen Gründen erfolgte, denn die chinesische Wirtschaft ist durch die Öffnung inzwischen eine der größten der Welt.
Die Jungen spürten den leichten Öffnungswind unmittelbar. Aber bei jungen Leuten steht normalerweise erst einmal nicht die große Politik im Mittelpunkt, sondern die kleine, nämlich wie ihre Lebensumstände gestaltet sind und ob sie andere wollen.
Was Lebensumstände für junge Leute sind, ist klar: die finanzielle Absicherung ist das Erste, wenn man mit Stipendium die Hochschule besucht oder der Besuch sogar frei ist, ist das abgehakt. Wer einen ausbildet, ist wichtig, aber auch, mit wem man studiert oder mit wem man das Studentenzimmer teilt. Wie es mit Freunden aussieht, aber vor allem mit Freundinnen. Denn, wir sagen es gleich, dies ist ein Männerfilm, auch wenn Frauen vorkommen. Aber die jungen Männer, die hier im chinesischen Animationsfilm des Lin Shan, Liu Jian, und Li Jiajia, ihr Leben, ihre Hoffnungen, ihre Ausbildung, ihre Zukunft miteinander erörtern, sind alle auf dem Hintergrund des Männerkults von Genialität zu betrachten. Und so war das auch. Sicher waren es in den 90zigern vorwiegende männliche Studenten in China, die wir jetzt ernst nehmen und von ihren Diskussionen berichten.
Die gehen in alle Richtungen, aber die für mich interessantesten sind die Gesprächsrunden, wo es um den ursprünglichen Grundkonflikt Bildender Kunst in China ging: ob nämlich, was bis dato Gesetz war, die künstlerischen Techniken für die perfekten Nachahmung bisheriger Motive eingesetzt werden oder ob Neues, Eigenes ge- also erschaffen wird.
Wer glaubt, daß sei doch keine Frage, die Kunst sei frei und der Künstler auch, weiß wenig von der Kunstgeschichte, die sich diesen Freiheitsbegriff auch in Europa erst erarbeiten. ja erkämpfen mußte. Allerdings hatte der Westen immer bessere, d.h. frühere Chancen als beispielsweise China, aber auch als das Ostchristentum, also Byzanz und die Ikonen, von denen aber die bildlichen Darstellungen von Heiligen überhaupt erst in den Westen gelangten und hier, zuerst in Italien Furore machten. Nur weil wir Heutigen darüber wenig wissen, bleibt es doch richtig, daß sich die Malerei im Osten entwickelte und ins Europa, hier zuerst in Italien nur aufgegriffen wurde. Auf die griechische Plastik und die römische Übernahme gehen wir jetzt nicht ein, da war der Kanon weniger streng.
Also, auch bei den Ikonen galt als A und O, das Vorbild genau nachzuahmen. Freiheit der Kunst war ein Fremdwort, ja verdammenswert.
Was die Freunde und Studenten dort also für China austauschen, sind die Grundprobleme der Kunst, in der die Vorbilder und geschulte Techniken gerne gegenüber Kreativität und Neuschaffen ausspielt werden. Im Westen hat sich Letzteres durchschlagend durchgesetzt.
Ich war viel zu sehr mit dem Inhalt, mit den Gesprächen beschäftigt, um die Bildsprache des Animationsfilms groß zu würdigen. Der Filmemacher und Maler Liu Jian hat, vermute ich, seine eigenen Jugendjahre hier mitverarbeitet, als auch in China große Hoffnung auf die Öffnung des Landes bestand. Allein, daß ein Künstler wie Ai Weiwei so lange sich und seine Kunst in China entwickeln und ausüben konnte, zeigt, daß hier wirklich eine Öffnung vor sich ging. Mag ja sein, daß die Folgen der politischen Klasse in China zu weit ging. Dieser Film allerdings läuft ganz offiziell im Wettbewerb. Ist also erlaubt.
Foto:
©berlinale.de
Info:
StabRegie Liu Jian
Buch Lin Shan, Liu Jian
Animation Li Jiajia