ludwig2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. August 2023, Teil 9

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es ist eine alte Geschichte. Wenn sich die Leute alle an Dich, den potenten reichen wichtigen Macho heranschmeißen, dann nimmst Du diejenige, die das nicht tut war, stärker wahr. Wenn diejenige noch dazu eine schöne, ach nein, nicht herkömmlich schöne, aber kraftvoll lebendige, eigenständige, körperlich vitale Frau ist,, dann bist Du froh, daß Du den gesellschaftlich und sexuell diktierten Puppentanz nicht mitmachen mußt, läßt Dich gerne darauf ein, ob Du nun als Geschäftsmann Edward Lewis (Richard Gere) in PRETTY WOMAN heißt, oder ob Du Ludwig XV. (1710-1774) bist, König von Frankreich (Johnny Depp), auf Schloß Versailles geboren und gestorben.

jeanneDiesen elektrischen Zungenschlag des Augenblicks erleben wir mit, wenn Jeanne (Maïwenn ) beim öffentlichen Empfang bei Hofe das erste Mal dabei ist, wozu es nötig war, den Grafen du Barry (Melvile Poupaud) zu heiraten, damit sie bei ihrer Vorstellung vor König und Hofgesellschaft laut als JEANNE DU BARRY angekündigt werden kann, die Heirat ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, denn der gehörnte Ehemann hat etwas davon, wenn seine offizielle Ehefrau die Geliebte des Königs wird, was geschieht.

Mit unserem Vergleich soll gesagt sein, daß dieser Film zwar die äußeren Gegebenheiten, Kostüme und gesellschaftliche Regeln am Königshof, historisch einhält und damit auch den Popanz des Rokoko, dieser Spätform barocker Prachtentfaltung, bedient: was insbesondere an den opulenten weiblichen Roben und Perücken als Farben- und Formenrausch filmisch brilliert, daß dieser Film aber nicht ein Historienspektakel sein will, sondern die Kraft, die List, die Entschlossenheit einer Frau vorführen will, die hier nicht Vivian Ward (Julia Roberts) ist, sondern Jeanne; Lust verkaufen sie beide und wenn man sie ungern als Huren bezeichnet, so doch als Lebedamen, die von ihrem Körper und ihrem Sein leben.

Regisseurin Maïwenn die gleichzeitig ihre Hauptdarstellerin ist, macht das hinreißend und ist eine ungebundene freie Frau, die körperbewußt agiert. Und wenn man sich auf diese Konstruktion einläßt, daß nämlich die ungeteilte und zunehmend drängende Aufmerksamkeit des Königs vor allem Jeannes Unkonventionalität geschuldet ist, dann hat man in diesem Film einen Heidenspaß, einen kindlich anarchischen König zu erleben, der endlich mal kichern darf, wenn er den albernen Rückwärts-Bückling im Trippelschritt vor dem König beim Verlassen des Zimmers, vor seiner Geliebten selber exerziert. Wir lachen mit.

Da gibt es viele Szenen, wo wir Hofleben anders wahrnehmen als sonst, wo aus sozialen Rollen menschliche Verhältnisse werden und wir den, ja man muß erneut sagen, kindlichen Spielen der beiden gerne zusehen. Genauso interessant sind natürlich die Reaktionen der institutionalisierten Hofgesellschaft, die sich das Maul zerreißt, was da abgeht. Das gilt für die männlichen Hofschranzen und politischen Würdenträger, die allesamt von bekannten französischen Schauspielern dargestellt werden, wie auch das Heer der Hofdamen, die ihre Haupteigenschaft walten lassen: das Intrigieren. Klar, daß hier eine männliche und eine weibliche Meute auf die angesetzt wird, die gegen die Regeln verstößt: eine Jagd auf Jeanne. Auch gegenüber dem König empfinden die um ihre Regeln gebrachte Hofgesellschaft Wut, aber für deren Ableitung gibt es keinen Spielraum: der absolute Herrscher ist tabu. Um so mehr kann und darf sich der gebündelte Zorn auf Jeanne richten.

ludwig uajpegNicht so hoch hinaus, es geht übel aus, heißt nach Wolf Biermann ein sibirisches Sprichwort mit kleinbürgerlichen Weisheiten. Da fliegt ein Vogel in die Freiheit, ganz hoch, wo es eiskalt wird, er erfriert und fällt zur Erde, direkt in einen noch warmen Kuhfladen. Da kommt eine Katze daher, holt ihn heraus – und verspeist ihn. Deshalb gilt: nicht jeder, der Dich in Scheiße tunkt, ist Dein Feind, vor allem aber: nicht jeder, der Dich aus der Scheiße holt, ist Dein Freund.

So geht es Jeanne. Daß wir nicht mehr Mitleid mit ihr empfinden, wenn sie mit 50 Jahren 1793 von der Revolutionären durch die Guillotine geköpft wird, hat damit zu tun, daß sie letzten Endes nur ihr Privatspiel spielt, ein Leben lang ihre eigene Haut retten will und zu wenig die der anderen, die unterdrückt werden. Schließlich sind wir in den Vorzeiten der französischen Revolution, wo die ständigen Entwürdigungen von Menschen erst zu dieser führten. Wir erleben also zwar die ritualisierten Machtdemonstrationen der Herrschenden, aber nicht eine gegen die allgemeinen Verhältnisse agierende Jeanne du Barry. Das entspricht der geschichtlichen Wahrheit, aber nimmt dem Film seine tiefere Wirkung.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab

Regie.    Maïwenn
Drehbuch.    Maïwenn, Teddy Lussi-Modeste, Nicolas Livecchi
Original Musik   Stephen Warbeck

Besetzung

Jeanne du Barry.            Maïwenn
Louis XV.                        Johnny Depp 
La Borde                        Benjamin Lavernhe
Le Duc de Richelieu       Pierre Richard
Le Comte du Barry        Melvil Poupaud 
Le Duc d’Aiguillon         Pascal Greggory
Adélaïde                        India Hair
Victoire                          Suzanne de Baecque
Louise                           Capucine Valmary 
Le Dauphin                   Diego Le Fur
Marie-Antoinette          Pauline Pollmann