31341174 gerard depardieu als inspecteur maigret hier mit melanie bernier 1VWr4VtdSGeaSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. März 2023, Teil 2

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Maigrets Ermittlungen nehmen die Form einer sehr intimen, fast kathartischen Suche an.

Es gibt einen zerbrechlichen Moment, als Betty mit Frau Maigret Kaffee trinkt: Vom Badezimmer aus beim Rasieren hört der Kommissar sie lachen und er zeigt ein kaum merkbares Lächeln, denn es hätte das Lachen seiner Tochter sein können. Später gehen Maigret und seine Frau zur Beerdigung der jungen Toten und besuchen logischerweise auch das Grab ihrer Tochter. Auch als der alte Kaplan Maigret anvertraut: „Wenn man sein Kind verliert, verliert man alles, es gibt nichts mehr“, antwortet der Kommissar: „Ich weiß, Herr Kaplan, ich weiß“. Auch wenn es schrecklich war, ihn diese Worte sagen zu lassen, schien es mir wichtig, dass Maigret sie ausspricht.


Von den ersten Einstellungen an hat Gérard Depardieu eine Präsenz, die den ganzen Raum ausfüllt.

Ich denke an diesen Vers von Stéphane Mallarmé, der meiner Meinung nach Depardieu in Gestalt von Maigret wunderbar definiert: "Calme bloc, ici-bas, chu d'un désastre obscur" (dt. „Ruhiger Block, hier unten, von einer dunklen Katastrophe gestürzt“). Die Arbeit mit ihm hat sehr viel in mir ausgelöst. Ihn mitsamt seines Talents zu beobachten, ist faszinierend. Das Verrückteste ist, dass er seine ganze Zeit bis zur Klappe damit verbringt, laut zu sein. Aber in dem Moment, in dem man ihm sagt „Los, Gérard“, ist er mit einem Wimpernschlag so, wie man ihn im Film sieht. Er hat mir einmal erzählt, dass er sich auf diese Weise konzentrieren kann. Er muss der Antipode der Figur sein, um im Moment der Aufnahme die Figur zu sein.
Was er schnell begriff und sehr schätzte, war die Tatsache, dass ich nur sehr wenige Takes drehe. Bei mir wissen die Schauspieler, direkt in der ersten oder zweiten Einstellung ihr Bestes geben sollen. Gérard fand das toll. Es gibt sehr viele Einstellungen, für die nur ein Take nötig war.


Gibt man einem Schauspieler wie Gérard Depardieu Anweisungen?


Er war sehr glücklich, dass wir zusammen drehten, und er fühlte sich sicher. Bei unserer ersten Begegnung habe ich ihm gegenüber vor allem meine Bewunderung zum Ausdruck gebracht habe. Es herrschte Hochachtung und Respekt zwischen uns. Am Set hütete ich mich davor, ihm zu viele Anweisungen zu geben: Ich machte ihm Vorschläge zum Rhythmus oder zur Tonlage, aber er hatte ein so gutes Gespür für die Rolle, dass ich ihm bei den meisten Aufnahmen nichts zu sagen brauchte. Er war da, wo er sein musste und wann er es musste. Es wird alles Mögliche über ihn gesagt. Sogar, dass er sich nicht auf seine Rollen vorbereitet – das ist völlig falsch, denn es ist unmöglich, so zu sein, wie er im Film ist, ohne vorher daran zu arbeiten. Ich glaube, dass er die Figur geerdet hat: Er hat ein unmittelbares Gespür für den Tonfall, die Szene, den Einsatz, die Aussage. Da zwischen uns Vertrauen herrschte, war er stets sofort einverstanden, wenn ich ihm vorschlug, die Tonalität der Szene zu ändern. Er liebt es zu spielen. Ihm gefiel es, einen Charakter zu spielen, der so groß ist wie er selbst. Er hatte schon lange nicht mehr die Gelegenheit dazu gehabt.


Wen wollten Sie als Gegenspieler von Depardieu?

Ich wollte eine brillante Besetzung, aber ich wollte keine allzu bekannten Schauspieler, die nur kurz im Film auftauchen. Sehr schnell dachte ich an Mélanie Bernier für Jeanine, weil ich sie gut kenne und sie diese etwas volkstümliche Figur, die sich anmaßt, in einem bürgerlichen Milieu zu verkehren, ideal verkörpert. Ich dachte auch an Anne Loiret als Madame Maigret. Das war keine offensichtliche Wahl: Sie sollte weder ein Hausmütterchen sein, noch eine Sexbombe, weil das niemand glauben würde. Ich brauchte nur jemanden, der in sich ruht. Als ich Anne im Theater sah, fand ich sie perfekt. Schließlich brauchte ich noch zwei sehr junge Schauspielerinnen: Ich ließ mir von meiner Casting-Direktorin Tatiana Vialle helfen, die mir viele
Kandidatinnen vorstellte. Jade Labeste war die perfekte Besetzung. Depardieu erkannte sofort, dass er es mit jemandem zu tun hatte, der das Zeug für die Rolle hatte. Sie war zwar diskret, ließ sich aber nie von Gérard einschüchtern und verlor nie den Boden unter den Füßen. Sie ist eine sehr gute Schauspielerin.


In welche Richtung haben Sie mit dem Licht und der Fotografie gearbeitet?
 
Ich finde es immer sehr spannend, mit Kameramann und Ausstattungsleiter bei den Dreharbeiten darüber nachzudenken, woher das Licht kommt. Bauen wir ein Oberlicht ein und gehen davon aus, dass das Licht von dort kommt und die Silhouetten zerschneidet, oder kommt es aus dem Boden? Diese Entscheidungen wirken sich auf den Bau der Kulissen und alles weitere aus. In Maigrets Büro gibt es zum Beispiel nur ein einziges Fenster, das die Richtung des Lichts bestimmt.


Wie so bei Ihren Filmen ist MAIGRET nicht länger als 90 Minuten, was dem Film die Wirkung eines gestrafften, intensiven Werks verleiht.

Ich halte meine Filme gerne kurz. Das liegt vielleicht daran, dass ich 250 Werbefilme gedreht habe und weiß, dass man es schaffen muss, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Diese Balance finde ich gerne: Ich schätze es, wenn es keine unnötigen Szenen gibt. Mit Jérôme Tonnerre bin ich in der Regel streng genug, um keine unnötigen Szenen zu schreiben – und zu drehen –, die später herausgeschnitten werden müssen.


Es ist das erste Mal, dass Sie mit Bruno Coulais zusammenarbeiten.

Ich bewundere seine Arbeit schon lange und hoffte, dass wir mal zusammenarbeiten würden, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. Ich bin überhaupt kein Musiker, aber ich weiß, was ich mag und was ich nicht mag. Jedes Mal, wenn ich mit einem Musiker zusammenarbeite, versuche ich, meine musikalischen Wünsche in Worte zu fassen. Wenn ich Bruno von Musik erzähle, die wie ein etwas seltsamer Nebel über dem Boden schwebt, oder von Musik, die über unseren Köpfen schwebt, gelingt es ihm, eine atmosphärische Partitur zu schreiben – wobei er sich auch auf das Drehbuch und unsere Gespräche stützt. Ich sprach mit ihm über eine Musik, die nicht symphonisch ist, sondern sehr sparsam. Ich wollte auch, dass die Musik etwas Besessenes hat, denn für Maigret ist der Film die Suche nach der Identität dieses toten Mädchens. Maigret hat etwas Ruhiges und Stures an sich, und ich wollte, dass die Musik zu dieser Hartnäckigkeit beiträgt. Gleichzeitig wollte ich eine etwas bewegte Erinnerung daran, wer dieses tote Mädchen war – eine leichtere Musik, die die mögliche Erinnerung an die Verstorben.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab

Regie Patrice Leconte
Produktion Jean-Louis Livi
Drehbuch und Adaption Jérôme Tonnerre, Patrice Leconte
- Nach dem Roman „Maigret und die junge Tote“
von Georges Simenon

Darsteller
Maigret Gérard Depardieu
Betty Jade Labeste
Jeanine Mélanie Bernier
Madame Clermont-Valois Aurore Clément
Kaplan André Wilms
Docteur Paul Hervé Pierre
Louise Clara Antoons

Abdruck aus dem Presseheft