tochter clauVERSO SUD 29 vom 24. November bis 6./30. Dezember im Kino des DFF Frankfurt, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – 26 Jahre nach dem Eröffnungsfilm LA RAGAZZA DI BUBE ist Claudia Cardinale nicht nur älter geworden, sondern zudem privat in einer anderen Situation. Darauf legt Claudia Squitieri, ihre Tochter, Wert, die zur Eröffnung der Hommage an ihre Mutter nach Frankfurt gekommen ist und sich diesen Film gewünscht hat. Dieser Film ist für sie ein Familienunternehmen: ihr Vater, Pasquale Squitieri führt die Regie und Claudia Cardinale spielt die Mutter Elena eines Drogenabhängigen, die zum Schluß des Films etwas Unerwartetes, etwas Großes tut.

Man merkt Claudia Squitieri, die den Film und die Begleitumstände vorstellt an, wie bewegt sie ist. Sie hält zudem die schauspielerische Leitung ihrer Mutter für die beste ihrer ganzen Karriere. Persönlich sind ihre Erinnerungen an die Dreharbeiten der Eltern, die sie als Elfjährige am Set mitbekam. Ihre intensive Einführung war insofern wichtig, als sie auf die spezifische Drogensituation Italiens um 1990 hinwies. Dies sei der erste Film gewesen, der das gesellschaftliche Problem beim Namen nannte: die Vernichtung einer ganzen Jugend durch Drogen und Aids, die in Italien wie gewollt erscheine. Denn dff1nach den Protesten der 68er, die sich in die Politik eingemischt hatten, bestand 20 Jahre später seitens des Establishments durchaus Interesse, daß die nächste Generation, eine apolitische Jugend, ihre Kreise nicht störe. Und damit seien gerade die Söhne der Arrivierten gemeint gewesen.  

Deshalb habe dieser Film wie ein Donnerschlag die gesellschaftliche Situation 1990 aufgedeckt. Der späte Zeitpunkt verwundert. So hatte in Deutschland spätestens der Film CHRISTIANE F. - WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO, der 1981 nach dem Buch von 1978 entstand, das mit 1973 beginnt, die tödliche Gefahr von Drogen für Jugendliche eindrucksvoll aufgezeigt. Film und Gegenstand waren hierzulande das Thema öffentlicher Diskussionen. Anders also in Italien, wo immerhin 1990 mit DIE MUTTER eine Klärung stattfindet, die eine gesellschaftliche Aufklärung in Gang setzt.

Der Film ist also inhaltlich wichtig. Aber ist er auch gut? Interessant, wie sich hier die Eindrücke und Urteile unterscheiden. Ich selbst fand ab irgendwann die Machart des Films aufdringlich, der ununterbrochene Mißbrauch der Musik (Rossinis STABAT MATER) als dramatischer Gefühlsbeschleuniger kitschig und die Rolle der Mutter, die hier als Heldin erscheint, im Verhältnis zu ihrem drogenabhängigen Sohn und ihrer taffen, aber kaum beachteten Tochter als mehr als fragwürdig.

Die Mutter negiert lange die Drogenabhängigkeit ihres Sohnes. Bekommt sie das wirklich nicht mit, wo doch die Tochter von ihrem Bruder als Junkie spricht? Oder verdrängt sie es? Damit ist Schluß, als er einen Zusammenbruch erleidet, im Krankenhaus gerettet wird, nach Hause kommt und unter dem Entzug so leidet, daß sie für ihn die illegalen Drogen besorgt und wegschaut, was mit ihm passiert. Bis es dffwieder so weit ist, er fast stirbt und vom Krankenhaus aus einen Entzug macht, der eigentlich erfolgreich war, aber durch die Umstände und Freunde wird er erneut abhängig. Nun wird es dramatisch, weil er die Mutter ausraubt und schließlich auf der Suche nach Geld seine Mutter zusammenschlägt, bis sie ihn mit dem Auto verfolgt und ….

Überfährt sie ihn oder nicht? Das ist gar nicht wichtig, denn Thema ist die Laxheit, das Wegschauen, die Selbsttäuschung, mit der die Mutter zuvor die Situation ihres Sohnes verleugnete. Unbedingt muß erwähnt werden, daß die alleinerziehende Mutter, der Vater ist schon lange tot, in einem sehr freundschaftlichen Umfeld lebt, wo insbesondere Männer der gutaussehenden Mutter immer wieder Hilfe anbieten, die sie annimmt..

Meine Kritik an diesem Film bezieht sich auf die Rolle der Mutter, die wie gesagt als Heldin erscheint, obwohl sie ihr Kind in den Abgrund wanken sieht, ihn noch darin unterstützt und als er erneut abhängig wird, nicht den Ärzten hilft, sondern erneut dem Sohn verzeiht, als er kommt, wo doch die Absprache mit der Drogenberatung war, daß sie ihn nicht einläßt und auf keinen Fall Geld gibt. Unmöglich ihr ganzes Verhalten, aber sicher typisch für die italienische Mama, die ihrem Filius zu Füßen liegt, während die Tochter, die alles für die Mutter tut, sich auch vom Bruder distanzieren kann, von der Mutter kaum beachtet wird. Insofern zeigt der Film ganz sicher typische italienische Verhältnisse, aber er kritisiert sie nicht, führt sie nicht vor, sondern baut in der Mutter eine Heldin auf. Außerdem problematisiert der Film nicht die Sucht der Mutter, die sich eine Zigarette an der anderen ansteckt. 

Andere sehen das ganz anders. Die finden die Mutter aufopferungsvoll, die zwar Fehler macht, aber im Großen und Ganzen positiv zu bewerten ist, weil sie schlußendlich die Kumpanei mit dem kranken Sohne aufkündigt.

Hauptsache, man kann über Filme diskutieren.

Fotos:
Claudia Squitieri, und Übersetzerin Marina Grones  
©Redaktion
Claudia Cardinale 
©Verleih

Info:
Der Film lief original auf Italienisch, leider nur mit englischen Untertiteln