Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Auf der Berlinale hatte der Film "TÁR" mit Cate Blanchett seine Deutschland-Premiere, jetzt kommt er in die Kinos
Lydia Tár (Cate Blanchett), die fiktive Stardirigentin der Berliner Philharmoniker, braucht lange um uns in ihre glamouröse Welt mitzunehmen. Zwischen New York und Berlin lebt sie in einer Blase, führt hochelaborierte Gespräche über Musik, trifft angesehene Intellektuelle oder berühmte Musiker und ist besessen von ihrem Job, in dem sie endlich auch noch Gustav Mahlers „Fünfte“ einspielen möchte. Nach gefühlter endloser Kinozeit lernen wir auch ihre Frau Sharon Goodnow (Nina Hoss) und deren adoptiertes Kind Petra (Mila Bogojevic) kennen. Das wird in der Schule gemobbt und Tár lässt es sich nicht nehmen, persönlich einer Peinigerin ihrer Tochter Prügel anzudrohen: „Ich bin Petras Vater!“
Sie geht auch recht ruppig mit den Instrumentalisten ihres Orchesters um und will den Ersatzdirigenten, „diesen Roboter“, loswerden. In ihrem amerikanischen Lehrauftrag führt sie arrogant einen schnöseligen Musikstudenten vor, der sich weigert Bach zu spielen: Weil der so frauenfeindlich gewesen sei, dürfe man ihn heutzutage nicht mehr anhören. Als eine blutjunge russische Cellistin sie bezirzt, gibt sie deren Werben nach und will sie gleich zur Solocellistin machen.
Tár ist kein sexistisches Monster, aber hier spürt man zum ersten Mal, dass die Grande Dame ihre Macht auch privat nutzt. Dann geht alles sehr schnell, denn die Blase platzt: Ein ehemaliges amerikanisches Orchestermitglied hat sich umgebracht, mit ihr hatte Tár eine Affäre und sie dann fallengelassen. Die Familie macht die Dirigentin für den Tod ihrer Tochter verantwortlich. Gleichzeitig taucht im Internet ein manipuliertes Video vom Streit mit dem Studenten auf. Mehr erfährt man nicht, aber Tár wird nun im wahrsten Sinn des Wortes erlegt: allein aufgrund der Gerüchte wird sie als Dirigentin suspendiert, der Lehrauftrag wird ihr entzogen, die Plattenproduktion macht jetzt „der Roboter“. Nachdem sie ihn auch noch während des Konzerts von der Bühne prügelt, stürzt sie ins Bodenlose...
Im letzten Jahr wurde der Film bei den Filmfestspielen in Venedig uraufgeführt, Blanchett erhielt den Preis für die beste Hauptrolle und wird seitdem für ihre leidenschaftliche Darstellung - „Ein Star spielt einen Star“ – weltweit gefeiert und prämiert. Aber das cineastische Werk rief sowohl Kritik als auch Begeisterung hervor. Missbilligt wurde, dass er nicht das Opfer, sondern die angebliche Täterin in den Focus stellt. Begeistert gelobt wurde, dass nun auch der sexuelle Machtmissbrauch unter Frauen ein #Me-Too-Thema wird. Doch die komplementäre Wahrheit, die in dem Film ebenfalls Thema ist, wird kaum diskutiert: Nämlich, dass jemand aufgrund von Spekulationen und Vermutungen für schuldig erklärt und an den Pranger gestellt wird!
Überhaupt ist fraglich, ob Regisseur Todd Field sich eigentlich so tief mit dem #Me-Too-Thema unter Frauen auseinandersetzen wollte. Er hat Tár eigens für Cate Blanchett geschrieben, die den ganzen Film trägt (trotz Nina Hoss in der Nebenrolle als ihre Frau) und mit unglaublicher Energie und Hingabe diese Dirigentin spielt, die immer perfekt sein will.
Foto:
Berlinale 2023 © Florian Hoffmeister / 2022 Focus Features, LLC.
Info:
"TÁR", USA 2022, 158 Minuten, FSK 12 Jahre, Filmstart 2. März
Regie Todd Field mit Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant