Tobi Baumann
Berlin (Weltexpresso) - IDEE: Die Idee für 791 km habe ich schon ein paar Jahre mit mir herumgetragen. Ich war zwischenzeitlich drei Jahre aus der Regie ausgestiegen, um bei meinen Kollegen von Brainpool, wo ich künstlerisch aufgewachsen bin, noch einmal den kleinen Produzentenführerschein zu machen, und habe als Produzent „Pastewka“ und eine Netflix-Serie begleitet. Dabei habe ich immer auch Ausschau gehalten nach Ideen für mögliche neue Projekte.
Über Spiegel Online stieß ich bei Bento auf den Artikel einer jungen Journalistin, deren Zugverbindung wegen eines Herbststurmes ausgefallen war und die dann, von der Bahn mit einem Taxi-Gutschein ausgestattet, mit völlig Fremden von Dortmund nach Hamburg fuhr. In ihrem Artikel beschrieb sie die Fahrt, wie sie anfing, sich mit den anderen Menschen zu unterhalten, die allesamt nichts miteinander zu tun hatten und aus jeweils fremden Welten kamen. Diesen Erlebnisbericht fand ich sofort für eine Filmgeschichte spannend. Und damit war die Idee eigentlich auch schon da. Das Szenario ist realistisch, die Prämisse ist unbedingt glaubwürdig, zumal sich die Wettersituation in den letzten Jahren ja massiv weiter verschärft hat.
DREHBUCH
Ich habe mit der Entwicklung begonnen und nahm bei der Suche nach einem Drehbuchautor Kontakt mit Ger- not Gricksch auf, der sofort etwas mit dem Stoff anfangen konnte. Schon sein erstes Treatment traf voll bei mir voll einen Nerv, weil ich merkte, dass er denselben Ansatz hat wie ich. Mir war wichtig: Wenn ich fünf Leute in ein Taxi setze, will ich im Verlauf der Fahrt nicht nur etwas über diese fünf Menschen erfahren, sondern auch etwas über das Land, durch das sie fahren. Über uns. Jetzt. Als meine Zeit bei Brainpool endete wusste ich, dass ich diese Geschichte unbedingt mitnehmen will. Ich wollte sie nicht aus den Händen geben. Zum Glück wurde mir dieser Wunsch von Brainpool gewährt, und ich konnte damit zur PANTALEON gehen, die mein posi- tives Gefühl für den Stoff teilte.
ANLIEGEN
Uns war es ein wichtiges Anliegen, einen Film zu machen, der nicht noch weiter polarisiert sondern der vereint. Wir wollten eine Geschichte erzählen, die schlüssig und emotional bewegend aufzeigt, dass wir die Spaltung unserer Gesellschaft überwinden können, wenn wir miteinander statt übereinander reden. Das wollten wir aber machen, ohne didaktisch rüberzukommen, ohne ein Lehrstück zu sein. Wir wollen unterhalten, das Pub- likum mitnehmen. All die Dinge, die uns beschäftigen, wollten wir unterbringen und durch unsere Figuren verhandeln, ohne uns aber einfach nur daran abzuarbeiten. Ich möchte 791km gern einen „Empathiefilm“ nennen. Ich finde, das ist ein Genre, das wir gerade ganz gut gebrauchen können, denn die Empathie fürein- ander scheint uns zuletzt etwas abhandengekommen zu sein.
KONSTELLATIONEN
Relativ schnell haben sich Konstellationen ergeben. Als erstes stand die Figur Joseph fest, als unzufriedene Stimme, die immer Beschwerde trägt und mit vielen der Veränderungen im Land ein Problem hat. Joseph war schnell da, hat sich aber im Verlauf des Feilens an der Geschichte auch am meisten verändert. Einfach nur ein konservativer, nicht besonders weltoffener „Abgehängter“ wäre uns zu einfach gewesen. Bei allen Figuren war es uns wichtig, ob wir nun ihre Position teilen oder nicht, dass wir ihnen ganz nahekommen wollten. Wir wollten Verständnis vermitteln: Warum ist dieser Mensch so verletzt, warum ist er so enttäuscht, warum so gekränkt? Was ist der Grund dafür, dass er sich so verschließt und alles erst einmal blöd findet, was mit Ver- änderung zu tun hat? Woher kommt seine Angst, seine Ablehnung? Davon ausgehend wollten wir weitere Fi- guren zum Leben erwecken, die sich aneinander reiben. Relativ schnell stand für uns dann auch fest, dass wir verschiedene Generationen zeichnen wollen. Es war uns wichtig, möglichst viele unterschiedliche Perspektiven einzunehmen.
FIGUREN
Wir haben viel darüber nachgedacht, wer wo im Auto sitzen würde. Daraus ergaben sich dann fast zwingend die Figuren. Auf dem Beifahrersitz neben dem Fahrer Joseph sitzt Marianne. Sie ist zwar die gleiche Genera- tion wie er, als Frau wie auch als superliberale, weltoffene, vielgereiste Professorin aber der polarisierende Gegenpart Josephs. Sie verkörpert all das, was er zunächst eindeutig verachtet. Wir haben schnell gemerkt, es reicht nicht, sie einfach so als die mit der richtigen Meinung stehen zu lassen. Sie übertreibt es eben auch, ist auch auf eine Art egozentrisch und hat einen Punkt, an dem sich zeigt, dass nicht alles Weiß oder Schwarz ist. Bei Tiana und Philipp wiederum stehen andere Themen im Vordergrund. Sehr schnell ergab sich daraus ein Bild. Gernot ist es zu verdanken, dass unsere „außerirdische Figur“, wie wir sie nannten, ins Spiel gebracht wurde, eine Art blinde Passagierin, die einerseits ganz ungefiltert ausspricht, was ihr durch den Kopf geht und damit viele Konflikte selbst auslöst oder befeuert, andererseits mit ihrer kindlichen Naivität auch für Einheit sorgt, weil sie so klar und einfach denkt – womit sich dann auch noch ein persönliches Schicksal verbindet. Gernot hatte das absolut richtige Gespür dafür, dass diese Figur goldrichtig passen würde. Er hat mich richtig- gehend davon überzeugt, weil ich anfangs etwas skeptisch war und auch ein bisschen Angst vor einer so ex- tremen Figur hatte. Er hatte Recht, kann ich rückblickend sagen, weil man Susi einfach gerne zusieht. Und diese Figur vor allem auch Spaß macht und berührt, wenn sie von jemandem wie Lena Urzendowsky zum Leben erweckt wird. Mit ihr hat sich alles zusammengefügt.
SCHAUSPIELER
Es war nicht einfach, die Schauspieler so lange bei der Stange zu halten, weil doch viel Zeit ins Land strich, bis wir den Film auf die Beine stellen und endlich drehen konnten. Es bedarf einer gewissen Überzeugungsarbeit, dass ein Film mit fünf Figuren, die viel im Auto sitzen, ein echtes Kinoerlebnis für ein großes Publikum sein kann. Iris Berben hatte ich sehr früh angesprochen, und sie war auch sofort dabei, hatte gleich das richtige Gespür für ihre Figur. Wenn ich mit ihr sprach, merkte ich, dass wir absolut auf einer Wellenlänge lagen, dass sie Marianne genauso sah wie ich. Und dass wir mit ihrer Figur und dem ganzen Film auf dem richtigen Weg sind. Wenn man sie kennt, wie sie in der Öffentlichkeit auftritt, sich mit starker Meinung engagiert, dann ist sie genau die Richtige, um Marianne darzustellen. Sie war als Erste an Bord und konnte so miterleben, wie sich der Cast nach und nach füllte. Das nimmt an einem gewissen Punkt eine Eigendynamik an, weil sich herum- spricht, wer schon mit dabei ist und dass mit einem starken Drehbuch gearbeitet wird. Su wurde es hinten raus auf einmal ganz einfach. Mit jedem der Schauspieler gab es ein längeres Gespräch und dann war klar, dass man das miteinander machen wollte. Das hat sich schließlich durch die ganze Arbeit gezogen. Die Diskussionen, die wir während der Proben und im Anschluss beim Drehen geführt haben, waren für alle geprägt von dem gleichen Bedürfnis: über die Dinge zu reden, die Sachen auszusprechen, einander zuzuhören. Den Clash der Generationen hatten wir ja nicht nur mit den Figuren vor der Kamera, sondern auch bei den Schauspielern selber. Es herrschte riesiger Gesprächsbedarf über die vielen Themen, die auch im Film angerissen werden. Für alle war es ein bereichernder Prozess, weil wir das so weitergetragen haben. Es geht nicht darum, jede Position abzunicken. Es ist schon wichtig, Contra zu geben. Aber genauso wichtig ist es, auch andere Positio- nen erst einmal grundsätzlich gelten zu lassen. Es ist wichtig zuzuhören und das Gegenüber zu akzeptieren, sein Leben zuzulassen.
WORK IN PROGRESS
Die letzte Nacht haben wir auf einer Autobahn gedreht. Um fünf Uhr morgens kam ich zurück nach Köln. Da ist man viel zu aufgewühlt, um gleich ins Bett zu gehen. Ich habe mir dann auf YouTube die letzte Late Night Show von James Corden angesehen. Am Ende der Show hielt Corden eine berührende Rede, die mir sehr nah ging. Und je länger er sprach, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass er da auch irgendwie über uns spricht, über unseren Film. Es ging um genau das, um was es auch bei uns geht. Er hat gesagt: Jeder einzelne von uns ist ein „Work in Progress, und nur weil jemand anderer Meinung als Du ist, ist er nicht schlecht oder böse. Wir müssen so gut wir können nach dem Licht suchen und nach der Freude“. Sein zentraler Satz war: Wir alle haben viel mehr gemeinsam als uns unterscheidet. Seither versuche ich, mit diesem Satz auch 791 km zu beschreiben. Das war es, was uns am Herzen lag, uns auf den Nägeln brannte. Das soll hängenbleiben. Wir haben mehr, was uns verbindet, als was uns trennt. Das sollte man sich ab und zu ins Gedächtnis rufen. Spaltung und Pola- risierung bringt uns nicht weiter. Anderen Menschen vorzuschreiben, was sie zu denken haben, bringt uns nicht weiter, ausgenommen natürlich jegliche Art von antidemokratischem, rassistischem oder sexistischem Ge- dankengut. Aber wir müssen versuchen, einander wieder zu verstehen.
Fortsetzung folgt
Foto:
©Verleih
Info:
BESETZUNG
Marianne. Iris Berben
Joseph Joachim Król
Tiana. Nilam Farooq
Philipp. Ben Münchow
Susi. Lena Urzendowsky
Polizist Kevin. Langston Uibel
Polizistin Birgit. Barbara Philipp
STAB
Regie, Idee
Tobi Baumann
Drehbuch Gernot Gricksch
Abdruck aus dem Presseheft