die zweiCarte Blanche der Alexandra Maria Lara zu im Kino des DFF Frankfurt, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ist der zweite Film der Zehnerauswahl und diesmal sind Alexandra Maria Lara und ihr Ehemann und Filmpartner Sam Riley in diesem Film schon da, um gutgelaunt über vom Zustandebringen des Films und den Dreharbeiten zu berichten. Da waren die beiden, die sich bei den Dreharbeiten von CONTROL (2007) kennengelernt hatten, schon verheiratet und es ist ihre vierte gemeinsame Arbeit. Riley ist in England ein sehr bekannter Schauspieler, ein echter Star und in diesem Film das Schwarze Schaf der Familie.

Das erzählte er vor dem Film mit Vergnügen: tolle Schauspieler, tolle Geschichte!, wie überhaupt die Dreharbeiten kurz, geldknapp und toll gewesen waren, weil Regisseur und Drehbuchschreiber Ben Wheatley etwas Besonderes ist. Jeder drängt sich, bei seinen Filmen mitzuspielen, auch wenn wenig zu verdienen ist. Selbst Schminken, also Maske, und Frisieren mußte man selber. Und die Kostüme? Die brachte man sich aus dem eigenen Kleiderschrank mit. Ein typischer Ensemblefilm, für den nur 14 Drehtage möglich waren.

Beide Schauspieler, im Film ist Riley der ‚Besondere‘, wofür auch seine deutsche Freundin (Lara) spricht, Bruder Colin der brave, langweilige Sohn mit Kindern, schwärmen geradezu vom Regisseur, der so beliebt bei Schauspielern ist und mit dem zusammen eine Gruppendynamik abgeht, die dann im Film zum intensiven Zusammenspiel führt.

happaDie Handlung kennen wir alle. Eine Familienfeier zu Neujahr. Colin Burstead (Neil Maskell), der sich als Familienguru fühlt, hat ein echtes Landhaus für den Jahreswechsel angemietet und nach und nach lernen wir nicht nur die Ankommenden kennen, sondern auch ihre sozialen und Psychostrukturen. Muß die Mutter immer eine besondere Rolle spielen oder ist ihr Hinfallen nur ein echtes Versehen, daß der Vermieter, der Essen und Trinken ausrichtet, nachvollzieht, um herauszufinden, ob man bei der Hausschwelle wirklich fallen muß. Köstlich, wenn er dann selber am Boden liegt. Auf jeden Fall wird Colins Mutter umsorgt, liegt auf der Couch mit verletztem Bein.

Nach und nach kommen die anderen Geschwister, Onkel und Anverwandte, die alle, das auf jeden Fall, eine Menge Alkohol konsumieren. Es kommt einem vor, als ob das Trinken das Familiäre ausdrückt, so gemeinschaftlich wird es ausgeübt. Wer mit wem und um welche Konflikte es geht, ist hier nicht weiter interessant. Familie eben mit Eifersüchteleien und Rangablaufen. Boß auf jeden Fall ist Colin, man sieht ihn selbstzufrieden die Schar überblicken.

Doch dann kommt, kommt er überraschend?, der kleine Bruder David (Sam Riley), der aber eigentlich der Große ist, welterfahren mit dem besonderen Etwas, wofür auch spricht, daß er seine deutsche Freundin mitbringt, die Davids Familie am Silvesterabend nun kennenlernt – und sich wundert! Es geht hin und her und dann gibt es einen emotionalen Höhepunkt, als David ans Klavier tritt, spielt und dazu singt. Auf einmal spürt man Familie. Doch dies wird noch gesteigert, als seine Freundin aufgefordert wird, ein Lied zu singen, ein deutsches Lied. Schon zuvor hatte sie auf die Frage von Urs Spörri (DFF), der die Reihe der Carte Blanche genauso betreut wie WAS TUT SICH – IM DEUTSCHEN FILM?, nach ihrem Lied von den Dreharbeiten berichtet, als sie auf einmal aufgefordert wurde, sich ein Lied auszusuchen, das sie dann mit Klavierbegleitung auch singt.

Schauspieler singen nicht einfach eigen ausgesuchte Lieder. Da gibt es Musikexperten, die so etwas auswählen, aber nicht bei Ben Wheatley! Nach Rücksprache mit ihrer Agentin, den die meisten aktuellen Lieder kosten Gebühren, wählte sie das wirklich alte deutsche Volkslied: DIE GEDANKEN SIND FREI, das von Hofmann von Fallersleben in die heutige Form gebracht wurde. Für ein Volkslied braucht man keine ausgebildete Singstimme. Alexandra Maria Lara macht das richtig gut, denn das Lied hat in dieser aufgestauten Familienatmosphäre eine geradezu dramaturgische Funktion:

1. Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten,
sie fliehen[Anm. 1] vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen,
es bleibet dabei:[Anm. 2]
die Gedanken sind frei.

2. Ich denke, was ich will,
und was mich beglücket,
doch alles in der Still,
und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren
kann niemand verwehren,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.

3. Ich liebe den Wein,
mein Mädchen vor allen,
sie tut mir allein
am besten gefallen.
Ich bin nicht alleine
bei meinem Glas Weine,
mein Mädchen dabei:
die Gedanken sind frei.

4. Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke;
denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
die Gedanken sind frei.

5. Drum will ich auf immer
den Sorgen entsagen
und will mich auch nimmer
mit Grillen mehr plagen.
Man kann ja im Herzen
stets lachen und scherzen
und denken dabei:
die Gedanken sind frei.

(Ob sie die dritte und fünfte Strophe auch gesungen hat, erinnere ich mich nicht mehr. )
Auf jeden Fall ist das Lied eine Antwort auf diese Familiensituation, in der sie wie ein Insekt bestaunt wird. Auch wenn, da sie ja auf Deutsch singt, die Familie den Gehalt nicht richtig versteht, wird sie nach dem Singen auf andere Weise von der Familie akzeptiert.

So etwas wie Gemeinsamkeit ist entstanden und einer ausgelassenen Tanzszene kommen sich die Familienmitglieder näher. Am nächsten Morgen bei der Abreise erleben wir einen gestauchten Colin. Er hatte sich den Familienabend doch etwas anders vorgestellt. Er war es doch, der alles in Gang gesetzt hatte, aber David mit seiner deutschen Freundin hat ihm die Schau gestohlen. 

Der britische Film lief als Deutschlandpremiere, also auf Englisch ohne Untertitel.

Foto:
leider kein Foto der beiden Mitspieler Lara und Riley aufzutreiben, darum die Vorstellung des Films  im DFF sowie Plakat
©Redaktion

Info:
Happy New Year, Colin Burstead (2018)
OriginaltitelHappy New Year, Colin Burstead
Regie und Drehbuch Ben Wheatley
Darsteller
Neil Maskell,Joe Cole, Hayley Squires, Bill Paterson, Charles Dance, Sam Riley, Alexandra Maria Lara
Musik Clint Mansell
Genre
Komödie Drama

gesehen am Samstag, 2. September