Neu auf DVD und Blu-ray ab dem 10. März 2023
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der etwas chaotische Zeichner Jean-Jacques Sempé fährt im Paris der 1950er Jahre mit seinem Fahrrad zu einem Café irgendwo zwischen Montmartre und Saint-Germain-des-Prés. Dort trifft er seinen Freund den Comicautor René Goscinny. Goscinny ist begeistert von den Zeichnungen eines kleinen Jungen. Der hat bisher weder einen Namen noch eine Hintergrundgeschichte, da sich Sempé beim Geschichten erzählen schwer tut, während Goscinny, der zwar auch gelernter Zeichner ist, hervorragend Stories erfinden kann.
Zusammen erwecken die Beiden einen schelmischen, liebenswerten 9jährigen Jungen zum Leben, der nach einigen Versuchen den Namen ″Nick″ (Nicolas) erhält. Nach ein paar sehr verschiedenen weiteren Ideen wird aus Nick das einzige Kind, verwöhnt von seinen Eltern aus der Mittelschicht, das in den Vorstädten Frankreichs in den frühen 1960er Jahren lebt. Daneben schenken sie ihm eine nervige Großmutter, eine nette Lehrerin und eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Schulfreunde. Im Laufe der Zeit wird Nick auch zusammen mit seinen Freunden in ein Feriencamp fahren und die Mädchen entdecken, von denen er Louise später heiraten will.
Nick erlebt eine fröhliche und glückliche Kindheit, etwas was die beiden Autoren nie hatten, denn Jean-Jacques Sempé (17. August 1932 - 11. August 2022) wurde unehelich geboren, war bei Pflegeeltern und hatte danach einen prügelnden und alkoholkranken Stiefvater. René Goscinny (14. August 1926 - 5. November 1977) war Jude und hatte das Glück, dass er zusammen mit seiner Familie während der Besetzung Frankreichs im 2. Weltkrieg in Argentinien lebte, während viele Mitglieder seiner weiteren Verwandtschaft umgebracht wurden. Später ging er nach New York und erst danach nach Brüssel und Paris, wo er zu einem sehr bekannten und erfolgreichen Comicautor wurde.
Nick ist ein neugieriger Junge und besucht neben seinen eigenen Abenteuern immer wieder die Studios seiner beiden Schöpfer. Bei René Goscinny sitzt das Kerlchen dann entweder auf der Tastatur der Schreibmaschine oder auf der Schulter und fragt ihn unbeschwert nach dessen Leben aus. Wenn er Jean-Jacques Sempé besucht, spricht der kleine Nick von einer entstehenden Zeichnung mit ihm. So erzählen die beiden wahren Eltern des kleinen Nick ihm und dem Publikum eine wunderbare Geschichte ihrer langjährigen Freundschaft und der nicht so wunderbaren eigenen Kindheit. Was als einzelnes Bild begann, wird zu einer Erfolgsgeschichte voller Hoffnung und Träume…
Der kleine Nick ist eine Kinderbuchserie, geschrieben von René Goscinny und illustriert von Jean-Jacques Sempé, von denen zwischen 1959 und 1964 rund 160 Geschichten zuerst in der französischen Regionalzeitung Sud-Ouest Dimanche abgedruckt wurden. Viele dieser Geschichten wurden später in 5 Büchern veröffentlicht. Die Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Zusätzlich fand Goscinnys Tochter Anne noch nicht in Buchform veröffentlichte Geschichten des kleinen Nick wieder, von denen 80 im Jahre 2005 in dem Buch Neues vom kleinen Nick und weitere 45 im Jahre 2006 in dem Buch Der kleine Nick ist wieder da publiziert wurden.
Zur 50jährigen Erstveröffentlichung des kleinen Nicks, wurde 2009 die CGI-Animationsserie ″Der kleine Nick″ produziert (die aber leider meilenweit von den Originalbildern entfernt ist). Außerdem erschien 2009 ein Realfilm, der 2010 unter dem Titel ″Der kleine Nick″ in die deutschen Kinos kam. Dazu gab es zwei Fortsetzungen: ″Der kleine Nick macht Ferien″ (2014) und ″Der kleine Nick auf Schatzsuche″ (2021), die aber bei weitem nicht das Besondere der Originalgeschichten erreichen konnten.
Jetzt haben die Regisseure Amandine Fredon und Benjamin Massoubre nach dem Drehbuch von Anne Goscinny und Michel Fessler einen Animationsfilm gedreht, der sich dem Phänomen auf zweifacher Weise annähert. Denn die Drehbuchautoren lassen die beiden Erfinder auf der einen Seite dem kleinen Nick aus ihrem Leben erzählen, dabei agiert Nick immer wieder mit ihnen, und auf der anderen Seite werden alte Kurzgeschichten mit dem herrlich leisen Humor immer wieder dazwischen gezeigt. Dadurch kommt die Umsetzung der Zeichnungen von Sempé im Animationsfilm mit seiner klassischen Zeichentrickoptik dem Original-Design ziemlich nahe.
Auf diese Art und Weise lernt der Zuschauer eine Menge über das nicht ganz leichte Leben der Autoren des Nicks: dass René Goscinny (der ja neben weiteren Comicfiguren auch für ein paar unbeugsame Gallier verantwortlich war – die man in einer Szene auch auf Goscinnys Schreibtische sehen kann) Jude war und weit in der Welt herumgekommen ist, bevor er in Paris gelandet ist, und dass Sempé unehelich geboren wurde und bei Pflegeeltern und mit seinem Stiefvater eine schreckliche Kindheit hatte. Doch das wird durch die Fragen des kleinen Nicks wunderbar verpackt und damit auch für ältere Kinder ertragbar und auch verständlich.
Wenn der kleine Junge sich über Sempés Zeichnungen beugt oder auf Goscinnys Schreibmaschine sitzt, versucht er mehr über die Beiden zu erfahren, wie ein Kind, das etwas über die Vergangenheit seiner leiblichen Eltern wissen möchte. Aus diesen Vertrautheiten entstehen zarte Emotionen - eine Mischung aus Schalk und Zärtlichkeit.
Die beruflichen Anfänge der beiden Künstler werden nur gestreift (so wird kaum etwas über die weiteren Arbeiten der beiden berichtet), doch man erfährt anhand der gemalten Episoden ihres Lebens auch viel über die Herkunft des kleinen Nick. So wird z.B. gezeigt, dass die Grundschule von Nick derjenigen haargenau gleicht, die Sempé in Bordeaux besucht hat, und dass Goscinny, der ja in Argentinien aufgewachsen und danach mit etwa 20 Jahren nach New York gegangen ist, Paris lange Zeit für eine exotische Stadt gehalten hat. Das führt dazu, dass die Leichtigkeit der Kurzgeschichten immer wieder einer gewissen Schwere weicht, wenn Nicks fantasierte behütete Kindheit mit den Tragödien ihrer Autoren verglichen wird.
Insgesamt erzählen der beiden Regisseure Amandine Fredon und Benjamin Massoubre ganz im Stil der Bücher die Entstehungsgeschichte des kleinen Nick, denn in diesem animierten Abenteuerfilm begegnen sich Schöpfer und Schöpfung, weil der kleine Nick aus seinem eigenen aufregenden Alltag ausbricht und seine beiden verstorbenen Erfinder René Goscinny und Jean-Jacques Sempé bei deren Arbeit im Atelier besucht. Da Sempés herausragende und unvergessene Zeichnungen kunstvoll animiert werden, wird der einzigartige Zauber und der zeitlose Charme des kleinen Nick berührend und lustig zum Leben erweckt.
″Der kleine Nick erzählt vom Glück″ ist eine charmante und warmherzige Hommage voller Witz und Poesie. Aus diesem Grund gehört der Animationsfilm zu den schönsten und sehenswertesten Filmen, die 2022 in die Kinos gekommen sind und den man sich - auch als Erwachsener - unbedingt zu Hause ansehen sollte. Es ist schade, dass der liebenswerte kleine Film in Deutschland in den Kinos untergegangen ist. Hoffentlich hat er mehr Erfolg im Home-Entertainment.
Foto 1: Cover DVD © 2023 LEONINE Studios
Foto 2: Der Zeichner Jean-Jacques Sempé antwortet dem kleinen Nick © 2023 LEONINE Studios
Foto 3: Herr Hühnerfeld kommt in die Klasse. © 2023 LEONINE Studios
Foto 4: Der kleine Nick spricht mit dem Erfinder seiner Geschichten, René Goscinny © 2023 LEONINE Studios
Info:
"Der kleine Nick erzählt vom Glück " ist ab dem 10.03.2023 als DVD und Blu-ray im Handel verfügbar. DVD und Blu-ray enthalten jeweils eine deutsche und französische Fassung in Dolby Digital Plus 5.1. bzw. DTS-HD MA 5.1. Die Untertitel sind bei beiden Formaten in Deutsch. Das Bildformat der DVD ist 1,85:1 (16:9 anamorph), der Blu-ray 1,85:1 (1080p/24). Weder DVD noch Blu-ray haben eine Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte.
Extras auf der Blu-ray sind:
Hinter den Kulissen im Animationsstudio (4:15 Min.)
Deutscher Kino-Trailer (1:24)
Der kleine Nick erzählt vom Glück (Frankreich, Luxemburg 2022)
Originaltitel: Le Petit Nicolas - Qu’est-ce qu’on attend pour être heureux?
Genre: Animation, Biographie, Familie, Komödie, Abenteuer
Filmlänge: ca. 82 Min.
Regie: Amandine Fredon, Benjamin Massoubre
Drehbuch: Anne Goscinny, Michel Fessler
Nach dem Werk von René Goscinny und Jean-Jacques Sempé
Originalsprecher: Alain Chabat, Laurent Lafitte, Simon Faliu u.a.
Deutsche Sprecher: Florian Odendahl, Jochen Palatschek, Anton Günther u.a.
Verleih: LEONINE Distribution GmbH
FSK: ab 0 Jahren