Quiet Girl1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. November 2023, Teil 2

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) – Die neunjährige Cáit (Catherine Clinch) soll zum Schuljahresende 1981 zu älteren Verwandten aufs Lands geschickt werden. Ihre Eltern haben bereits vier Töchter und die Mutter (Kate Nic Chonaonaigh) ist schon wieder schwanger. Dabei lebt die Familie in ärmlichen Verhältnissen. Ihre Mutter Mária vergisst schon mal, ihren schulpflichtigen Töchtern die Pausenbrote für die Schule zu machen. Der Vater (Michael Patric) verprasst gerne das Geld dem Spielen und in der Kneipe. So bleibt wenig Geld für zahlreiche hungrige Mäuler.


Cáit selbst ist ein schweigsames Mädchen, das im Haus und in der Schule wenig beachtet wird und noch Bettnässerin ist. Auch in der Schule hat sie Probleme, den Stoff in Lesen und Rechnen zu verfolgen. Daneben wird sie auch immer wieder einfach umgerannt.

Der Vater bringt das Mädchen zu den entfernten Verwandten Eibhlín (Carrie Crowley) und Seán Cinnsealach (englisch: Kinsella) (Andrew Bennett) ihrer Mutter. Dabei benimmt er sich wie ein Rüpel und vergisst bei Wegfahren auch den Koffer mit Cáits Sachen aus dem Auto zu holen, so dass das Mädchen nur das schmutziges weißes Kleid hat, mit dem sie angekommen ist. Eibhlín gibt ihr einfach passende Kleidung aus einem Schrank in ihrem Zimmer, die in besserem Zustand sind ist als die, mit der sie zu ihr geschickt wurde.

Die Cinnsealachs sind hart arbeitende Farmer, die es zu bescheidendem Wohlstand gebracht haben. Eibhlín kümmert sich behutsam und liebevoll um Cáit und gibt ihr Geborgenheit und Nähe. Das führt dazu, dass das Kind schon bald nicht mehr ins Bett nässt. Eibhlín zeigt ihr auch die kleine, geheime Wasserstelle im Wald, zu der sie täglich mit einem Eimer hinlaufen, um Wasser zu holen.

Allerdings bleibt das Verhältnis zu Seán distanziert, auch wenn er immer mal wieder kleine Süßigkeiten für sie liegen lässt, bis Eibhlín ein paar Tage verreisen muss und Seán sich von dem Mädchen bei der Arbeit mit den Tieren helfen lässt. Dadurch öffnen sich das ruhige Kind und der zurückhaltende Mann ganz langsam. Als Seán sie eines Tages zum Briefkasten am Ende einer langen Allee schickt, sieht man wie das Mädchen befreit lächelt und langsam beginnt, ihre eigenen Stärken zu erkennen.

Quiet Girl2Auch wenn Mrs Cinnsealach davon gesprochen hat, dass es in dem Haus keine Geheimnisse gäbe, spürt
Cáit doch, dass dort eine Stille herrscht, die auf einen dauernden Schmerz seiner Bewohner hindeutet. Es dauert aber noch einige Zeit, bis Cáit nach einen Gespräch mit der klatschsüchtigen Nachbarin dahinter kommt, was das traurige Geheimnis dieser Familie ist.

Doch dann erhält Cáit von ihrer Mutter einen Brief, dass ihr Brüderchen geboren wurde und dass sie wieder zurück nach Hause kommen kann. Eibhlín und Seán müssen sie zurück zu ihrer Familie bringen, deren Freude über ihre Rückkehr sich aber in Grenzen zu halten scheint…


″The Quiet Girl″ ist der erste irische Film, der 2023 für einen Oscar als bester internationaler Film nominiert wurde (da in überwiegenden Teilen des Films nicht Englisch, sondern Gälisch gesprochen wird). Er hat dann allerdings gegen den deutschen Film ″Im Westen nichts Neues″ verloren. Neben sieben Auszeichnungen bei den Irish Film and Television Awards 2022 erhielt der Film z.B. Nominierungen als Bester fremdsprachiger Film und für das Beste adaptierte Drehbuch bei den British Academy Film Awards 2023. Kate McCullough erhielt beim Europäischer Filmpreis 2022 eine Auszeichnung mit dem Excellence Award für die Beste Kamera.

Das Drama basiert auf der Kurzgeschichte Foster von Claire Keegan, die zuerst im Februar 2010 in zwei Teilen in der Printausgabe des New Yorker veröffentlicht wurde. Eine erweitere Fassung erschien dann im gleichen Jahr als eigenständiges Buch. Regisseur des Films ist Colm Bairéad in seinem Spielfilmdebüt; er hat auch selbst das Drehbuch verfasst.

″The Quiet Girl″ ist eigentlich eine sehr einfache Geschichte, in der nicht allzu viel passiert, doch es ist ein sehr gelungenes Beispiel für einen Film der leisen Töne. Blicke und Gesten genügen, um die Geschichte eines jungen Mädchens zu erzählen, das während der Sommerferien ihr deprimierendes Zuhause verlassen darf und erst langsam im Haus ihrer Pflegeeltern auftaut. Dabei verändert sich aber nicht nur Cáit, sondern auch Eibhlín und Seán Cinnsealach hilft der Besuch über einen eigenen Schicksalsschlag hinweg zu kommen.

Die Veränderung Cáits wird auch vom Regisseur bildlich dargestellt, denn in dem Moment als sie zum Briefkasten rennt, verbreitert sich das Bildformat des Films. Hier zeigt sich endlich der wahre Befreiungsschlag für das Kind. Die junge
Catherine Clinch spielt die Veränderung Cáits ganz hervorragend vom vernachlässigten Mädchen, das in der erstickenden Enge der düsteren und dreckigen Hütte mit physisch und finanziell überforderten Eltern lebt, zu einen Kind, das durch die liebevolle Fürsorge und Zuneigung eines kinderlosen Paares sich zaghaft öffnet und dadurch sowohl ihre schulischen als auch persönlichen Probleme hinter sich lassen kann. Dabei spiegelt sich Cáits Unglücklichsein wegen ihrer häuslichen Verhältnisse in der stummen Trauer ihrer Pflegeeltern Eibhlín und Séan über ihren verstorbenen Sohn. Beide Pflegeeltern werden wundervoll zurückhaltend von Carrie Crowley und Andrew Bennett gespielt.

Quiet Girl3Insgesamt erzählt Regisseur Colm Bairéad in seinem ruhigen irischen Familiendrama mit klaren, kühlen Bildern von der emotionalen Vernachlässigung und der Kraft der bedingungslosen Liebe. Dabei ist der Film aber bei aller Emotionalität nie kitschig, sondern er
entwickelt in ruhigen Bildern das Trauma eines Kindes und ansatzweise auch das eines Ehepaares. Das wunderschönes Drama liefert zum Schluss zwar ein offenes, dafür aber ein extrem hoffnungsvolles Ende. Das alles macht ″The Quiet Girl″ zu einem Geheimtipp, den man unter keinen Umständen im Kino versäumen sollte.

Foto 1: Catherine Clinch als Cáit © Neue Visionen Filmverleih GmbH
Foto 2: Carrie Crowley als Eibhlín Cinnsealach, Catherine Clinch als Cáit und Andrew Bennett als Seán Cinnsealach © Neue Visionen Filmverleih GmbH
Foto 3: Carrie Crowley als Eibhlín Cinnsealach und Catherine Clinch als Cáit © Neue Visionen Filmverleih GmbH

Info:
The Quiet Girl (Irland 2022)
Originaltitel: An Cailín Ciúin
Genre: Drama, Romanverfilmung
Filmlänge: ca. 95 Min.
Regie: Colm Bairéad
Drehbuch: Colm Bairéad nach der Kurzgeschichte
Foster von Claire Keegan (2010)
Darsteller:
Catherine Clinch, Carrie Crowley, Andrew Bennett, Michael Patric, Kate Nic Chonaonaigh u.a.
Verleih: Neue Visionen Filmverleih GmbH
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 16.11.2023