Christoph Hochhäusler
Berlin (Weltexpresso) – Was mich angezogen hat an BIS ANS ENDE DER NACHT ist der Splitter im Auge des Protagonisten. Robert ist blind für sich und andere, gefangen in Widersprüchen. Seine Beziehungen: gescheitert, der Weg zurück: verbaut; ein Mann auf der Flucht vor seinen Gefühlen, die ihn auch im falschen Leben, als verdeckten Ermittler, bald einholen. Schon zu Beginn des Films ist er ein Wrack, das mühsam aufgetakelt werden muss.
Halb aus Verachtung für sein deviantes Begehren, halb aus Respekt für seine manische Kraft, soll er mit der trans* Frau Leni ein Paar spielen, um einen Kontakt anzubahnen. Leni hat man dafür aus dem Gefängnis „ausgeliehen”, mit dubiosen Versprechungen. Die Polizei will einem Online-Drogenhändler das Handwerk legen, Robert soll die Organisation infiltrieren, Leni für ihn bürgen. Also spielen die beiden „Beziehung”, und Robert hasst die Rolle, und hasst Leni, und macht ihr das Leben zur Hölle, aber irgendwann stolpern sie in einen anderen Rhythmus – und verlieben sich, für den Augenblick. Mehr werden kann darf daraus nicht, glaubt Robert, der sich fürchtet, seine Sinne sind verwirrt, und er ist mit seiner Verwirrung nicht allein.
Victor, das kriminelle Zielobjekt, lernt Robert vertrauen, und weil er die Gefühle der Anderen klarer als die eigenen sieht, bringt er Robert unverhofft auf den richtigen Pfad – im falschen Leben. Ein Mehrfrontenkrieg der Gefühle entbrennt, in dem jede Entscheidung mindestens eine Seite gefährdet.
Ich wollte einen Film machen, der hitzig ist, schmerzhaft, rau, ein Melodram mit deutscher Popmusik, langen Brennweiten und einer Schärfentiefe auf Messers Schneide. Einen Film, in der die Krise der Männlichkeit als Oper aufgeführt wird, aber zugleich ein „Außen” sichtbar wird. Das richtige Leben im Falschen, und umgekehrt: Florian Plumeyers Buch ist ein dunkles Spiegelkabinett, in dem sich der Held wieder und wieder den Kopf stößt. Relief bekommt der Charakterkopf durch eine atemlose Kriminalgeschichte, die keine Eskalation scheut.
Schon lange wollte ich tiefer ins Genre, und tiefer in einen Charakter vordringen. Gleichzeitig beschäftigen mich Identitäts- und Täuschungsgeschichten seit jeher, von FALSCHER BEKENNER bis DIE LÜGEN DER SIEGER. Ich habe deshalb das Gefühl, mit diesem Film „etwas Neues fortzusetzen”.
CHRISTOPH HOCHHÄUSLER (REGIE)
Christoph Hochhäusler, geboren 1972 in München, ist Regisseur, Autor und Publizist. Seine bislang sechs abendfüllenden Spielfilme waren mehrfach im offiziellen Programm der Filmfestspiele in Cannes (FALSCHER BEKENNER, 2005, UNTER DIR DIE STADT, 2010) und Berlin (MILCHWALD, 2003, SÉANCE, 2009, EINE MINUTE DUNKEL, 2011, BIS ANS ENDE DER NACHT, 2023) vertreten und wurden vielfach ausgezeichnet (u.a. Grimmepreis Spezial, Günther-Rohrbach-Preis, Kunstpreis Berlin, Drehbuchpreis München, Deutscher Fernsehpreis, Romy u.a.). Er ist Mitbegründer (1998) und seither Mitherausgeber der Filmzeitschrift „Revolver”. Von 2017 bis 2021 war er „Leitender Dozent Regie” an der Deutschen Film- und Fernsehakademie, Berlin (DFFB).
Filme (Auswahl): MILCHWALD, 2003, FALSCHER BEKENNER, 2005, SÉANCE, 2009 (Kurzfilm, Teil des Omnibusfilms DEUTSCHLAND 09), UNTER DIR DIE STADT, 2010, EINE MINUTE DUNKEL, 2011 (Teil des Drei-Filme-Projekts DREILEBEN. Die beiden anderen Filme stammen von Christian Petzold und Dominik Graf), DIE LÜGEN DER SIEGER, 2014, BIS ANS ENDE DER NACHT, 2023.
Foto:
©Verleih
Info:
Stab
Regie Christoph Hochhäusler
Buch Florian Plumeyer
Kamera Reinhold Vorschneider
Darsteller:
Timocin Ziegler (Robert Demant)
Thea Ehre (Leni Malinowski)
Michael Sideris (Victor Arth)
Ioana Iacob (Nicole Gilly)
Rosa Enskat (Monika Sterz)
Aenne Schwarz (Nadia Saric)
Gottfried Breitfuß (Pawel Kaiser)
Sahin Eryilmaz (Armin Strauss)
Ronald Kukulies (Thomas Benck)