filmSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Februar 2024, Teil 16


Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was für eine erstaunliche Regisseurin, die seit HITLERJUNGE SALOMON von 1990 weltberühmt, heute einerseits für Hollywood gern gesehene Serien (HOUSE OF CARDS) dreht und dann immer wieder, einen Film nach dem anderen, über tief in Polen verborgene oder auch offenkundige Probleme so eindeutig politische Filme auf die Leinwand bringt, daß sich die alte herrschende und klerikale Schicht schaudernd abwendet und die von ihr verleumdete Regisseurin sogar zum Politikum machte. Nicht wenige sagen, daß ihr Film, ein knallharter faktenorientierter Spielfilm über das grausame und brutale Umgehen von Flüchtlingen durch polnische Grenzbeamten und Polizei für den Wahlsieg der jetzigen liberalen Regierung verantwortlich sei.

Der vorherige Film war den damaligen Machthabern natürlich lieber, auch wenn er unberechtigter Weise im Ausland ein Flop war. RED SECRETS – IM FADENKREUZ STALINS aus dem Jahr 2019 zeigt den Holodomor, wie der Sprachgebrauch über die Aushungerung der Bevölkerung der Ukraine und Polens durch sowjetische Politik lautet. Und davor war DIE SPUR im Jahr 2017ein wirklich feministisch durchtriebener Spaß, eine intelligenter und subversiver Film, die übrigens beide im Wettbewerb der BERLINALE standen.

Diesmal - Der Film hat sie Ereignisse vom Oktober 2021 bis Februar 2022 im Film nachgestellt, so daß der Schwarz-Weiß-Film über die unmenschlichen Verhältnisse an der weißrussischen-polnischen Grenze wie ein Dokumentarfilm wirkt, was auf der Grundlage von tatsächlichen Ereignissen intelligent und korrekt zum Drehbuch (Holland, Pisuk, Lazarkiewicz) wurde.

Hintersinnig mit dem gewissen politischen Etwas ist der Film von Anfang an. Denn er beginnt im Flugzeug der türkischen Linie, mit dem nach Belarus Flüchtlinge gebracht werden, damit sie die für sie von Weißrussen geöffnete Grenze nach Polen überqueren. Im Flugzeug werden sie beim Landen in Minsk von Belarus mit einer roten Willkommensrose begrüßt. Welch ein Zynismus, denn in Wahrheit dienen diese Flüchtlinge als „Wurfgeschosse“, mit denen der moskautreue weißrussische Präsident und Diktator Lukaschenko Polen mit einer Flut von nach Europa drängenden Flüchtlingen überziehen will.

Im Flugzeug bahnt sich auch eine freundschaftliche Beziehung zwischen der Afghanin ( ) mit Nur ( ) an, einem der Söhne der syrischen Familie, die neben Geschwistern die Eltern Bashir () und Amina () . Da die syrische Familie durch einen Bruder in Schweden, der alles für sie organisiert hat, gut organisiert ist, bittet die Afghanin die Familie, sie mitzunehmen.
Doch da weiß noch keiner, was sie in Polen erwartet. Dort werden entgegen den rechtlichen Bestimmungen die Flüchtlinge nicht europagerecht registriert, sondern auf brutalste weise zurück zum Grenzzaun gedrängt und teils über den Zaun geworfen, teils unten drunter durch geschoben. Dieses Spiel, ein unmenschliches Spiel wird mehrmals wiederholt. Die zuerst bürgerlich ordentliche gekleideten Flüchtlinge sehen nach und nach wie Obdachlose aus, die sie ja auch sind. Die Auflösung staatlicher polnischer Ordnung geht einher mit der Auflösung der Flüchtlinge. Dabei zahlt die Familie einen hohen Preis, als Nur mit der Afghanin sich in den polnischen Wäldern separiert und in einem sumpf ertrinkt.

Doch ist diese Familiengeschichte nur der halbe Film, der im folgenden sich auf die polnische Seite konzentriert,einmal auf die Grenzer, ein andermal auf die den Flüchtlingen helfenden Aktivistinnen. Am Beispiel von Jan (Tomasz Wlosok), dessen Frau ein Kind erwartet, kann man nachvollziehen, wie ein linientreuer Grenzer durch die Verhältnisse an der Grenze ins Grübeln und ins Menschliche kommt. Die Psychotherapeutin, die über den Bildschirm therapiert, hat ihren Mann verloren, was sicher ein zusätzliches Movens ist, daß sie sich nach und nach an die Gruppe anschließt, die den Flüchtlingen hilft. Dabei heißt Hilfe nicht, sie aus der Grenzregion ins Innere Polens zu holen, sondern nur, die Flüchtlingen mit Wasser, Nahrung, Medizin und Decken gegen die Kälte zu versorgen.

Wir sehen Jagdszenen an der polnischen Grenze auf Flüchtlinge, die gegenübergestellt werden dem warmen Willkommen gegenüber ukrainischen Flüchtlingen, die millionenfach nach dem 24. Februar 2022 nach Polen kamen.

Man verläßt das Kino geschockt, ob der Brutalität, mit denen Flüchtlinge behandelt werden. Da dies ausschließlich Männer sind, die mit Knüppeln und anderem auf die Flüchtlinge einschlagen und sie über die Grenze treiben, hin und her, konnte ich nicht anders als immer wieder an die Nazis zu denken, ihre Gewalt gegen Menschen, die sie als Untermenschen bezeichneten.

Bei den Filmfestspielen von Venedig erhielt der Film den Spezialpreis der Jury .

Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung

Jalal Altawil.     Bashir 
Maja Ostaszewska.   Julia
Behi Djanati Ataï.    Leila
Mohamad Al Rashi.  Bashirs Vater
Dalia Naous.    Amina
Tomasz Włosok   Janek
Taim Ajjan.    Nur
Talia Ajjan.   . Ghalia
Monika Frajczyk.  Marta
Jaśmina Polak: „Żuku“
Aboubakr Bensaihm.   Ahmad
Malwina Buss.   Kasia
Marta Stalmierska.    Ula
Agata Kulesza: Basia
Maciej Stuhr: Bogdan
Ärztin im Krankenhaus
Piotr Stramowski: Maciek
Afrikanische Frau
Magdalena Popławska: Bogdans Frau

Stab
Regie  Agnieszka Holland
Mitarbeit Regie.     Kamila Tarabura und Katarzyna Warzecha
Drehbuch      Maciej Pisuk, Gabriela Łazarkiewicz-Sieczko, Agnieszka Holland