Redaktion
Paris (Weltexpresso) - WELCOME VENICE ist eine interessante Mischung aus einer Familiengeschichte und der Lagunenstadt Venedig, hier vor allem den Wassern um sie herum, die in einem diffusen Licht stimmungsvoll wirken, die aber im Herbst oder gar in Winterstürmen eine Düsternis und Kälte verbreiten, die so gar nicht mit den heiteren Gondelbildern von Venedig übereinstimmen. Ein Film, der das echte Venedig zeigt, keine Donna Leon Verfilmung.
Drei Brüder gibt es, deren Familie ein Fischerhaus auf der Giudecca besitzt, die dritte, die größte der Inseln Venedigs, auf der die meisten der ‚normalen‘ Venezianer wohnen, aber auch die beiden feinsten Hotels an den jeweiligen Enden liegen. Man spürt eine Spannung, als die drei unterwegs zum Fischen sind und der ausgleichende Bruder tot zu Boden fällt. Nun sind sie nur noch zwei, denen das Fischerhaus gehört, das aber alleine Pietro (Paolo Pierobon) bewohnt, das aber Alvise (Andrea Pennacchi) an einen zwielichtigen Immobilienhai verkaufen möchte, die die ganze Stadt Venedig zu einem reinen Touristenort machen möchten – um viel Geld zu verdienen.
Pietro dagegen möchte wohnen bleiben, wo die Familie immer wohnte. Das ist auch praktisch, wenn man Tag für Tag "moeche", die typischen Krebse der Lagune, fischen will. Wir erleben, wie er so bescheiden lebt und emsig arbeitet wie es schon seine Vorfahren und Vorvorfahren taten. Das hat etwas Ewiges, dieses Fischen, denn wo Meerwasser ist und Menschen, kommt es dazu. Für diese Bestandsaufnahme ist Andrea Segre, ursprünglich Dokumentarfilmer, der Richtige. Seine Bilder sind atmosphärisch und eben nicht auf das Hochglanzvenedig gerichtet, sondern die diffuse Stadt am und im Meer, wo das Licht ständig wechselt und der Nebel eher dazugehört als die Sonne.
Wir werden nun Zeugen, wie Alvise alles und alle, seine Frau, schwangere Tochter etc. in die Waagschale wirft, um Pietro zu überzeugen, daß ein Verkauf auch sein Leben leichter macht, denn wie hart das Leben eines Fischers, hier sind es Krebse, ist, zeigt der Film sehr deutlich. Aber Alvises Überredungsversuche scheitern alle, bis der Film einen Kontrapunkt setzt, der es in sich hat. Wir sind ja vom amerikanischen Kino gewohnt, daß in Filmen die Geschichten in allen Details erzählt werden, linear, wo keine Fragen offen bleiben. Hier aber wird Pietro, den aus dem Boot in die Lagune gestoßenen Bruder Alvise, von dem wir wissen, daß er nicht schwimmen kann, in letzter Sekunde retten. Logisch ginge das so weiter, daß Alvise aus Dankbarkeit auf den Verkauf des Hauses, auf das er übrigens alles gesetzt hat, längst hochverschuldet ist, verzichtet, damit Pietro darin wohnen bleiben kann. Aber psychologisch gibt Pietro nach, zieht auf’s Festland nach Mestre, einen Stadtteil Venedig, und das verkaufte Haus wird zu einem Schmuckstück für den Fremdenverkehr. Doch, als die ersten Touristen, es sind immer Amerikaner, eintreffen, da....diese Bilder kann man nicht beschreiben, das muß man selber sehen.
Man konnte in Frankfurt anläßlich des italienischen Filmfestivals VERSO SUD im Dezember 2022 den Film sehn und Marco Pettenello kennenlernen, der zusammen mit dem Regisseur Andrea Serge das Drehbuch schrieb. Es ist immer interessant, mit denen, die Filme machen, über ihre Arbeit an und mit den Filmen zu sprechen. Gerade Drehbuchautoren sind ja die, die fertige Filme besonders streng anschauen, denn es geht nicht nur um’s Drehen, sondern ein Film entsteht eigentlich erst beim Schneiden. Und wenn ein Regisseur Ko-Autor ist, hat der Mitschreiben es auch nicht leicht. So war das Frage-Antwort-Spiel von Franco Montini, der aus dem zuständigen Ministerium aus Rom gekommen war und Marco Pettenello auf jeden Fall interessant, blieb aber doch stark im Psychologischen und auch bei Äußerlichkeiten. Es war Montini wichtig, daß der Film die Partei des Fischers ergreife, ein Film müsse aber unparteilich sein. Das war für den Drehbuchautor leicht zu widerlegen, denn die Behauptung stimmt einfach nicht. Filme dürfen parteiisch sein, aber daß wir zum Fischer halten, ist erst einmal nicht formal Partei ergreifen, sondern hat mit dessen harten Arbeitsbedingungen zu tun, die im Morgengrauen bei Wind und Wetter beginnen. Bruder Alvise dagegen macht sich wichtig, führt dauernd Gespräche, um gewinnbringend das Elternhaus zu verkaufen. Arbeiten sehen wir ihn nicht. Nie.
Daß es aber im Kern bei diesem Film um die Auseinandersetzung von Kapital und Arbeit geht, die an den beiden Brüdern die menschlichen Beispiele findet, hat mir erst danach der Drehbuchautor mit einem Griff an seine Stirn bestätigt. Denn der Fischer arbeitet noch selbst, aber Alvise will und wird das Kapital arbeiten lassen, das er durch den Verkauf des Hauses erwirtschaftet hat. Manchmal sind Filme klüger als die, die sie gemacht haben.
Foto:
©Verleih
Info:
Stab
Regie: Andrea Segre
Drehbuch: Marco Pettenello, Andrea Segre
Kamera: Matteo Calore
Schnitt: Chiara Russo
Ausstattung: Leonardo Scarpa
Musik: Theo Tehardo
Produktion: Francesco Bonsembiante für Jolefilm
Darsteller:
Piero: Paolo Pierobron
Alvise: Andrea Pennacchi
Pieros Tochter: Anna Bellato
Alvises Frau: Giuliana Musso
Alvises Tochter: Sara Lazzaro
Toni: Roberto Citran
Tonis Frau: Ottavia Piccolo