franzDie Filme von Noémie Lvovsky vom 24. bis 29. November 2023 im Berliner Kino Arsenal

Birgit Kohler

Berlin (Weltexpresso) - Noémie Lvovsky (*1964) hat sich einen Namen als Regisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin gemacht. Mit ihrem vielseitigen Talent ist sie seit 30 Jahren eine prägende Figur des französischen Gegenwartskinos – sie schreibt Drehbücher für ihre eigenen Filme und die Filme anderer (u.a. von Valeria Bruni Tedeschi, Arnaud Desplechin und Philippe Garrel), tritt als Schauspielerin in Nebenrollen auf (z.B. bei Bertrand Bonello und Alain Guiraudie) und führt nicht zuletzt selbst Regie.

Mit der Handschrift einer Autorin macht sie populäres Kino, das sich nicht auf E(rnst) oder U(nterhaltung) festlegen lässt. Vielmehr changieren ihre Filme zwischen Komödie und Tragödie, mit einer gewissen Nähe zum Boulevard und zum Theater – es wird ausdrücklich gespielt. Naturalismus ist ihre Sache nicht, wie der hyperreale, intensive Einsatz von Farben bei Kostümen und Dekor unterstreicht. Dank ihres sicheren Gespürs für tragikomische Effekte und virtuose Wechsel von Tonlagen und Stimmungen sind Lvovskys Filme zugleich fröhlich und melancholisch, komisch und tragisch, albern und subtil, verspielt und nachdenklich. Der Stellenwert der Musik in ihrem gesamten Werk ist groß, häufig inszeniert sie ausgelassene Tanzszenen. Ebenso wiederkehrende Motive sind das Interesse für den Übergang von der Adoleszenz zum Erwachsensein und das Thema Familie, insbesondere Mutter-Tochter-Beziehungen. Auf beeindruckende Weise gelingt es ihr dabei, den Erfahrungshorizont von Frauen und Mädchen auszuloten. Die persönliche, um nicht zu sagen autobiografische Note der Filme ist unverkennbar, ohne ausgestellt zu werden.

Das Arsenal zeigt im Rahmen der Französischen Filmwoche, die den aktuellen Film La grande magie als Berliner Premiere präsentiert, eine Werkschau der früheren Arbeiten von Noémie Lvovsky, vom fulminanten Debüt OUBLIE-MOI (Vergiss mich, F 1994), das nach einem Drehbuchstudium an der Pariser Filmhochschule La Fémis entstand, bis zu ihrem persönlichen Film DEMAIN ET TOUS LES AUTRES JOURS (Tomorrow and Thereafter, F 2017), in dem sie nach CAMILLE REDOUBLE (Camille Rewinds, F 2012) erneut als Regisseurin, Koautorin und Hauptdarstellerin fungiert.

Das Kino  freut sich,  Noémie Lvovsky am 26. November persönlich im Kino Arsenal begrüßen zu können. 
FAUT QUE ÇA DANSE! Noémie Lvovsky F/CH 2007


Programm

Fr, 24.11., 20h Eröffnung
DEMAIN ET TOUS LES AUTRES JOURS Tomorrow and Thereafter Noémie Lvovsky Frankreich 2017 OmeU 95‘
Seit der Trennung ihrer Eltern lebt die neunjährige Mathilde allein mit ihrer labilen Mutter (Noémie Lvovsky), die zunehmend den Bezug zur Realität verliert. Das kleine Mädchen hat gelernt, mit den psychischen Problemen und wunderlichen Aussetzern seiner Mutter umzugehen. Wenn diese erst spät am Abend in einem weißen Brautkleid nach Hause kommt oder ad hoc für einen vermeintlichen Umzug packt, tut ihre Tochter alles, um sie zu schützen und eine Trennung zu vermeiden. Neben dem besorgten Vater (Mathieu Amalric) wird eine sprechende Eule zu Mathildes Freund und Ratgeber. Humor, Zärtlichkeit, bunte Farben und märchenhafte Elemente haben in dem von großer Zuneigung für die Figuren getragenen und Lvovskys Mutter gewidmeten, persönlichen Film genauso Platz wie tragische Momente, Schmerz und Verlorenheit.

Sa, 25.11., 19.30h
PETITES Noémie Lvovsky Frankreich 1997 OmeU 88‘
Emilie, Stella, Inès und Marion sind unzertrennlich. Die 13-jährigen Freundinnen teilen die Freuden und Nöte der beginnenden Pubertät und das erwachende Interesse für Jungs. Sie ertragen Demütigungen im Turnunterricht gemeinsam, erfinden alberne Streiche und merkwürdige Rituale, schwärmen für Mitschüler und Schauspieler und haben es zu Hause bei ihren Eltern nicht immer leicht. Ihre Imaginationen werden liebevoll in Szene gesetzt. In den knalligen Farben der 70er Jahre, mit Songs wie Ballroom Blitz, Can the Can und viel Wiener Walzer, widmet sich der Fernsehfilm voller Vitalität den Fantasien, Wünschen und Ängsten von jungen Mädchen. Sie besiegeln ihren Freundschafts-Bund mit Blut, ahnend, dass nichts so bleiben wird, wie es ist. Ihre Geschichte wird in LA VIE NE ME FAIT PAS PEUR (1999) weiterverfolgt.

Sa., 25.11., 21.15h
OUBLIE-MOI Noémie Lvovsky Frankreich 1994 OmdU 95‘
DIS-MOI OUI, DIS-MOI NON Noémie Lvovsky Frankreich 1989 OmeU 18‘
OUBLIE-MOI: Nathalie (Valeria Bruni Tedeschi), Mitte 20, kann nicht akzeptieren, dass ihr Ex-Freund Eric nichts mehr von ihr wissen will. Sie stellt ihm nach, in der Métro, vor seiner Wohnungstür und am Arbeitsplatz. Ihren aktuellen Freund Antoine, der sie liebt und mit dem sie zusammenlebt, lässt sie leiden, um ihn schließlich zu verlassen und sich vorübergehend dem Freund ihrer Freundin zuzuwenden. Rastlos hetzt sie durch Paris, stürzt sich kopfüber in die Verzweiflung und lebt ihr Unglück mit leidenschaftlicher Intensität. „There Is No Time“ singt Lou Reed. Die nervöse Energie der furiosen Performance von Valeria Bruni Tedeschi, fahrige Nahaufnahmen und natürliches Licht prägen Lvovskys Low-Budget-Langfilmdebüt, das die Malaise alternder Jugendlicher der 90er Jahre zeichnet, die sich scheuen, Entscheidungen zu treffen. Dazu zeigt das Arsenal DIS-MOI OUI, DIS-MOI NON, Noémie Lvovskys kurzen Abschlussfilm an der Pariser Filmhochschule. Cécile (Valeria Bruni Tedeschi) ist unentschlossen. Kaum hat sie etwas gesagt, äußert sie das Gegenteil dessen, um sich nicht festlegen zu müssen – es ist ein ständiges Hin und Her. Sie hat eine Freundin (Emmanuelle Devos), einen Freund und einen Liebhaber, der wiederum der Freund ihrer Freundin ist. Der Film wirkt wie eine Vorstudie zu OUBLIE-MOI.

So 26.11., 20h, Zu Gast: Noémie Lvovsky

CAMILLE REDOUBLE Camille Rewinds) Noémie Lvovsky Frankreich 2012 OmeU 115‘
Ob es der Uhrmacher (Jean-Pierre Leáud) war, der die Zeitreise in Gang setzte? Camille (Lvovsky in ihrer ersten Hauptrolle), eine Schauspielerin Anfang 40, deren Mann Eric sie soeben nach 25 Jahren wegen einer Jüngeren verlassen hat, findet sich plötzlich in ihr Teenagerdasein im Jahr 1985 zurückversetzt. Von ihren Eltern, Schulfreundinnen und Lehrern wie eine 16-Jährige behandelt, hat sie den Körper und das Bewusstsein der erwachsenen Frau. Im Wissen um den Fortgang der Dinge versucht sie, die Weichen ihres Lebens anders zu stellen, sich den Avancen von Eric zu entziehen und den frühen Tod ihrer Mutter zu verhindern. Das Setting (Musik, Kleidung und Gegenstände der 80er Jahre inklusive) sorgt für Komik – in die sich Wehmut mischt. Im Wechsel der Tonlagen entsteht in Form einer Tragikomödie eine so unterhaltsame wie nachdenkliche Reflexion über die Wunden, die das Leben mit sich bringt.

Mo 17.11., 20h
FAUT QUE ÇA DANSE! Let’s Dance Noémie Lvovsky Frankreich/Schweiz 2007 OmeU 100‘
Im Zentrum dieser turbulenten Komödie mit Originalmusik von Archie Shepp steht eine Familie exzentrischer Charaktere: Der Vater Salomon Bellinsky (Jean-Pierre Marielle), ein Holocaust-Überlebender, sprüht mit seinen 80 Jahren vor Lebenslust, nimmt Stepp-Unterricht, tanzt vor dem Fernseher mit Fred Astaire in Top Hat und findet eine passend exaltierte Partnerin (Sabine Azéma). Seine Noch-Ehefrau (Bulle Ogier) hat sich in einem sanften Wahnsinn eingerichtet, getragen und beschützt von einer Haushaltshilfe (Bakary Sangaré). Die 40-jährige Tochter Sarah (Valeria Bruni Tedeschi) fungiert als Erzählerin und versucht, ein gewisses Maß an Vernunft in der Familie aufrecht zu erhalten. Als sie unerwartet schwanger wird, zeitigt das einen ins Bild gesetzten Alptraum, eine kuriose Geburt und eine weitere Tanzszene.

Di 28.11.,20h
LES SENTIMENTS Gefühlsverwirrungen Noémie Lvovsky Frankreich 2002 OmeU 94‘
Das Ambiente ist beschaulich: Der Arzt Jacques (Jean-Pierre Bacri) lebt mit seiner Frau (Nathalie Baye) und zwei Kindern in einem Haus im Umland von Paris. Er steht kurz vor der Pensionierung und übergibt die Praxis an seinen jungen Nachfolger François (Melvil Poupaud), der mit seiner Frau Edith (Isabelle Carré) ins Nachbarhaus einzieht. Die freundschaftlichen Beziehungen gedeihen – bis sich Jacques in Edith verliebt. Die altbekannte Konstellation einer unmöglichen Leidenschaft wird in eine intensive Farbpalette getaucht, die an Resnais oder Demy erinnert, und mit viel Musik versehen – nicht zuletzt durch einen Chor, der wiederholt auftritt, um Gefühle und Geschehen singend zu kommentieren. Das Melodrama mit Witz und Starbesetzung erwies sich als großer Publikumserfolg.

Mi 29.11., 20h

LA VIE NE ME FAIT PAS PEUR I’m Not Afraid of Life Noémie Lvovksy Frankreich/Schweiz 1999 OmdU 111‘
Coming of Age in den 70er Jahren: In Erweiterung zahlreicher Szenen aus PETITES verlängert LA VIE NE ME FAIT PAS PEUR drei Jahre später die Geschichte von Emilie, Stella, Inès und Marion bis zum Abitur und darüber hinaus. Jetzt sind sie Teenager und kämpfen mit ihren Komplexen, es geht um Verliebtheit, „das erste Mal“, Enttäuschungen und Rache. Sie machen Ferien in Italien, Drogen kommen ins Spiel und eine ernste Krankheit. Die eine ist latent aggressiv, die andere überkorrekt, die dritte verträumt und die vierte überfordert ihre psychisch kranke Mutter (Valeria Bruni Tedeschi). Alle versuchen, eine Identität für sich zu erfinden. Mit ihnen schwankt der ganz aus der Perspektive der Mädchen erzählte knallbunte Film zwischen euphorischem Übermut und Verzweiflung, heiterer Anarchie und Traurigkeit. Ihre Freundschaft prägt die vier Komplizinnen – doch die Frage „Was ist das Glück?“ muss jede für sich beantworten.

Foto:
OUBLIE-MOI Noémie Lvovsky Frankreich 1994 OmdU 95‘
©Verleih

Info:
Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung des Institut français.