Lila Avilés
Ciudad de Mexico (Weltexpresso) – Ich wollte mit ,Tótem‘ weiter daran arbeiten, das alltägliche Leben aus aus einer sehr intimen Perspektive zu zeigen, in das Innere der Dinge zu schauen. Ich mag Mikrokosmen, die Essenz der Dinge, Matrjoschkas, Pyramiden, Dinge, die andere Dinge enthalten. Da es im Film zentral um die Vorstellung des Zuhauses geht, war die Beschränkung auf einen Ort die direkte und logische Antwort auf die schlichte Vorgabe des Films. Es ist nicht so, dass ich eine „Nur-eine-Location-Regisseurin“ sein möchte, es hat sich einfach so ergeben. ,Tótem‘ ist eine Geschichte über Familie und Freunde.
Deshalb war mir auch klar, dass ich die Figuren und die Art ihrer Kommunikation in den Mittelpunkt stellen musste. Ich liebe die Umgangssprache. Selbst wenn es sich nur um Geplapper handelt, liegt darin bereits ein eigener Gehalt an sprachlicher Transformation, das Bewusstsein, dass Worte wichtig sind, Worte, die zu Mikrouniversen innerhalb der Sprache selbst werden. In den meisten Familien gibt es eine Art von Kommunikation, die fast wie eine eigene Sprache ist. Man spricht mit seinem Vater nicht auf dieselbe Weise wie mit seiner Mutter oder wie mit seinem Hund. Diese Vielfalt fasziniert mich, auch wenn sie sehr schwer zu übertragen ist. Mich interessiert die Energie der Worte, die man nie verliert.
Jedes Mal, wenn eine Tierart oder eine Sprache verloren geht, verlieren wir ein Teil des größeren Puzzles, wir geben eine Denkweise auf. Das Genom einer Spezies ist eine Art Handbuch. Wenn die Spezies ausstirbt, geht das Handbuch verloren, egal ob es sich um eine Ameise oder ein Nashorn handelt. Wir vergessen, dass wir Tiere sind. Heute kommt das Aussterben so häufig vor, dass wir uns offenbar daran gewöhnt haben. Leben und Tod sind eine Dualität, ebenso wie Weisheit und Ignoranz, Innen und Außen, Tag und Nacht, Sonne und Mond, Licht und Dunkelheit, Yin und Yang. Zeit und Dauer sind eine weitere Dualität, die mich interessiert. Die gemessene Zeit und unsere Wahrnehmung ihres Vergehens sind sehr verschieden, sogar wenn beide die gleiche Abfolge von Ereignissen beschreiben. Wir alle erleben Tage, die uns wie Monate vorkommen, und Tage, die in Sekunden vergehen. Dabei wird unsere Zeiterfahrung oft von den Räumen und Orten geprägt, die uns umgeben. Ich denke oft, dass das Konzept des Raum-Zeit-Kontinuums, das die Relativitätstheorie postuliert, einen intuitiven, konkreten Sinn hat. Da sie unser Zeitempfinden beeinflussen, liegen die Orte, die wir bewohnen, nicht nur außerhalb von uns.
Wir müssen diese Orte auch in uns selbst finden, mit all unseren Unvollkommenheiten und unabhängig von Geschlecht, Religion, Land, Status, Veranlagung ...
Diesen wirklichen Wohnsitz von uns zu finden, ist ein Prozess der Subtraktion, der Reduzierung und Konzentration auf das Wesentliche. Wie Tolstoi gesagt hat: „Die Wahrheit gewinnt man, wie das Gold, nicht durch ihr Wachstum, sondern indem man alles abwäscht, was nicht Gold ist.“ Auch wenn die Wahrheit selbst schwer zu fassen erscheinen mag – wenn es um das Wesentliche geht, bin ich überzeugt, dass Cassavetes Recht hatte: „Bei allem geht es um Liebe.“
Info:
Stab
Regie Lila Avilés
Buch Lila Avilés
Kamera Diego Tenorio
Darsteller
Naíma Sentíes (Sol)
Monserrat Marañon (Nuri)
Marisol Gasé (Alejandra)
Saori Gurza (Esther)
Teresita Sánchez (Cruz)
Mateo García Elizondo (Tonatiuh)
Juan Francisco Maldonado (Napo)
Iazua Larios (Lucía)
Alberto Amador (Roberto)