beide manner SWYL.tvSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 14. September 2023, Teil 1

Redaktion 

Paris (Weltexpresso) - Der Film VOLL IM LEBEN beginnt im Club Med und zeigt die Jugend von Tridan, ihrer Figur. Stammt die Idee für die Geschichte von einem wirklichen Ausflug in solch ein Feriendorf?

 

Das ist in der Tat der Fall. Während ich mich mit meinen Kindern im Club Med aufhielt, unterhielt ich mich mit dem Manager des Restaurants. Er war französischer Herkunft, hatte aber nie in Frankreich gelebt. Seine Eltern lernten sich im Club kennen – wie in dem Film.  Die Mutter wurde schwanger und arbeitete auch nach seiner Geburt dort weiter. Er folgte schließlich der Familientradition. Ich fragte im Scherz: „Aber über das Leben da draußen weißt du eigentlich nichts, oder?" Das war natürlich übertrieben, aber ich hatte sofort das Gefühl, dass dies ein guter Ausgangspunkt für ein Drehbuch sein würde. 

 

Sie mussten die Details etwas ausmalen, um die Geschichte zu konstruieren. 

Es galt herausfinden, warum Tridan in 50 Jahren noch nie einen Fuß außerhalb des Clubs gesetzt hatte und schließlich, warum er nun plötzlich diesen Schritt wagte. Ein Film über einen Gentil Organisateur (G.O.), der direkt aus dem Club Med kommt und keine Ahnung von der Außenwelt hat, ist ein klassisch komisches Vehikel, würde aber nicht über die volle Länge tragen. Sobald die erwartbaren Gags und Situationen erschöpft sind, müssen wir uns auf eine echte Geschichte einlassen. Da kam mir die Idee, dass Tridan sich auf die Suche nach seiner Jugendliebe machen könnte. Ein kleines Mädchen, das eines Sommers seinen Weg kreuzte und sein Leben für immer veränderte. 


Basiert das auch auf persönlichen Erinnerungen? 

Während der Dreharbeiten zu Die Sch’tis in Paris – Eine Familie auf Abwegen tauchte meine Mutter mit meiner Kindheitsliebe und einem Lächeln im Gesicht am Set auf, wie um mir zu sagen ‘Schau mal, wen ich gefunden habe‘. Es stellte sich heraus, dass die beiden Nachbarinnen sind. Ich war froh, Valérie wiederzusehen, aber es war auch ein wenig unangenehm. Das hat meine Mutter zum Lachen gebracht! Ich war acht Jahre alt, als wir uns kennenlernten, und ich bin mir dessen bewusst, dass es allen so geht. Also stellte ich mir vor, dass, obwohl die Touristen im Club jede Woche wechseln, Tridan nie die Begegnung mit Violette vergessen hat. Tridan hat nichts aus seinem Leben gemacht. Er hat sich vollkommen seinem Job und anderen Menschen verschrieben, aber dabei sich selbst vergessen. Jetzt will er plötzlich die Frau finden, zu der das kleine Mädchen geworden ist. 

 

Im Gespräch berichten fast alle G.O.s, wie schwierig es ist, in ein normales Leben außerhalb des Clubs zurückzukehren, insbesondere in Bezug auf die Beziehungen zu anderen Menschen. Das sieht man sehr gut, in dem Moment als Tridan anfängt zu weinen, wenn er einen Stadtbus wegfahren sieht, oder wenn er die Leute in der U-Bahn begrüßt, als er in Paris ankommt.

 Ja. Die G.O.s, die ich im Rahmen der Vorbereitung traf, bestätigten das alle. Es fällt ihnen schwer, in die Realität einer Stadt zurückzukehren, mit öffentlichen Verkehrsmitteln und den anonymen Beziehungen. Club Med ist kein Partner des Films, aber ich musste ihre Zustimmung einholen. Ich beruhigte sie schnell, indem ich betonte, dass mich vor allem die Menschlichkeit meiner Figur interessierte. Tridan ist freundlich und kontaktfreudig. Er ist ein liebenswerter Kerl, der die Welt entdeckt, wie sie heute ist. Sobald er den Club verlässt, sieht er sich einer egoistischeren, kühleren Gesellschaft gegenüber als der geschlossenen Blase eines Feriendorfes. Tridan grüßt natürlich jeden, den er trifft. Aber das gilt auch für Nordfrankreich. Man grüßt die Menschen, auch wenn man sie nicht kennt! Ich habe das als Kind so praktiziert, aber die Welt war damals vermutlich weniger feindselig und auch weniger beängstigend als heutzutage. 

 

Tridan mag etwas vom wirklichen Leben abgekoppelt sein, aber das macht ihn noch nicht zu einem kompletten Außenseiter.

 In diese Falle wollte ich nicht tappen. In den ersten Entwürfen des Drehbuchs hatte ich mir vorgestellt, dass Tridan keine Ahnung vom Internet hat. Aber das hätte ihn zu schrullig und unbeholfen gemacht, fast geistig nicht auf der Höhe, und es funktionierte nicht. Nach und nach habe ich alles rausgenommen und wir sehen jetzt sogar, wie er seine Reise online vorbereitet, sich Bilder von Paris anschaut und plötzlich automatisierte Warnungen vor Unruhen bekommt, basierend auf den Algorithmen seiner Suchanfragen. In diesem Moment entdeckt er den bedrohlichen und unangenehmen Aspekt des Netzes. Er hat dennoch eine etwas simple, aber unschuldige Vision von der Liebe. Als er Louis, seinen Halbbruder, kennenlernt, begegnet er einem Mann, der eine Reihe von Beziehungen unterhält. Mit einer Wischgeste springt er zur Nächsten. Ich erinnere mich an eine junge Frau, die mich im Olympia besuchte und mir berichtete, dass sie allein gekommen war, weil ihr Date, mit dem sie auf einer dieser Seiten gematcht hatte, während des gesamten Abendessens vor der Show surfend mit der Suche nach anderen Frauen verbracht hatte! Das erschien mir unglaublich, aber in Gesprächen mit 30- bis 40-Jährigen, die diese Apps häufig nutzen, wurde mir klar, dass dies häufiger vorkam. 

 

Von allen Figuren in Ihren Filmen ist dies sicherlich die unschuldigste, manchmal fast poetischste Rolle, deutlich zu sehen bei der Taube, die Tridan zu Louis nach Hause bringt.

 Ich wollte, dass es dem Film und der Geschichte dient. Die Kostüme spielen auch eine Rolle, zum Beispiel das zeitlose Outfit, das er am Anfang trägt, ein Bohème-Look, den sich meine Kostümbildnerin Laetitia Bouix ausgedacht hat. Und die Taube ist auch Tridans Art, ein wenig seines ursprünglichen Selbst in eine Großstadt wie Paris zu transportieren. Der Vogel als Symbol verdeutlicht, was die beiden Charaktere trennt, Louis sieht eine Ratte und Tridan antwortet: „Nein, Ratten haben keine Flügel." Auf diese Idee bin ich auch dank meiner Mutter gekommen. Einer ihrer Freunde aus Quebec hob auf einem Parkplatz eine Taube auf, die halbtot, unter dem Reifen eines Autos lag. Er pflegte sie gesund, steckte sie in eine mit Baumwolle ausgeschlagene Kiste, brachte ihr wieder das Laufen bei und filmte sie mit seinem Telefon. Er wollte ihr wieder das Fliegen beibringen, aber die Taube ist gestorben! Tridan behandelt Vögel wie Menschen, im Gegensatz zu Louis, der die Menschen, die in seinem Mietwagen fahren, als Mittel sieht, um so viel Geld wie möglich zu verdienen und seine Schulden zu begleichen. Während Tridan die Menschen fragt, wie sie sich fühlen, was sie mit ihrem Leben anfangen, macht Louis einfach weiter und verschwendet keinen Gedanken an seine Mitmenschen. Er ist härter geworden, vermeintlich um sich zu schützen, aber jeden Tag sinkt er ein bisschen tiefer. Tridan versucht, ihn davon zu überzeugen, wieder zu träumen und an das Leben zu glauben. Am Ende lernen sie beide voneinander. Louis stellt ihn der Welt vor und Tridan hilft ihm, mehr Empathie für andere Menschen aufzubringen. 

 

Louis könnte in der Tat ein düsterer Charakter sein, abgesehen von seinem chicen Auto hat er so ziemlich alles verloren.

 Und genau deshalb zerstöre ich es im Film! Louis steht für den Nachhall bestimmter Erlebnisse und Beobachtungen, basierend auf meinem ersten Besuch in Paris. Wie schwer es ist, in einem Dienstmädchenzimmer zu leben und noch Schlimmeres. Ich hatte einen Freund, der auch eine One-Man-Show realisieren wollte, der es aber nicht geschafft hat. Irgendwann lebte er in seinem Auto. Über seine Scheidung, die komplizierten Beziehung zu seinem Sohn und seine Geldsorgen ist Louis völlig gefühllos geworden. Die überraschende Ankunft seines Halbbruders wird nicht dazu beitragen, die Dinge besser zu machen. Er versucht sogar, seine zwanghaften Beziehungen zu Frauen, insbesondere zu Roxane, zu benutzen, um Tridan loszuwerden, indem er ihn glauben lässt, sie sei Violette. 

 

Sie haben Kad Merad die Rolle des Louis gegeben. Damit bringen Sie das Duo aus Willkommen bei den Sch‘tis und Super-Hypochonder wieder zusammen. Es ist 10 Jahre her, dass Sie das letzte Mal zusammengearbeitet haben. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

 Ich musste einen Grund dafür finden, warum Tridans Familie nie nach Frankreich zurückgekehrt ist. Ich stellte mir vor, dass sich sein Vater (Maxime Gasteuil) in Paris etwas geleistet hatte. Er schwängerte eine Frau und als eine Art Widergutmachung hinterließ er den Schlüssel zu seiner Wohnung. Dann ward er nie wieder gesehen. Als ich daran dachte, dass Tridan irgendwann herausfinden würde, dass er einen Halbbruder hat und der auch noch in der Wohnung ihres Vaters lebt, konnte ich mir nur noch Kad Merad in der Rolle vorstellen. 

 

Ich gehe davon aus, dass Sie um jeden Preis vermeiden wollten, Material von Ihrer früheren Zusammenarbeit wieder aufzuwärmen, ist das richtig?

 Absolut. Deshalb wurde ihre Beziehung von Anfang an als sehr konfliktreich dargestellt. Ich wollte einen fruchtbaren Boden schaffen, um fantastisch komische Situationen zu entwickeln, die trotzdem völlig anders sein sollten als bei den Vorgängern. Kad und ich haben eine großartige Chemie, es ist fast wie Alchemie. Und die ermöglicht uns, Gags während des Drehs zu entwickeln. Die Szene, in der ich ihm meine Zahnpasta in den Nacken spucke, stand nicht im Drehbuch. Ich nahm einen Alka-Seltzer und etwas Sprite in den Mund, damit es wie verrückt schäumte, und als ich sah, wie Kad sich über das Waschbecken beugte, da konnte ich nicht anders! Natürlich haben wir uns beide weggeschmissen, also mussten wir noch einen zweiten Take drehen, in dem wir die Dialoge und die Situation improvisierten. Diese spontanen Momente funktionieren, weil wir uns so gut kennen. Ständig versuchen wir, einander zu überraschen, aber auch uns dabei zu helfen, das Beste aus uns herauszuholen. 

 

Ihr Duo wird zu einem Trio, als Charlotte Gainsbourg in der Rolle der Roxane auftaucht und Tridan meint, in ihr seine Jugendliebe Violette wiederzuerkennen. Sie ist eine großartige Besetzung!

Beim Schreiben stellte ich mir Schauspielerinnen vor, mit denen ich schon zusammengearbeitet hatte, aber Fünfzigjährige, die im komischen Fach auftreten können, sind ziemlich schwer zu finden. Ich wollte auch etwas Neues ausprobieren mit dieser so wichtigen weiblichen Rolle in der Geschichte. Wir mussten ein echtes Trio bilden. Wie es der Zufall will, hatte Charlotte 8 Rue de l’Humanité gesehen und mochte ihn wirklich. Also bekam ich diese süße Nachricht: „Du hast schon Yvan (Attal) engagiert, wann arbeiten wir zusammen?" Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich nicht getraut, ihr die Rolle anzubieten. Also habe ich das Drehbuch umgeschrieben, um es für Charlotte passender zu machen, und das hat die Geschichte tatsächlich bereichert. Charlotte ist so strahlend, gleichzeitig sanft und schüchtern, und sie vermag es, Situationen plötzlich umzudrehen und sich etwas unwiderstehlich Lustiges einfallen zu lassen. Ihre Figur ist eine manchmal exzessive Fünfzigjährige, die tief in ihrem Inneren Angst hat, allein in einer Großstadt wie Paris zu landen, wegen des Umgangs der Gesellschaft mit Frauen ihres Alters. Es war mir wichtig, dieses Thema in eine Komödie einzubauen. 

 

Sie ist unglaublich. Der Drehplan sah vor, dass sie mich gleich in ihrer ersten Szene in der Wohnung anspringt und sich als Violette ausgibt. Es ist eine sehr komische Szene und ein Schlüsselmoment im Film, insofern als dass Roxane inmitten des Gerangels zwischen Tridan und Louis die Oberhand gewinnt und die Bedingungen diktiert. Der Blick in Kads Augen, als er begreift, dass er die Kontrolle verloren hat! Das Großartige an Charlotte ist, dass sie sich wirklich etwas traut. Als sie das Drehbuch las, überzeugte sie mich davon, Details zu ergänzen, die ich versucht hatte, zu beschönigen, weil ich dachte, sie könnten Charlotte verschrecken! Sie ist die perfekte Verkörperung dieser Figur, die sowohl stark als auch auf sich allein gestellt ist. In ihr spiegelt sich das Verhältnis der Gesellschaft zu Frauen und zwischen den Geschlechtern. Dann überwindet Tridan plötzlich den äußeren Schein und nimmt Roxane wirklich wahr. Das wird auch sein Leben verändern. 

 

Wie haben Sie es hinbekommen, Charlotte Gainsbourg einen gleichberechtigten Platz an der Seite ihres symbiotischen Duos zu verschaffen?

 Darauf achte ich immer sehr genau. In den Szenen im Pure Café habe ich dafür gesorgt, dass Tatiana Goussef, die ich seit meinem 20. Lebensjahr kenne, in der Rolle der Besitzerin, genauso eine Chance bekommt, zu glänzen wie Charlotte, Kad und ich. In der Regel mache ich zuerst eine Drehbuchlesung mit allen Schauspielern, um zu sehen, ob die Chemie stimmt. Es ist nie die endgültige Version des Dialogs, aber ich bekomme so die Möglichkeit, zu sehen, was funktioniert und was nicht. Das ist keine leichte Übung für den Autor, aber es ist nötig, damit man Überarbeitungen vornehmen kann und schließlich für das Shooting bereit ist. Da ich bei meinen Filmen sowohl Schauspieler als auch Regisseur bin, hält mich das ganz schön auf Trab! Also ja, ich habe dafür gesorgt, dass Charlotte sich wohlfühlt, aber sie passte auch wunderbar in das Team. Am Vorabend der ersten gemeinsamen Szene von uns dreien, lud ich die beiden zum Abendessen in ein kleines japanisches Restaurant mit Tischen im Freien ein, um die Dinge aufzulockern, falls es noch Bedarf geben sollte! 

 

VOLL INS LEBEN ist ihr achter Film als Regisseur. Wenn man ihn betrachtet, wird deutlich, wie wichtig die technische Seite der Dinge geworden ist, die Beleuchtung, die Kulissen, die Kostüme. Jede dieser Abteilungen ist unerlässlich.

 Ich wollte, dass der Film schön anzusehen ist. Heutzutage habe ich mehr Ressourcen und Zeit zur Verfügung als zu Beginn meiner Karriere, aber die Liebesgeschichte im Mittelpunkt des Films, verlangte danach umso mehr. Ich glaube, ich bin handwerklich besser geworden, obwohl es mir schwerfällt, das zu beurteilen. Ich habe Willkommen bei den Sch’tis vor einiger Zeit wieder gesehen und fand ihn wirklich charmant. Können Sie sich das vorstellen? Wir haben damals noch auf 35mm gedreht. Ich erinnere mich daran, wie ich mit dem Filmmaterial und dem Wetter gerungen habe! Ich hatte schon viel Wert auf die Beleuchtung gelegt, aber es stimmt, ich bin stolz darauf, was wir bei VOLL INS LEBEN erreicht haben. Dass meine Sets nicht wie Sets aussehen, war mir schon immer wichtig! Ich bin mir insofern nicht sicher, ob ich im Laufe der Jahre technisch besser geworden bin, oder ob ich jetzt einfach weiß, was ich nicht will. Sobald ich ein packendes Thema gefunden habe, über das ich schreiben kann, benötige ich für die Ausarbeitung der Geschichte und die Charakterentwicklung weniger Zeit als früher. Ich denke auch, dass man die Schönheit eines Motivs erst richtig wahrnimmt, wenn die Emotionen der Figuren voll zum Tragen kommen. Während des Drehs schreibe ich neue Szenen und berate mich ständig mit meinen Gewerken(Pierre Renson für die Sets, Glynn Speeckaert für Kamera und Laetitia Bouix für die Kostüme). Sie alle haben Spitzenarbeit geleistet, ganz zu schweigen vom Schnitt, der natürlich genauso wichtig ist. 


Foto:
© Verleih

Info:
Drehbuch & Regie Dany Boon

Besetzung 
Tridan Lagache                Dany Boon
Louis                               Kad Merad
Roxane                            Charlotte Gainsbourg
Didier Lagache                Maxime Gasteuil
Francoise Lagache          Caroline Anglade
Francoise Lagache (70)   Aurore Clément

Abdruck aus dem Presseheft