Hanswerner Kruse
Frankfurt/Tokyo (Weltexpresso) - Die Feuilletons triefen vor Lob über das neue Werk von Wim-Wenders, wann gibt es denn schon mal solchen Einklang? „All diese typischen Wenders-Eigenschaften hat man seit seinen Filmen der siebziger Jahre nicht schöner gesehen“, beendet Daniel Kothenschulte seine Eloge in der Frankfurter Rundschau.
Nun, erinnern wir uns an die siebziger Jahre - es gab die verrückten Italo-Western oder die spannenden Krimis des französischen Film Noir. Und viele Kinogänger fanden damals Wenders-Filme einfach nur langweilig. Möglicherweise hat sich diese Einschätzung nach einem halben Jahrhundert geändert, aber schauen wir doch mal in diese so gepriesenen „Perfect Days“.
Ein Mann steht auf, rasiert sich, trinkt einen Kaffee, strahlt in den Morgenhimmel und kriecht in seinen Overall mit der Aufschrift „The Tokio Toilet“. Zu Eric Burdons „House oft he rising sun“ düst er fröhlich mit einem Firmenwagen durch die japanische Metropole und putzt gründlich verschiedene Toiletten im Tokioter Stadtteil Shibuya. Doch das sind keine versifften heruntergekommenen Klos wie wir sie kennen, sondern sehr unterschiedliche, aber immer luxuriöse Design-Gebilde. Sein jüngerer Kollege ist faul und ziemlich dumm, Hirayama (Kôji Yakusho) selbst jedoch lebensfroh und gewissenhaft. Im Beuyschen Sinne ist er tatsächlich ein Künstler, der an seinem Ort mit seiner Arbeit, an einer sinnvollen Welt mitarbeitet.
Liebevoll tröstet er einen verirrten kleinen Jungen, buddelt einen winzigen Baumableger aus, fotografiert das durch einen Baum fallende Licht mit einer altmodischen Kamera. Solche Bilder tauchen auch immer in seinen kurz angedeuteten nächtlichen Träumen auf, die die Tage zäsieren.
Auch die nächsten Morgende beginnen mit Hirayamas Routinen, doch kleine Überraschungen oder Unbilden geschehen. Er findet im Damenklo einen geheimnisvollen Brief. Sein Helfer will die wertvollen Audiokassetten seines Chefs verkaufen, um ein cooles Mädchen für sich zu gewinnen. Einmal hat das Firmenauto kein Benzin mehr. Nach einer Woche taucht bei ihm eine junge Frau auf, seine Nichte, die von zu Hause abgehauen ist. Flüchtig erfahren wir so von Hirayamas Familiengeschichte und erleben ihn kurzzeitig sehr traurig. Dennoch passiert nicht wirklich viel in diesen elf Tagen, an denen wir ihn begleiten, seine Rituale und seine Lebensfreude miterleben. Wie häufig in Wenders-Filmen sind die Bilder mit bekannten rockigen Klängen unterlegt: Patti Smith, Kinks, Lou Reed, der zum Abspann singt: „Oh, such a perfect day“, während Hirayama im fahrenden Auto lacht und weint.
Der Regisseur war mitten in die Dreh- und Nacharbeiten für sein gigantisches Werk „Anselm“ eingebunden, als ihn japanische Kollegen baten, einige Dokus über die von internationalen Architekten entworfenen Toiletten zu erstellen. Der Regisseur wollte aber lieber einen Spielfilm machen und hatte nur für 16 Drehtage Zeit. Dennoch gelang ihm ein berührender Streifen mit dokumentarischen Einsprengseln oder eine Dokumentation mit fiktiven Elementen (so Wenders selbst).
Der winzige Ausschnitt aus dem Leben des Kloreinigers Hirayama wird sehr langsam und würdevoll durch den Regisseur erzählt. Die Länge des Films, das Ungesagte, die Bilder, die fehlende Geschwätzigkeit (außer des jungen Helfers) haben eine meditative Wirkung auf uns Zuschauer. Es kommt weder Langeweile noch Müdigkeit auf, auch weil immer an den richtigen Stellen Routinen behutsam aufgebrochen werden und alltägliche Rituale nicht gelingen. Aber letztlich bleibt viel offen und wir Zuschauer kommen mit nur wenigen Infos aus dem Kino. Wenders vertraut der Geduld und dem Interesse des Publikums, das er mit seinem Werk in der Schwebe hält. Ja, „Perfect Days“ ist ein schöner, sehenswerter Film, aber man muss vorher wissen, auf was man sich einlässt: Dann hat man wirklich einen perfekten Tag...
Foto:
Hirayama und seine Nichte / Hirayama bei der Arbeit
© 2023 MASTER MIND Ltd.
Info:
„Perfect Days“, Japan 2023,
123 Minuten,
Filmstart 21. 12. 2023
Regie Wim Wenders
mit Koji Yakusho, Tokio Emoto, Arisa Nakano, Aoi Yamada, Yumi Aso u.a.