Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das ist schon erklärungsbedürftig, was João Canijo mit seinen zwei zusammenhängenden Hotelfilmen machte. Der eine MAL VIVER lief im Wettbewerb der diesjährigen BERLINALE, der andere VIVER MAL war in Encounters zu sehen. Natürlich bieten beide zusammen eine andere Erkenntnis als jede einzelne für sich. Was wir über den Wettbewerbsbeitrag schrieben, ist unten angefügt. Es gibt Gründe, warum dieser Film im Wettbewerb war, aber auch der bei LICHTER gezeigte ist interessant. Warum nicht beide gezeigt werden, wissen wir nicht, wäre aber cineastisch interessant gewesen.
Beide Filme sind traurig und vermitteln die portugaltypische Saudade, diese spezifische Form des Weltschmerzes, der Enttäuschung, der Wehmut ob der tatsächlichen Verhältnisse und die Sehnsucht nach einem anderen, glückhaften Leben. Melancholsich machen auch diese Filme, in denen also schlecht gelebt wird, weil das bessere Leben nicht in Angriff genommen wird. Die Szenerie ist beidemale die gleiche. Wir befinden uns in einem etwas heruntergekommenen Hotel, das sich anstrengt, mit den modernen Zeiten mitzuhalten, wo doch allein der Swimmingpool, großzügig, wie es einmal üblich war, heute im Unterhalt kaum mehr zu bezahlen ist. Während MAL VIVER von den fünf miteinander verwandten Frauen handelt, die gemeinsam das Hotel betreiben, kümmert sich VIVER MAL um die Gäste des Hotels. In beiden Filmen sind die Aufnahmen aus der Luftperspektive auf das Hotel das Schönste und auch die übrigen Aufnahmen in weiter Perspektive sind herausragend. Demgegenüber sind dann die Verfallsspuren des Hotels doppelt aufschlußreich. Sehen wir in dem einen Film alles eher von außen und vom Inneren nur die Wirtschaftsbereiche oder die Rezeption, sind wir in VIVER MAL in den Zimmern und damit bei den menschlichen Konflikten der Gäste, denen wir folgen. Da gibt es das Pärchen, das sich irgendwie nicht entscheiden kann, entweder von einander zu lassen oder sich echt aufeinander einzulassen, konfliktbeladen ist alles und man kann das eigentlich nicht mehr hören und sehen, was seit SZENEN EIINER EHE ständig kopiert wird. Doch, doch, es gibt Neuerungen, denn dieses Pärchen hat's mit den Sozialen Medien, die Außenwirkung über diese ist wichtiger als das eigene Erleben. Eine regelrechte Obsession. Und auch die obsessiven Mütter, die ihre erwachsenen Kinder immer noch bemuttern, sind nichts Neues, es stimmt ja einfach, daß es unter den Menschen nichts Neues unter der Sonne gibt. Und der Bezug auf Ingmar Bergmann ist eigentlich nur die letzte Station, denn João Canijo bezieht sich konkret auf August Strindberg, dessen Dramen "die drei Teile des Films betiteln: Mit dem Feuer spielen", "Der Pelikan" und "Mutterliebe", aber die abgefilmten Paarkonflikte können an die strindbergsche Dramatik nicht heranreichen, es bleibt einfach zu banal, was wir erleben, wenn dann die beiden, die es gerade miteinander probieren wollen, durch Eifersucht das knospende Liebeglück gleich vergiten.
Eigentlich sind es gar nicht die Paarkonflikte, die das Geschehen bestimmen, wir sind nur gewohnt, in diesen Bahnen zu denken und zu fühlen. Es sind eher die Mütter, die hier unheilvoll wirken. Dabei geht es über die Einmischung und das Reglement der Mutter in dem einen Fall weit hinaus. Sie schläft mit dem Mann der Tochter, wozu natrürlich auch der Mann gehört, der mittut. Und im dritten Teil läßt sie zwei Frauen nicht zueinander kommen. Also sind doch die Mütter die Schuldigen für den Regisseur? Und wenn man es recht überlegt, ist ja auch der Mutter-Tochter-Konflikt vorrangig in dem Film, wo es um die Betreiber des Hotels geht. Ach was, der Mutter-Tochter-Konflikt, auch hier sind es zwei Mutter-Tochter-Konflikte.
Ehe wir unsere Filmkritik zu MAL VIVER hier hineinkopieren, noch die Bemerkung, daß es eigentlich eines dritten Filmes bedurft hätte. Denn für ein Hotel ist ja wesentlich, wie die Hotelbetreiber und das Hotelpersonal mit den Gästen kommunizieren, bzw. vice versa. Dazu kommt es aber in beiden Filmen kaum. Die einen bleiben unter sich, die anderen auch.
Und das schrieben wir über MAL VIVER
Berlin (Weltexpresso) – Ja, wie man leben sollt, ich krieg’s nicht raus, in meinem Leben nicht…, sang vor Jahrzehnten Wolf Biermann und spricht die Grundfrage von Leben an, eben auch, ob wir nur Gefüge von anderen sind, oder es uns möglich machen, ein eigenes Leben zu führen.
Wenn man nicht nur das eigene Leben, sondern ein Hotel zu führen hat, potenzieren sich die Probleme, wie es der weiblichen Fünferriege geht, die einen großen Hotelkomplex mit einem weiten geschwungenen Schwimmbad im Stil der 50er Jahre betreiben. Mit dem Blick über das Bad beginnt es und wir lernen schnell, daß es langsame Einstellungen gibt, denn unser Blick hat Zeit, auch die Ränder zu erforschen, was über das Bad hinausgeht, obwohl die Augen immer wieder vom sich bewegenden Wasser angezogen werden, wo Blätter hineinfallen, die mit dem großen Netz herausgefischt werden. Denn ein solches Schwimmbad ist teuer zu unterhalten.
In einem solchen Hotel fällt zudem viel Arbeit an und es gibt große Unterschiede in der Art der Arbeit, ob ich beispielsweise chic gekleidet an der Rezeption die Gäste empfange oder in der Küche den Abwasch mache. Letzteres stimmt so nicht, denn natürlich gibt es Hotelpersonal, aber auch dieses zu koordinieren fordert immense Aufmerksamkeit. Und wer Kind von Hoteleignern war, der weiß um die ewige Kränkung, daß jeder Gast besser behandelt wird als die eigenen Kinder, wobei sich das ‚besser‘ in der Zeit und der Zugewandtheit ausdrückt.
Jetzt geht es eigentlich um das Überleben des Hotels, es fällt an allen Ecken zusammen, die menschlichen Beziehungen sind es schon lange. Wenn man die langen Flure entlang geht, wirken die weiten räumlichen Abstände wie die emotionalen zwischen den Menschen. Auf jeden Fall zwischen Mutter und Tochter, hier zwischen Mutter Piedade (Anabela Moreira) und der sie anklagenden Salomé (Madalena Almeida). Hinzu kommt die Kommentare, die Einmischung der anderen, die sowieso immer alles besser wissen. Doch die Arten der Kommentare sind spezifisch und auch, wie einzelne darauf reagieren.
Zwischen den heftigen Wortwechseln gibt es ruhige und sehr lange Bildeinstellungen, so daß die heftigen Worte mit der Stille und der Weite der Anlage in einen Dialog treten.
Eigen ist, daß Regisseur und Drehbuchschreiber João Canijo nicht Partei ergreift, sondern ein komplexen Geschehen abbildet, wo der Zuschauer manchmal durchaus eingreifen will. Denn die Streitpunkte und jeweiligen Argumente kennt man, es sind ewige menschliche Grundkonflikte, die je nach Interessenlage vorgebracht werden. Aber, sagt der Film, es gibt auch ein GENUG!
Können die ‚Menschen im Hotel‘, wie der interessante Roman von Vicky Baum lautete, der allerdings den Gästen galt, diese GENUG sehen und hören? Oder wurde es überhaupt nicht ausgesprochen? Auf jeden Fall gibt es auf Seiten der stets damenhaft auftretenden und die Gäste empfangenden Piedade eine Entscheidung, die alles verändern wird.
Der Film ist sehr portugiesisch heißt es und in Portugal die große Nummer. Das, wofür das portugiesische Kino wie Literatur und Musik bekannt sind, Saudade – die Übersetzung lassen wir gleich, da wir mindestens zehn Begriffe aufzählen müßten – als Begleiterscheinung zum Leben, trifft der Film in meinen Augen nicht. Hier geht es nicht um Wehmut und Weltschmerz, hier geht es ums Überleben.
Foto:
©berlinale.de
Info:
Stab
Regie João Canijo
Buch João Canijo
Kamera Leonor Teles
Darsteller
Anabela Moreira (Piedade)
Rita Blanco (Sara)
Madalena Almeida (Salomé)
Cleia Almeida (Raquel)
Vera Barreto (Ângela)